Die Kolumne von Michael Tillmann | Der Klimastadtvertrag: Vorschlag für eine Präambel

Porträt von Michael Tillmann
Mit Michael Tillmann 

Guten Tag,

ist Ihnen schon mal ein wichtiger Vertragstext in die Hände geraten, so einer zwischen Städten oder Staaten oder anderen wichtigen Institutionen? Die werden zumeist mit einer feierlichen Erklärung eingeleitet. Häufig stehen da solche bedeutungsschweren Satzanfänge wie „In Anerkennung der Notwendigkeit“ oder „Im Bewusstsein der Verantwortung“, „In der übereinstimmenden Erkenntnis“ oder „Unter voller Berücksichtigung“. Diese Einleitungen, wie sie etwa auch dem Pariser Klimaabkommen von 2015 vorangestellt sind, dienen dazu, einen Konsens zwischen den Vertragspartners festzuhalten.

Nun soll in den nächsten Monaten für Münster ein „Klimastadtvertrag“ erarbeitet werden, ein Vertrag, den die Akteure der Stadtgesellschaft, alsoVerwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft untereinander abschließen und in dem sie ihre jeweiligen Beiträge zum Ziel von Münsters Klimaneutralität benennen. Der Vertrag, der natürlich keine juristische Bindungswirkung hat, wird bei der Europäischen Union in Brüssel eingereicht und hinterlegt. Münster erfüllt damit eine Bedingung aus dem EU-Programm „100 smart und climate-neutral cities“.

„Münster wird Klimastadt“ – mit diesem Motto ist die Stadt angetreten, um die Klimaverantwortung zum wichtigen Bestandteil der Münster-Identität werden zu lassen, den Klimaschutz in der DNA der Stadt zu verankern und eine wie auch immer definierte Klimaneutralität für das Jahr 2030 zu erreichen.

Wenn mit „Klimastadt“ mehr gemeint sein soll als ein weiteres Marketing-Attribut, dann muss deutlich werden, dass es hier wirklich um einen Transformationsprozess geht, der unsere Stadt, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft substanziell verändert. Und der Wille zur Veränderung setzt voraus, dass wir in der Wahrnehmung und Beschreibung der Wirklichkeit, sprich der Herausforderung des Klimawandels einen weitgehenden Konsens haben. So etwas könnte – nein, sollte – Platz finden in einer Einleitung zum Klimastadtvertrag.

Wie also könnte so eine Präambel aussehen? Ich hab’s einfach mal probiert. Also:

  • Wir in Münster sehen in den gegenwärtigen Klimaveränderungen die stärkste Bedrohung für die Zukunft unserer Kinder und Enkel und für das Zusammenleben der Menschen auf unserem Planeten in Frieden und Gerechtigkeit. Wir erkennen in den Waldbränden, den Überflutungen, den Dürren und Hitzerekorden der Gegenwart die Vorboten einer sich schleichend verstärkenden Klimakatastrophe.
  • Wir in Münster bekennen uns zu dem grundgesetzlichen Auftrag des Staates und der Gesellschaft, in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen (Artikel 20a). Dies umfasst auch die völkerrechtliche Verpflichtung aus dem Pariser Klimaabkommens, angemessen dazu beizutragen, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst unter 1,5 Grad zu begrenzen.
  • Wir in Münster wissen, dass Deutschland derzeit für etwa zwei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, wir aber nur ein Prozent der Weltbevölkerung stellen. Uns ist auch bewusst, dass die klimabedingten Extremwetterereignisse der Gegenwart zu fünf Prozent auf die von Deutschland im vergangenen Jahrhundert ausgestoßenen Treibhausgase zurückzuführen sind.
  • Wir in Münster erkennen an, dass allen Menschen dieser Erde nur das gleiche Recht auf Belastung der Erdatmosphäre zusteht. Daraus ergibt sich für uns, dass wir in den kommenden Jahren nur noch eine begrenzte Menge an Treibhausgasen ausstoßen dürfen, ein CO2-Restbudget, das mit den Pariser Klimazielen vereinbar ist. Die Aussagen des Weltklimarates sowie des deutschen Sachverständigenrates für Umweltfragen betrachten wir dafür als maßgebend. Diese anteilig auf Münster zu übertragen ist das, was fairerweise von uns erwartet werden kann.
  • Wir in Münster wissen, dass uns für eine entschiedene Abkehr von Kohle, Öl und Gas nur noch ein kleines Zeitfenster bleibt und dass ein Überschreiten von Kipppunkten die Folgen des Klimawandels vollends unbeherrschbar machen werden. Wir streben deshalb an, für die Bereiche, die wir in alleiniger Verantwortung gestalten können, bis zum Jahr 2030 Klimaneutralität zu erreichen. Wir setzen darauf, dass uns technischer Fortschritt dabei hilft. Aber uns ist gleichzeitig klar, dass es zusätzlich eine Kultur der Selbstbeschränkung und ein anderes Verständnis von Wohlstand und Freiheit braucht. Wir akzeptieren und wünschen, dass Politik und Verwaltung durch entsprechende Regeln ressourcen- und klimaschonende Lebensstile fördern.
  • Wir in Münster möchten, dass unser gemeinsames Eintreten für die Zukunft unserer Kinder und künftiger Generationen den Zusammenhalt in Münster stärkt und unser Gemeinwesen nicht spaltet. Wir erkennen an, dass unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit nicht alle das gleiche Maß an Verantwortung tragen. Höherer materieller Wohlstand geht im Allgemeinen mit einem höheren Ressourcenverbrauch und einer größeren Klimabelastung einher. Das begründet eine besondere Verantwortung der besser Situierten in unserer Stadt.
  • Wir in Münster trauen uns zu, den existenziellen Bedrohungen durch den Klimawandel ins Auge zu sehen. Unser Wissen um die Gefahren verpflichtet uns zu beherzten Taten. Wir machen unser Eintreten für mehr Klimaverantwortung nicht abhängig davon, ob oder dass auch andere Staaten oder Kommunen sich ähnlich dem Klimaschutz verpflichtet fühlen und entsprechend handeln. Nicht zuletzt ist das für uns auch eine Frage der Selbstachtung.

