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Die Kolumne von Juliane Ritter | Wir brauchen ein Zeichen. Jetzt!
Guten Tag,
am 19. Juli hat sich der Abschluss des Tarifvertrags Entlastung zum ersten Mal gejährt. Nach 77 Tagen Streik hatten sich die Beschäftigten der sechs Unikliniken mit ihren Arbeitgebern geeinigt. Der Vertrag regelt klar, wie viele Menschen in welchen Bereichen arbeiten sollen, und unter welchen Bedingungen Personal eingestellt wird.
In der Pflege legt der Vertrag zum Beispiel fest, wie viele Patient:innen eine Pflegekraft je nachdem, wo sie arbeitet, versorgen darf, um vor Überlastung geschützt zu sein.
In Bereichen wie der Klinik-Kita, der Radiologie, dem Patien:innentransport, dem Service, Ambulanzen und vielen weiteren hat man vereinbart, dass mehr Personal eingesetzt wird – entweder eine bestimmte Anzahl an Kräften oder ein bestimmter Prozentsatz.
Werden diese Vorgaben nicht eingehalten, erhalten die Kolleg:innen freie Tage, um ihre Belastung zu verringern. In einer Übergangsphase von einem Jahr sollten alle Kolleg:innen pauschal zwischen drei und fünf Tagen frei bekommen (so genannte Entlastungstage).
Ab Juli 2026 sollen Berufsgruppen, die eng mit Patient:innen zusammenarbeiten, durch ein Punktesystem bis zu 18 freie Tage bekommen, wenn sie regelmäßig unterbesetzt arbeiten. Was ist bislang passiert?
Die Bilanz ist gemischt
Kurz nach Abschluss des Tarifvertrags haben sich der Uniklinikvorstand und Beschäftigte zusammengesetzt, um die Umsetzung anzugehen. Es wurden Arbeitsgruppen gebildet, in denen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen aus bestimmten Bereichen auf Augenhöhe an Konzepten und Änderungen arbeiten sollen.
Außerdem richtete man Gremien ein, die überwachen sollten, ob es auch vorangeht und die übergreifenden Fragen klären sollten. Nach einem Jahr ist die Bilanz gemischt. Es gibt Bereiche, die in ihren Arbeitsgruppen schon vollständige Konzepte erarbeitet haben, während andere Bereiche nach meinen Informationen noch nicht allzu weit sind, andere stehen noch immer am Anfang.
Die Mitarbeiter:innen aus dem Patient:innenservice, aus der Küche oder dem Patient:innentransport warten immer noch auf die pauschalen Entlastungstage, die ihnen schon seit Januar zustehen. Nachvollziehbare Gründe dafür werden ihnen nicht genannt.
In Bereichen wie der Pflege sind die zusätzlichen freien Tage direkt im System hinterlegt. Die Kolleg:innen konnten sie schon Ende 2022 in ihre Urlaubsplanung integrieren. Diese Spaltung schafft Unmut unter dem Personal, der vermeidbar wäre.
Wie ist die Stimmung? Das Bild ist gemischt. Pflegende berichten davon, dass die vereinbarten Zahlen zum Verhältnis von Personal und Patient:innen bereits eingehalten werden. Sie berichten auch, dass neue Kolleg:innen auf ihren Stationen arbeiten. Andere dagegen leisten weiterhin allein Nachtdienste oder müssen ständig einspringen, um den Ablauf im Krankenhaus aufrechtzuerhalten.
Insgesamt ist das Personal um wenige Prozent gewachsen. Die Uniklinik gewinnt im Moment allerdings nicht genügend Personal, um dadurch allein die Regelungen des Tarifvertrags umzusetzen. Laut Pflegedirektor Thomas van den Hooven gibt es insgesamt 500 offene Stellen.
