Die RUMS-Kolumne von Michael Jung | Die sechs Probleme am Stadthafen

Porträt von Michael Jung
Mit Michael Jung

Guten Tag,

kurz vor Weihnachten gab es in Münster noch eine kleine Überraschung: Die LVM-Versicherung zog sich aus der Planung für die Bebauung des Stadthafens zurück und gab das dafür vorgesehene Grundstück an die Stadtwerke zurück.

Sieben Jahre nach Erwerb war der LVM damit raus, aber da es in Münster keine schlechten Nachrichten gibt, teilte die Stadtverwaltung mit, es gebe keinen Anlass zur Sorge. „Alle Projektpartnerinnen und -partner arbeiten weiter mit Hochdruck an der Finalisierung der Planung und der zugehörigen Fachgutachten“, hieß es.

Die Bauplanungen blieben dieselben, Baurecht solle bald hergestellt werden. Das sollte klingen, als wenn eigentlich gar nichts passiert wäre, der Zug weiter auf dem Gleis ins Ziel sei und als wenn nun eben einfach jemand anderes bauen werde.

Am vergangenen Dienstag gab die Verwaltung in einer Sondersitzung des Planungsausschusses bekannt, es gebe mehrere Interessenten für das nun vakante Grundstück, und im nächsten Jahr könne der Bebauungsplan in Kraft treten.

Natürlich alles mit Hochdruck, oder was man halt in Münster so unter Hochdruck versteht, immerhin laufen die Hafenplanungen seit der Osmo-Insolvenz auch erst seit 24 Jahren. Hochdruck ist da relativ zu sehen. Es hat dann nur ein Vierteljahrhundert gedauert, Planungsrecht herzustellen. Das hat Gründe.

Man kann einige Probleme ausmachen, die auch das Hafenprojekt immer wieder ausbremsten.

1. Problem: „Geiz ist geil“-Mentalität an der falschen Stelle

Das Urproblem der Hafenplanung reicht schon ins Jahr 2001 zurück, als die Firma Osmo in die Insolvenz ging und sich die Frage stellte, was mit ihrem Betriebsgelände passieren würde.

Nach der vorangegangenen Neuplanung war klar: Diese Fläche war ein entscheidender Baustein für die weitere Entwicklung am Stadthafen, sie war gewissermaßen der Schlüssel für die ganze weitere Planung und von entscheidender strategischer Bedeutung.

Niemand konnte ein größeres Interesse an ihr haben als die Stadt selbst. Die Stadt hätte also das Grundstück aus der Insolvenzmasse erwerben und danach die Neuplanung komplett selbst bestimmen können, so wie sie es im Rahmen der Konversion etwa mit den Kasernenflächen in Gremmendorf und Gievenbeck Jahre später auch machte.

Die stadtplanerische Bedeutung der Flächen hätte das allemal gerechtfertigt. Allerdings tat die Stadt nichts, um die Flächen selbst zu erwerben.

Der damalige Oberbürgermeister und sein Planungsdezernent entschieden anders. Die Stadt sparte sich das Geld und setzte auf das Planungsrecht als Mittel, die städtischen Ideen durchzusetzen. Es sollte sich zeigen, das war typische münsterische „Geiz ist geil“-Haltung, aber es wurde wieder einmal an der falschen Stelle gespart.

Damit lag der Ball nun im Feld privater Investoren, die das Grundstück erwarben. Die Stadt hatte die Chance aus der Hand gegeben, die Entwicklung der Fläche selbst komplett zu steuern.

2. Problem: Nicht zu bauen, rechnet sich in Münster auch

Es fehlen Wohnungen, aber die Leute, die da einziehen würden, müssen notgedrungen außerhalb Münsters suchen. Und so stellt sich die Frage, warum so wenig gejammert wird über die lange Planungsdauer.

Das ist recht einfach in Münster, und Sie können es am Hafen, aber auch an anderen Stellen in der Stadt sehen. Nicht zu bauen, rechnet sich in Münster eben auch.