Soweit eine mögliche Präambel zum Klimastadtvertrag, wie ich sie so oder so ähnlich für wünschenswert halte. Nicht wenige werden sich jetzt vielleicht fragen, ob das nicht doch alles etwas zu weitgehend, zu radikal ist, ob es nicht vielleicht auch eine Nummer kleiner gehen kann. Vor allem auch, ob das wirklich alles in Münster konsensfähig ist.

Da habe auch ich – ehrlich gesagt – meine Zweifel. Hinzuweisen ist aber darauf, dass die einen Aussagen auf naturwissenschaftlichen Fakten beruhen, die anderen auf Wertvorstellungen, die unserem Grundgesetz zugrunde liegen.

Wer aber alles etwas abgeschwächt und relativiert haben möchte, der wird auch dem Klimaengagement nicht die höchste Priorität einräumen wollen, ohne die wir scheitern werden – scheitern als Vorreiterstadt auf europäischer Ebene und scheitern mit dem Ziel „Klimaneutralität 2030“ ohnehin.

Herzliche Grüße und den besten Wünschen für einen spätsommerlichen Sonntag
Michael Tillmann

PS

Auf zwei Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Prozess „Münster wird Klimastadt“ sei noch verwiesen: Bei den „Münsteraner Klimagesprächen“ am Donnerstag, den 21. September, um 19 Uhr geht es um Bürgerbeteiligung und die Frage, wie sich Klimaziele durchsetzen lassen, wenn sich Widerstände ergeben. Zu Gast ist unter anderem Claudia Mauser von der Klimaschutzagentur in Mannheim. Die Stadt hat bereits einen Klimastadtvertrag bei der Europäischen Union in Brüssel eingereicht. Claudia Mauser wird von den Erfahrungen in Mannheim berichten. Infos zur Veranstaltung finden Sie hier. Und am Montag in einer Woche, dem 25. September veranstaltet die städtische Stabsstelle Klimaschutz einen Workshop zum Klimastadtvertrag. Anmelden können Sie sich bis Mittwoch. Alles Weitere steht hier.

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Porträt von Michael Tillmann

Michael Tillmann

… hat an der Uni Münster Mathematik und Sozialwissenschaften studiert und diese Fächer über 36 Jahre unterrichtet. In den 90er-Jahren gehörte er dem Lenkungskreis an, der für Münster eine Lokale Agenda erarbeitet hat – ein Handlungsprogramm, um Kommunen nachhaltig werden zu lassen. Zusammen mit Münsters späterem Oberbürgermeister Berthold Tillmann (mit dem er nicht verwandt ist) hat er im Jahr 1998 den Diskussionsband Über unsere Verhältnisse zur nachhaltigen Stadtentwicklung Münsters herausgegeben. Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Klimabeirat der Stadt Münster, war von 2015 bis 2020 verantwortlich für den Newsletter „Klima-Info Münster kompakt“ und ist Initiator der „Münsteraner Klimagespräche“. Michael Tillmann ist 74 Jahre alt, seit 2020 Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen und Großvater von fünf Enkel:innen.

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