Die Alternative ist, Betten nicht zu belegen. Nach dem Ende des Streiks im Juli 2022 blieben viele während des Streiks nicht belegte Betten weiterhin leer. Das ändert sich erst nach und nach wieder. Oft liegt das nicht daran, dass die Klinik Personal gewonnen hat, sondern daran, dass der politisch gemachte wirtschaftliche Druck den Kliniken kaum eine Wahl lässt. Leere Betten bringen keine Einnahmen.
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Kolleg:innen, die über Monate hinweg in einer angemessenen Belastungssituation gearbeitet haben, spüren nun doch wieder, dass ihre Arbeitsbelastung sich wieder verschlechtert, erneut Unterbesetzung droht, und das könnte für Patient:innen kritisch werden.
Andere haben bis heute noch keine Verbesserung gespürt, seit sie nach fast drei Monaten Streik an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt sind. Das führt zu Frust, Wut und Unverständnis.
Eine Abteilung ist besonders betroffen. Kolleg:innen aus der Radiologie berichten von einer massiven Krise. Sie haben kaum Personal, um Dienste zu besetzen und sehen kaum Auswege.
Personal wächst nicht an Bäumen; sie berichten von einer so hohen Belastung, dass der Tarifvertrag dort nur an der Oberfläche etwas verändert – und möglicherweise nicht einmal das.
Das Personal steht dort, so hat man es mir erzählt, regelmäßig auf Fluren voller wartender Notfallpatient:innen. Die Menschen, die dort arbeiten, fühlen sich nach diesen Schilderungen allein gelassen. Wer in eine radiologische Praxis wechselt, kann dort mit sehr viel besseren Konditionen rechnen. Deshalb wandern viele ab.
Wir haben der Uniklinik einige der Aussagen aus diesem Text geschickt und sie gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Wir haben zum Beispiel gefragt, warum einige Mitarbeitende schon Entlastungstage in ihrem System finden, andere aber noch nicht. Wir haben auch gefragt, warum es noch nicht gelungen ist, die Vereinbarungen in allen Bereichen umzusetzen. Und wir haben sie gebeten, zur Situation in der Radiologie Stellung zu mehmen. Außerdem wollten wir wissen, wie viel Personal die Uniklinik in den vergangenen zwölf Monaten eingestellt hat, wie viele Betten aufgrund von Personalknappheit nicht belegt sind.
Statt diese Fragen zu beantworten, hat die Uniklinik uns ein Statement in drei Sätzen geschickt. Es lautet:
„Der Tarifvertrag Entlastung (TV-E) ist sehr komplex und trifft sehr bereichsspezifische Regelungen, die wir derzeit in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden, der Gewerkschaft Verdi und dem UKM-Personalrat umsetzen. Hier ist es tatsächlich so, dass die Entlastungstage in einigen Bereichen bereits hinterlegt sind, in anderen bisher noch nicht. Das UKM wird den TV-E vollständig umsetzen, der Umsetzungszeitraum ist auf fünf Jahre ausgelegt.“
Ich würde mir mehr Transparenz wünschen, denn fest steht: Es braucht schnellstmöglich Lösungen. Der Tarifvertrag hat Hoffnungen geweckt, und wir sehen, dass kontinuierlich daran gearbeitet wird, die Vereinbarungen umzusetzen. Doch es braucht Zeit, und je länger es dauert, desto mehr Menschen gehen verloren.
Die Gruppe der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten hat begonnen, die anstehende Tarifrunde zu planen. Im Herbst werden die Gehälter der Beschäftigten der Bundesländer verhandelt. Die Tarifrunde wird zeigen, in welche Richtung es für die Beschäftigten der Unikliniken geht. Die Inflation trifft das Personal dort so wie alle anderen. Es wäre wichtig, jetzt ein Zeichen zu setzen, um die Personalflucht aus den Kliniken weiter zu bremsen.
Herzliche Grüße
Ihre Juliane Ritter
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Juliane Ritter (Name geändert)
… arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
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