Allein in den letzten sechs Jahren (2018 bis 2024) ist der reine Bodenwert der Hafengrundstücke um ein Drittel gestiegen. Bei einem späteren Baubeginn steigt also die Rendite bezogen auf den Einstandspreis noch einmal deutlich an.

Die stark gestiegenen Bodenwerte in Münster in den letzten Jahren sorgen dafür, dass es wirtschaftlich unproblematisch ist, wenn sich Planungsprozesse – zum Beispiel am Hafen – verzögern. Im Gegenteil, es kann sogar von Vorteil sein.

Den wirtschaftlichen Schaden haben diejenigen, die keine Wohnung finden in der Stadt, nicht diejenigen, die die Grundstücke besitzen.

3. Problem: Wünschen dürfen sich alle mal was

Ein weiterer Grund, warum es eben dauert, liegt darin, dass in Münster sich jeder und jede mal was wünschen darf.

Im konkreten Fall hätte es nahegelegen, zügig den Bau von Wohnungen umzusetzen. Ein ganz neues Quartier hätte längst entstehen können. Aber so einfach ist das nicht.

Da waren die Investoren, die ein Auge nicht nur auf ihr eigenes aus der Insolvenzmasse erworbenes Grundstück geworfen hatten, sondern die auch die an der Hafenkante gelegenen Grundstücke der Stadtwerke gerne übernommen und überplant hätten (Wohnen am Wasser ist lukrativ für die Projektentwickler, manche würden sagen: teuer, aber in Münster sagen wir lieber: wertig).

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Und so kam es, dass die vorgelegten Planungen für hochpreisiges Wohnen am Wasser in Teilen der Politik nicht gut ankamen. Deswegen wurden die Stadtwerke-Flächen an der Hafenkante dann gesondert vermarktet, und zum Zuge kam auch der LVM.

Daneben gab es politisch weitere schöne Wünsche, die sich vor allem gegen die Investorenpläne richteten: Sollten die Osmo-Hallen nicht erhalten bleiben? Wäre nicht eine Kulturinitiative wie B-Side am Hafen wichtig?

So wurde alles komplex und schwierig, weil unklare und wechselnde politische Mehrheiten es nötig machten, immer neue Interessen mit aufzunehmen. Und so hat Münster jetzt am Hafen den Ruderverein und die B-Side, aber neue Wohnungen gibt es dort immer noch nicht.

4. Problem: Die Projektsteuerung von Unternehmen

Der LVM ist ein hochprofitables und gut aufgestelltes Versicherungsunternehmen und nebenbei auch – im Rahmen seiner Immobilieninvestments – ein fairer und guter Vermieter von Wohnungen in der Stadt.

Am Hafen kam der LVM ins Spiel, weil er weder zu den Käufern der Osmo-Flächen gehörte noch zu den übrigen Grundstückseigentümern am Hafen, die von der Aufwertung ihrer Grundstücke durch neue Planungen stark profitiert hätten.

Dort zeigt sich jetzt aber: Projektmanagement und Projektentwicklung sind für den LVM ein anderes Thema. In dem politisch umkämpften und komplexen Feld hielt der Konzern sich stets nur an die Planungsverwaltung, was anderswo vielleicht eine tragfähige Strategie gewesen wäre, aber sicher nicht am Hafen.

Ob die Projektverantwortlichen jemals die Dimension des Themas und die Stellung des eigenen Unternehmens zwischen gut vernetzten anderen Akteuren und die Folgen für die Finanzen richtig erkannten, darüber kann man nur mutmaßen. Die abrupte Notbremse am Hafen nach sieben Jahren scheint nicht dafür zu sprechen.

Dass es nun offenbar konzernintern auch Unstimmigkeiten über die Entwicklung des Wohnareals am Koldering gibt, deutet eher auf ein Problem von Münsters Vorzeigeunternehmen hin: Dem LVM wäre ein im Lokalen gut vernetztes Team zu wünschen, das eine politisch wirksame und effiziente Projektsteuerung betreiben kann.

