Die Kolumne von Marion Lohoff-Börger | Masematte sells

Porträt von Marion Lohoff-Börger
Mit Marion Lohoff-Börger

Guten Tag,

im Frühjahr meldete sich eine Germanistikstudentin aus Hannover bei mir, die eine Hausarbeit über Masematte im Rahmen eines Sondersprachen-Seminars schreiben wollte und bat mich um Hintergrundinformationen. Sie kam extra mit dem Zug für einen Tag angereist und stellte mir so spannende Fragen, wie es nur Außenstehende können, wenn sie weder die Masematte kennen noch wissen wie Münster tickt.

Eine Frage, die mir bis heute hängengeblieben ist, habe ich zum Anlass für die heutige Kolumne genommen. Sie lautete: Finden Sie es in Ordnung, dass heute in Münster mit Wörtern aus der Masematte Werbung gemacht wird, wo doch die ursprünglichen Sprecher:innen im Holocaust vertrieben oder ermordet wurden?

Gut, dass ich selbst schon oft und lange darüber nachgedacht habe, deswegen brachte mich diese Frage nicht in Verlegenheit. Ich könnte das jetzt hier schnell mit ja oder nein beantworten, dann wäre die Kolumne am Sonntagmorgen für Sie rasch abgefrühstückt. Aber ich möchte sehr gerne mit Ihnen einmal hinschauen, was es in Münster an Produkten und Firmen gibt, die sich die Masematte als werbewirksames Mittel zunutze machen. Was mich nämlich neben den moralischen Bedenken umtreibt, ist die Tatsache, wie schludrig mit den Masemattewörtern umgegangen wird.

Wenn man ein Produkt oder einen Laden mit einem Masemattewort versieht, weil es scheinbar so viel Lokalkolorit oder münsterländische Bodenständigkeit symbolisiert, sollte man, so mein Tipp, die einschlägigen Wörterbücher (Siewert, Strunge/Kassenbrock, tackopedia.de) zur Hand nehmen und sich mit der Herkunft eines Wortes auseinandersetzen, so viel Zeit muss sein.

Rätsel über Rätsel

Selbstverständlich ist Masematte lebendig und verändert sich stetig, Wörter werden unterschiedlich gebraucht und meist mündlich weitergegeben. Es gibt kein absolut richtig oder falsch im Gebrauch von den Begriffen aus der Masematte. Auch die Wörterbücher sind nicht wirklich eine Instanz, denn auch sie sind lediglich Momentaufnahmen und sehr subjektiv zusammengestellt von Menschen, die keine Native Speaker sind und waren, sondern Akademiker:innen, die sich für Sprache interessieren. Das muss mit aller Bescheidenheit und gleichzeitig Achtung vor der wissenschaftlichen Leistung mitgedacht werden.

Ein erstes Beispiel für den etwas aus dem Ruder gelaufenen Gebrauch der Masematte ist das Spiel „konifez“. Das ist die Münsteraner Version des im englischen Raum beheimateten Partyspiels „corn-hole“, bei dem man Säckchen in das Loch eines schräg aufgestellten Bretts werfen muss. Laut Hersteller heißt „koni“ Säckchen und „fez“ Spaß. Schaut man genauer hin, so kommt das Wort „koni“ aus dem Romanes, der Sprache der Sinti:zze und Rom:nja, und bedeutet Sack, vor allem im Sinne von Hoden.

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Auch der Outletstore für Wander- und Regenbekleidung im Kreuzviertel „Plinte & Joppe“ verkündet stolz: „Masematte und Plattdeutsch, das sind wir. Bodenständig, echt und gerade heraus. (…) Outlet geht eben auch anders, auf die Münsteraner Art.“ Was diese sein soll, weiß vermutlich keiner so recht, aber egal: Masematte sells!

Nur leider wird das aus dem Rotwelsch stammende Wort „Plinte“ in der Masematte hauptsächlich als Unterhose und Schlüpfer gebraucht. Dort kaufen können Sie diese jedoch nicht. Und auch der markige Satz: „Toffte Outdoorklamotten für nen kleinen Toto,“ treibt mir Runzeln auf die Stirn. Tofte, ja, das heißt gut, aber was ist ein „kleiner Toto“? Meine drei Quellen, die Erklärung und Gebrauch von Masemattebegriffen verlässlich darstellen, schweigen beharrlich dazu. Ist es ein Geldbeutel, oder ein kleine Münze? Rätsel über Rätsel.

