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Die Kolumne von Michael Jung | Warum es in der Bezirksvertretung Ärger gibt
Guten Tag,
es gibt zwei extreme Meinungen über Kommunalpolitik: Die eine hören Sie in Sonntagsreden, bevorzugt, wenn man mehr oder weniger verdiente Menschen aus der Kommunalpolitik verabschiedet. Da ist dann die Rede vom unverzichtbaren Ehrenamt, von Menschen, die sich neben ihrer regulären Arbeit und ihrem Familienleben aufreiben für das Gemeinwohl und in oft mühseliger Kleinarbeit versuchen, ihre Stadt ein kleines bisschen besser zu machen.
Und es gibt ein populistisches Gegenbild, das man oft in anonymen Pöbeleien findet: Da ist die Rede von einer abgehobenen Kaste von Menschen, die sich nur mit sich selbst beschäftigen, aber nicht mit den echten Problemen und die den ganzen Tag ihre eigenen kleinen Intrigen spinnen und Machtkämpfchen führen. Und da habe ich jetzt mal nur die harmloseren Vorurteile zitiert.
Das sind zwei extrem unterschiedliche Ansichten. Die meisten Aktiven in der Kommunalpolitik tendieren dazu, sich selbst wie in den Sonntagsreden zu sehen. Und dann gibt es die, die das tun und gleichzeitig hart daran arbeiten, dem Populismus Futter zu geben.
Der Streit in der BV Mitte
So wurde vorletzte Woche öffentlich, was hinter den Kulissen schon lange zu hören war: Eine deutliche Mehrheit der Bezirksvertretung Münster-Mitte möchte den eigenen Vorsitzenden, den Bezirksbürgermeister, abwählen. Dem möchte der Vorsitzende mit einem Rücktritt zuvorkommen, allerdings erst nach den Sommerferien, in denen er die erhöhte Aufwandsentschädigung als Bezirksbürgermeister noch weiter bezieht.
Dessen eigene Fraktion, die Grünen, wollte einen Nachfolger präsentieren können, heißt es. Da man aber nach etlichen Wechseln und einem Austritt in der eigenen Fraktion – immer auch ein schönes Indiz für ein gutes Binnenklima – offenbar nicht sofort einen Vorschlag hatte, verfiel man auf die Idee, das Casting auch auf andere Fraktionen auszuweiten und mit dem Posten des Bezirksbürgermeisters (etwa 800 Euro brutto Aufwandsentschädigung im Monat) geeignete Mitglieder der Konkurrenz zum Fraktionswechsel zu motivieren.
Diesem neuen Tiefpunkt der Kommunalpolitik in dem Gremium, das für die Qualität seiner Beratungen und die persönlichen Querelen schon seit Jahren einen Ruf wie Donnerhall hat, gingen andere voraus. So fiel der vor dem Rücktritt stehende Bezirksbürgermeister dadurch auf, dass er meinte, bei Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ anwesend sein zu müssen. In seiner Lesart tat er das als „parlamentarischer Beobachter“. Das zeigt exemplarisch, wie das Selbstverständnis ist. Leider ist die Realität nüchterner: Kommunale Gremien sind keine Parlamente, sondern nur Verwaltungsorgane. Ihre Mitglieder haben auch keine parlamentarische Immunität und auch nicht die Rechte von Mitgliedern der Parlamente. Das Zutrauen zur eigenen Bedeutung ist dennoch groß, wie man sieht.
Fehler im System
Die Bezirksvertretungen sind der Theorie nach die unterste Ebene der kommunalen Selbstverwaltung und sollen ihr Ohr nah an den Anliegen der Menschen in ihrem Bezirk haben: Sie werden genau wie der Rat direkt gewählt. Deswegen ist ihre Zusammensetzung auch unabhängig von den Ratsmehrheiten.
In Münster gibt es sechs Bezirksvertretungen: Norden, Westen, Osten, Südosten, Mitte und Hiltrup. Und da sind wir schon beim ersten Problem, denn die Stadtbezirke sind der Größe nach sehr unterschiedlich: Während im Osten gerade einmal rund 20.000 Menschen im Gebiet der dortigen Bezirksvertretung wohnen, sind es in der Stadtmitte mehr als fünfmal so viele. Während vor allem in der Außenstadt die Bezirksvertretungen oftmals noch lange die lokale Identität der früher selbstständigen Gemeinden gepflegt hatten und deshalb auch vor Ort oft eine wichtige Rolle spielen, ist das in der Stadtmitte weit weniger der Fall.