Aktuell erweist sich der LVM eher als unsicherer Kantonist für große stadtplanerisch bedeutende Entwicklungsvorhaben.

5. Problem: Alles hängt mit allem zusammen

Der Konflikt um die Investorenpläne für das Osmo-Gelände fand bald eine neue Bühne. Weil das geplante E-Center am Hansaring für die Versorgung des neuen Gebietes geplant war und die geschäftlichen Interessen der Konkurrenz beeinträchtigte, verknüpfte sich das eine mit dem anderen Planungsvorhaben.

Die Stadtverwaltung hatte mehrere Einzelbebauungspläne für den Hafenbereich konzipiert, statt einen gesamten Entwicklungsplan für das Areal vorzulegen.

Dennoch blieben die Projekte eng miteinander verflochten: Die gesamte Verkehrsplanung der beiden Projekte war miteinander verbunden, so dass die in mehreren Gerichtsverfahren beklagten Planungen für den Hafenmarkt auch weitere Schritte auf dem Osmo-Gelände und darüber hinaus verzögerten.

Erst der Zusammenbruch der Klagen in den Eilentscheidungen vor Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht nach der Neufassung der Planungen 2019 machte die Eröffnung des Hafenmarkts möglich und den Weg frei für die weitere Umsetzung der Osmo-Planungen.

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Natürlich war es ein Fehler, das Gebiet nicht insgesamt zu planen, sondern stattdessen die Bebauungspläne wie Dominosteine hintereinander aufzureihen – das war mit hohem Risiko gespielt, und bei einem Scheitern des Hafenmarkts hätte es auch für das Osmo-Gelände düster aussehen können. Aber auch so hat der von der Stadtverwaltung in planerischer und verkehrsgutachterlicher Hinsicht so gestaltete Prozess sehr viel Zeit gekostet, das Übrige trugen Teile der Politik bei.

Der Hafenmarkt stand in wirtschaftlicher Konkurrenz zu bestehenden Supermärkten, als Symbol verfehlter Planungen taugte er wenig – wie sich jetzt auch zeigt, weil der jahrelang herbeigeredete Verkehrsinfarkt auf dem Hansaring sich auch nach der Eröffnung einfach nicht einstellen will.

Am Beispiel erkennt man aber: Die sich verknüpfenden und gegenseitig verstärkenden wirtschaftlichen und politischen Kräfte, die aus unterschiedlichen Gründen ein Planungsvorhaben grundsätzlich ablehnen, haben in Münster wesentlich zu einer jahrzehntelangen Verzögerung beigetragen.

6. Problem: Die Wohnungen fehlen

Und damit sind wir beim Hauptproblem: Ein Vierteljahrhundert Planungszeit für 800 Wohnungen am Hafen. Das ist Münster-Standard.

Man kann die Ursachen verstehen, die Probleme beschreiben, aber am Ende steht die Erkenntnis: Diese Stadt hat ihr Hauptproblem noch immer nicht verstanden. Das Fehlen bezahlbarer Wohnungen ist ein echter Standortnachteil für die wirtschaftliche Entwicklung, aber es ist auch sozialer Sprengstoff.

Da ist die Verwaltung, die es grundsätzlich nicht schnell und effektiv hinbekommt. Teile der Politik betrachten Verhinderung stets als größeren Erfolg als Realisierung. Und der Stadtgesellschaft sind fehlende Wohnungen so lange egal, wie man selbst schön wohnt.

Das ist der Kern des Problems. Man kann sich kaum eine andere Stadt vorstellen, in der eine 25 Jahre dahin dümpelnde Planung an so zentraler Stelle so wenig Erstaunen oder Entsetzen auslöst.

In Münster stört sich offenbar niemand daran. Deswegen sollte man nicht allzu sehr feiern, wenn nächstes Jahr Planungsrecht besteht. Es ist einfach zwei Jahrzehnte zu spät.

Herzliche Grüße

Ihr Michael Jung

Porträt von Michael Jung

Michael Jung

… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.

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