Und warum eine Hochzeitslocation mit einem Ballsaal für Hochzeiten an der Steinfurter Straße „Kneisterei“ heißt, will sich mir noch weniger erschließen. „Kneistern“ kommt aus dem Rotwelschen und heißt „wahrnehmen“ oder „bemerken“ und wird in der Masematte als Wort fürs Sehen benutzt. Vielleicht wäre das eine geniale Namensgebung für ein Kino? Oder vielleicht ist die Assoziation „sehen und gesehen werden“ eine passende Erklärung?

Herkunft unklar

Auch einem alteingesessenen münsterschen Unternehmen, wie dem Bäcker Krimphove muss sich leider sagen lassen, dass das „Knierfte“ in „Korn und Knierfte“, einem Bistro in der Innenstadt Münsters, zwar zur Masematte zählt, seine Herkunft aber nicht typisch ist für das Jiddische, Rotwelsche oder Romanes, sondern aus dem westfälischen Platt stammt. Also schon irgendwie Masematte, aber doch nicht so ganz. Knapp daneben ist eben auch vorbei.

Die Möbel in dem Bistro, seien von der Firma „Kawentsmann“, auch das Wort findet man beim Nachschlagen in den Masemattewörterbüchern. Es hat lediglich einen allgemein umgangssprachlichen Bezug zum Deutschen, aber keinen spezifischen zur Masematte. Die Firma „Kawentsmann“ macht – wie sympathisch – keine Werbung mit der Masematte. Das ist doch mal tofte!

Die Finne-Brauerei ist ein junges münstersches Unternehmen, das das Masemattewort „Finne“ in die Namensgebung eingebunden hat. Es bedeutet nicht Bier, denn dafür wäre das Wort „Lowine“ gedacht, sondern meint die Flasche oder ein Behältnis jeglicher Art und kommt aus dem Rotwelschen.

Nun ist es im Gebrauch der Masematte so, dass man es nicht so eng genommen hat mit den Details. Mit der Flasche, also der Finne, war dann auch das Bier, also die Lowine darin gemeint. Wer, außer feingeistige Klugscheißer:innen, haben sonntagmorgens Zeit für solche linguistischen Haarspaltereien, wenn es nur um ein verdientes Feierabendvergnügen geht?

Gerne werden seit neuestem Masemattebegriffe mit englischen Wörtern kombiniert: Da gibt es ein Transport- und Taxiunternehmen, das mit Lastenfahrrädern unterwegs ist namens „Leezen-Heroes“. Gott sei Dank, lassen sie die Finger davon und wollen das wohl in Münster bekannteste Masemattewort „Leeze“ gar nicht erst erklären. Ist auch schwer, denn die Herkunft ist unklar.

Kräuterlikör mit Münsterliebe

Vermutlich stammt es (nach dem Siewert Wörterbuch) aus dem „Hundeshagener Kochum“, einem Rotwelschdialekt und wurde von der Sprecher:innengruppe, wahrscheinlich Wandermusikanten, mit nach Münster Wolbeck gebracht. „Lezan“ ist Jiddisch und bedeutet Musik, mit der zusätzlichen Bedeutung Orgel. Und da dreht sich ja schon mal was. Verstehen Sie? Also wer das Thema „Leeze“ einmal sauber recherchieren möchte, immer her damit. Das wäre doch mal wirklich ein spannendes Thema für eine Fach- oder Hausarbeit.

Die „Leezen-Heroes“ sind nicht zu verwechseln mit den anderen Helden, die es verstehen, mit der großen Münsterliebe der Stadtgesellschaft Geld zu machen. Die „Heimat-Heroes“ produzieren beispielsweise einen Kräuterlikör namens „Promenadenmischung“. Sie traten laut Homepage „stilecht im Schatten der Lambertikirche bei einem Schocklamai (Kaffee) an die direkt begeisterten MS4L Seegers“ heran und daraus entstand ein Produkt, das „die Vielfalt dieser Stadt in einem erlebbaren Moment vereint, den man am besten mit guten Freunden teilt“.