Lange Zeit wurden die Haushaltsmittel zum Beispiel für die Spielplatzunterhaltung gleichmäßig auf die Bezirksvertretungen verteilt. Klang gerecht, war es aber nicht: Im dünn besiedelten Osten führte das zu top ausgestatteten Spielplätzen, in der Mitte reichte das Geld nie. Ein Schelm, wer denkt, das habe etwas mit Wahlergebnissen zu tun gehabt. Das immerhin ist seit einiger Zeit anders geworden, das Grundproblem der völlig ungleichgewichtigen Stadtbezirke und der höchst unterschiedlichen Struktur der Bezirksvertretungen bleibt aber bestehen.
Viel Debatte, wenig Entscheidung
Daneben haben die Bezirksvertretungen in Münster ein weiteres Problem: Sie dürfen zwar viel beraten und anhören, aber nur wenig entscheiden. Die Bezirksvertretungen sind fast ausschließlich für die bereits erwähnte Spielplatzunterhaltung zuständig, aber auch für Zuschüsse an Vereine und Organisationen im Stadtbezirk (in geringem Umfang, es geht hier nur um wenige tausend Euro pro Jahr) und für einzelne Baumaßnahmen.
Davon kann das meiste zwar beraten werden, ist aber kaum politisch diskutierbar. Denn welche Tiefbau- oder Bordsteinmaßnahme eignet sich schon für große Debatten? Dafür aber passieren alle wesentlichen Ratsvorlagen, die einen Bezug zum Stadtbezirk haben, das Gremium. Das Problem ist nur: Die Bezirksvertretung kann Anregungen dazu geben, aber am Ende entscheidet allein der Rat. Und dabei braucht er auf die Anregung der Bezirksvertretungen nicht einzugehen.
Damit sind wir beim Kern des Problems: Die Bezirksvertretungen sind strukturell eigenständige Verwaltungsorgane mit Mitgliedern, die gerne mitentscheiden und mitdiskutieren möchten. Sie haben aber kaum eigene Kompetenzen. Das Ergebnis ist seit Jahren das immer Gleiche: Sitzungen der Bezirksvertretungen eskalieren gerne zu Debatten über Zuständigkeitsfragen oder darüber, ob man übergangen, nicht ausreichend beteiligt oder auf irgendeine andere Weise missachtet worden sei.
Das jüngste Beispiel dafür lieferte die Bezirksvertretung in Hiltrup. Man sei nicht eingeladen worden, eigene stimmberechtigte Mitglieder in die Jury eines Architektenwettbewerbs zu entsenden. Das bot Anlass zu neuen Klagen über die Missachtung der kommunalen Selbstverwaltung. Dabei war es in der letzten Periode des Rates mit Mühe gelungen, die Gremien der in Münster so beliebten Architektenwettbewerbe zu verkleinern, indem abwechselnd Mitglieder aus Rat und Bezirksvertretungen nominiert wurden, nicht mehr aus allen Fraktionen, sondern eben nur aus zwei. Gleichzeitig hat man auch die Zahl der Verwaltungsleute in den Gremien reduziert. Schließlich wurden die Gremien immer größer – und damit auch immer teurer, denn in den Gremien sitzen neben den kommunalen Mitgliedern in ähnlicher Größenordnung auch noch Architekt:innen als Sachpreisrichter:innen.
Wen will man begeistern?
Die machen das aber nicht ehrenamtlich: Und so dient eine Reduzierung der Zahl der Kommunalpolitiker:innen und Verwaltungsleute in den Auswahlgremien sowohl der Effizienz als auch der Kostendämpfung. Das war ein mühsam ausgehandelter Kompromiss, aber das ficht ein Mitglied der Bezirksvertretung Hiltrup natürlich nicht an. Zuständigkeitsfragen sind – siehe oben – strukturell leider die Kernkompetenz von Bezirksvertretungen.