Hach, da wird mir doch richtig muckelig ums Herz. Es erinnert mich an Fernsehwerbung für Hochprozentiges aus meiner Kindheit. So viel gefühlsduseliger Münsterhype in einem Kräuterlikör, das muss doch ein Verkaufsschlager werden. Da hoffe ich, dass das den Münsteraner:innen nicht auf den Magen schlägt.

Und dann gibt es da noch das herzerwärmende „homebeis“, einen Laden in bester Lage in der City von Münster. Dort gibt es so viel Münsterliebe, Heimat- und Zuhausegefühle, dass es sich gleich zweimal in dem Namen des Geschäfts wiederfindet. Denn „home“ bedeutet auf Englisch Zuhause und Beis sei Masematte und heiße auch Zuhause. Wenn das kein hochpotenziertes liebeskommunistisches Münsterfeeling zum Ausdruck bringt. Einfach tofter als jovel.

Homebeis-Gründer ist – by the way – auch der Gründer von „liba“, einer münsterschen Limomarke, die selbstverständlich neben dem „Finne-Bier“ bei „Korn & Knierfte“ im Kühlregal steht. Auf der Seite von „homebeis“ findet man den Hinweis, dass Masematte „ein regionaler Dialekt aus den Arbeiter:innenvierteln von Münster“ sei.

Ein lebendiges Sprachdenkmal

Ja, das stimmt fast, aber eben nicht so ganz. Masematte ist tatsächlich eine Sondersprache mit 600 Wörtern und ganz sicher kein Dialekt, der eine eigene Grammatik, Syntax und Orthographie beinhaltet, so die Sprachwissenschaften. Und „Arbeiter:innenviertel” ist zwar perfekt gegendert, trifft es aber auch nicht so hundertprozentig, denn es waren vor allem Rotlichtviertel, Armenviertel, Slums, Ghettos, eben Orte, um denen die gutbürgerlichen Münsteraner:innen einen großen Bogen machten. Was für alle Seiten vielleicht auch besser so war.

Sonntagmorgens ist die Zeit für sprachliche Feinheiten und moralische Befindlichkeiten. Früher ging man in die Kirche, heute liest man Kolumnen bei einem fair gehandelten Kaffee mit Hafermilch. Heute haben Sie eine humorvolle Lektion in Sachen Sprachsensibilität bekommen. Und um auf die Frage der Germanistikstudentin aus Hannover zurückzukommen: Für mich ist die Sache klar: Masematte soll ihren Platz im öffentlichen Raum haben, sie ist ein Kulturgut und gehört sichtbar und erfahrbar gemacht.

Sie ist aber auch ein lebendiges Sprachdenkmal für die Holocaustopfer und sollte deswegen mit großem Respekt und daraus abgeleitet aller sprachlichen Genauigkeit genutzt werden, damit sie nicht missbraucht wird als Spaßsprache, sondern gewürdigt und weitergegeben als lebendiges Stück Geschichte von Münster.

Wenn sich allerdings der Hype um unsere heißgeliebte Heimatstadt zu einer reinen Geldschleuder entwickelt und das Ganze in Richtung Lokalpatriotismus kippt, sollte die Stadtgesellschaft wachsam und kritisch bleiben und vielleicht doch ab und zu den moralischen Zeigefinger heben.

So, und nun bist du dran, Münster. Jetzt werden Hausaufgaben gemacht, auch wenn Sonntag ist!

Herzliche Grüße
Marion Lohoff-Börger

Porträt von Marion Lohoff-Börger

Marion Lohoff-Börger

… ist die Frau mit der Masematte und den alten Schreibmaschinen. Auf letzteren schreibt sie Gedichte und verkauft diese in ihrem Atelier an der Wolbecker Straße 105 als Postkarten. Die Masematte möchte die freie Autorin in Münster zu einem lebendigen Sprachdenkmal machen und versucht, dieses mit Kursen, Vorträgen, Lesungen, Büchern und Artikeln für Zeitungen und Onlinemagazine umzusetzen. 2021 stellte sie beim Land Nordrhein-Westfalen den Antrag „Masematte als Immaterielles Kulturerbe“, der abgelehnt wurde mit dem Hinweis, die Stadtgesellschaft Münster müsse sich noch mehr für dieses Kulturgut engagieren.

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