Das meine ich durchaus ernst, und ich sehe das als Problem: Wenn man Menschen dafür gewinnen will, fünf Jahre lang Angelegenheiten ihres Stadtteils zu beraten, dann muss man ihnen auch Kompetenzen geben. Reine Feierabendgremien, deren Beratungen schon den ehrenamtlichen Ratsmitgliedern, aber erst recht der hauptamtlichen Verwaltung mangels Entscheidungskompetenzen völlig egal sein können, haben ein strukturelles Problem. Wen will man für so etwas begeistern? Wie will man mit so etwas gute Leute bei der Stange halten? Entsprechend schwierig ist es, für diese Gremien geeignetes Personal zu finden.
Wenn die Arbeit dann beginnt, versumpft sie gerne in Zuständigkeitsdebatten und Personalquerelen, weil die Bezirksvertretungen nichts zu entscheiden haben. Nirgendwo spalten sich Fraktionen so gern wie in den Bezirksvertretungen, nirgendwo werfen so viele Mitglieder während der Wahlperiode entnervt das Handtuch wie dort. In der Konsequenz sitzen dann – oft nachgerückt wie in der Bezirksvertretung Münster-Mitte momentan auch – am Ende der Wahlperiode immer mehr Menschen, die gleichzeitig Ratsmitglieder sind. Das ist auch nicht sinnvoll, wenn die Bezirksvertretungen unabhängig vom Rat gewählt werden und auch eine eigenständige Rolle spielen sollen. Aber es ist die Folge der für viele unbefriedigenden Arbeit. Das ist kein Zustand.
Zuständigkeiten neu ordnen
Münster braucht eine Reform der Zuständigkeitsordnung: Die Bezirksvertretungen brauchen mehr Rechte und Kompetenzen. Die Stadtbezirke müssen eine neue Struktur bekommen, die sich nicht mehr danach richtet, wie für die CDU am meisten Mandate herauskommen, stattdessen müssen die Bezirke gleichwertig und auch ähnlich groß sein. Nur so wird es gelingen, Personal für die Arbeit in solchen Gremien zu gewinnen und auch bei der Stange halten zu können. Wer sich ehrenamtlich einbringt, der möchte auch einen Sinn in seinem Engagement erkennen.
Für die Vorgänge in der Bezirksvertretung Mitte aber gibt es wirklich wieder einmal keine Entschuldigung mehr. Wer ernsthaft glaubt, die Wahlentscheidung der Bürger:innen ad absurdum zu führen, indem man Menschen mit Aussicht auf Pöstchen zu Fraktionswechseln animiert, der sollte sich wirklich fragen, was er oder sie eigentlich in der Politik zu suchen hat. Wer immer mit neuen Intrigen und Querelen auffällt und in der Arbeit völlig selbstreferentiell ist, der hat das Grundprinzip kommunaler Selbstverwaltung nicht verstanden: Das Gremium ist nicht für solche Spielchen da, sondern dafür, Politik für die Menschen im eigenen Stadtbezirk zu machen.
Es kann nicht sein, dass ein Klima persönlicher Attacken und Misshelligkeiten herrscht und das Gremium eine sehr kleine Welt für sich ist, in der große Egos mit kleinen Zuständigkeiten versuchen, House of Cards zu spielen. Das kann man für lustige Folklore halten und es abtun, man kann aber auch sagen: Was dort geschieht, ist geeignet, den Ruf der Kommunalpolitik in Münster insgesamt zu beschädigen.
Es ist ein Trauerspiel, und es wäre wirklich sehr an der Zeit, dass endlich – am besten mit einer Neuordnung der Zuständigkeiten und Stadtbezirke – auch neue Leute gewonnen werden könnten, von denen nicht etliche gleichzeitig noch ein Ratsmandat besetzen. So geht es jedenfalls nicht mehr weiter. Und bis dahin wäre es sehr schön, wenn die Bezirksvertretung Münster-Mitte vielleicht auch noch etwas Zeit für Sacharbeit fände, wenn die momentanen Personalquerelen dann erstmal zu Ende sind. Eine weitere Runde braucht es davon nicht.
Herzliche Grüße
Ihr Michael Jung
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Michael Jung
… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.
Die Kolumne
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