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Die Kolumne von Christoph Hein | Der Terror und die Antwort spalten die Welt
Guten Tag,
tausende Menschen verfolgten Mitte der Woche auf dem Prinzipalmarkt die Lichtspiele aus Anlass der Feierlichkeiten zum 375. Jahr des Westfälischen Friedens. Die Zuschauer waren ernst und bewegt, sie gedachten der Kriege und ihrer Opfer rund um die Erde, auch wenn Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter von einem „Spektakel“ sprach. Natürlich waren alle noch bestimmt vom Terrorangriff der Hamas auf Israel und den harschen Reaktionen der Israelis.
In weiten Teilen der Welt, vor allem im sogenannten Globalen Süden, herrscht freilich eine ganz andere Sicht der Lage. Den meisten Deutschen fällt es schwer, sich angesichts der eigenen Vergangenheit, der schrecklichen Bilder, des Schicksals der Entführungsopfer und des wieder erwachten Antisemitismus damit auseinanderzusetzen. Und doch ist es überfällig: Denn vieles, was in diesen Tagen und Stunden im Nahen Osten passiert, hat spürbare Auswirkungen auch in Peking, in Neu Delhi und sowieso in Moskau.
In weiten Teilen des Globalen Südens und in vielen muslimischen Ländern herrscht eine ausgeprägte Sympathie für die Palästinenser vor. Sie reicht bis tief nach Südostasien und nach Indien, dem – gemessen an seiner Bevölkerung – zweitgrößten muslimischen Land der Erde nach Indonesien, vor dem benachbarten Pakistan.
Die Strömungen des Islam haben einen Einfluss auf die Sicht; generell aber wird der Staat Israel von vielen Menschen in diesen wachstumsstarken Regionen mit kolonialer Geschichte als Aggressor wahrgenommen. Nicht nur in Pakistan gingen mehrfach Tausende Menschen auf die Straße, um gegen den Angriff der israelischen Armee auf den Gazastreifen, ja gegen die Existenz des Staates Israel zu demonstrieren.
Ein Steward machte den Hitler-Gruß
Das hat damit zu tun, dass Israel hier von vielen als letzter Vertreter eines überholten, ausbeuterischen Kolonialsystems betrachtet wird. Menschen im Globalen Süden ist die deutsche, auch europäische Sicht der Shoa als überragendem Verbrechen gegen die Menschlichkeit fremd – für sie ist die Kolonialzeit das überragende Verbrechen, das an ihnen über Generationen begangen wurde und sie bis heute nicht loslässt.
In Indien und Pakistan wird Hitlers „Mein Kampf“ offen am Wagenfenster an der Kreuzung verkauft, neben den Schwarzdrucken von Bestsellern. Auf einem Flug von Pakistan International Airlines streckte mir ein Steward lachend den ausgestreckten Arm zum Hitler-Gruß entgegen, als ich erzählte, ich sei Deutscher. Böse war das nicht gemeint. Eher anerkennend – hatte Hitler nicht die Briten fast in die Knie gezwungen, die Indern und Pakistani solches Leid gebracht haben?
Es sind Sichtweisen, die Deutsche verwundern, verärgern, manchmal schmerzen. Und doch ist es wichtig, sie zu betrachten und so weit als möglich zu verstehen. Schnell landet man dann beim Autor Pankaj Mishra, einem Meister im Erklären der anderen, vielen hier fremden Welt des Globalen Südens.
„Das Post-Schoa-Narrativ des Westens, in dem die Sicherheit Israels an erster Stelle steht, fand im Rest der Welt nie viel Anklang: Warum sollten die Palästinenser enteignet und für Verbrechen bestraft werden, an denen nur Europäer beteiligt waren? Warum sollte die Dekolonialisierung ausgerechnet im Herzen der arabischen Welt rückgängig gemacht werden?“, fragt Mishra im Spiegel mit Blick auf Israel, „den letzten siedlungskolonialistischen Staat der Welt“.
Als ich in Teheran 2016 die Schlangen der Menschen vor der Ausstellung mit den Holocaust-Karikaturen sah, als ich dann den Bildern mit ihrer Gleichsetzung des israelischen Handelns in Palästina mit dem Holocaust gegenüber stand, als ich die Zeichnungen von SS-Truppen mit einem Judenstern auf der Ärmelbinde sah, kostete mich das Hinschauen Überwindung.
Aber auch sie dokumentierten eine Sicht, die der Westen kennen muss. Sie wird genährt durch Armut: „In Gaza, das faktisch in einem Zustand der finanziellen Abhängigkeit verfallen ist, hängen mehr als 75 Prozent der Haushalte an der einen oder anderen Form der sozialen Unterstützung“, warnte die Weltbank schon lange vor dem Terrorüberfall der Hamas.
Investitionsversprechen gegen Stillhalten
Der Riss der Beurteilung zieht sich tief durch die islamische Welt und die Entwicklungsländer. Ein Beispiel dafür ist die Vereinigung Südostasiatischer Staaten, Asean mit ihren zehn Mitgliedern: Brunei-Darussalam, Malaysia und Indonesien haben ihre Sympathie mit den Palästinensern erklärt – kein Land des Trios hat den Staat Israel anerkannt.
Der reiche Stadtstaat Singapur, eine Führungsnation der Region und wie Katar groß als Vermittler in Konflikten, etwa beim ersten Treffen von Donald Trump mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un 2018, versucht, beide Seiten in Schach zu halten und hat jegliche Kundgebungen untersagt.
Diese Bruchlinien rund um die Welt entlang zu navigieren wird zu deutlich höheren Investitionsversprechen für muslimische Entwicklungsländer führen, wenn dafür Stillhalten zu erlangen ist. Wohin einige dieser Gelder fließen werden, bleibt – das zeigt das Beispiel Hamas – wohl offen.
Schon jetzt aber glühen alle diplomatischen Drähte, um den drohenden Flächenbrand noch einzuhegen. Im Mittelpunkt stehen auf der einen Seite das Emirat Katar, auf der anderen Washington. Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin, wiederholte seinen Vorwurf von „Katar als Club Med des Terrors“. Die Katari selbst verstehen sich als Mittler, weil hier die Niederlassungen der Terrororganisationen Hamas und der afghanischen Taliban sitzen. Und sie betonen, all ihre Hilfszahlungen an die Palästinenser seien mit Israel und den Vereinigten Staaten abgestimmt.
Deutschland kommt mit Blick auf das Emirat eine besondere Rolle zu: Nicht erst seit der Bitte des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck um Flüssiggas ist es eng mit Katar verflochten. Doha hält ein gutes Stück der Deutschland-AG in den Händen: Die Bank Merck Finck gehört ihr, 17 Prozent der Stammaktien von Volkswagen, gut 12 Prozent der Reederei Hapag-Lloyd, mehr als 9 Prozent am Ruhrkonzern RWE, 4,6 Prozent der Deutschen Bank.
Der Versuch, laut zu klappern
Auf der anderen Seite Washington. Die Amerikaner sind eigentlich seit Barack Obamas Präsidentschaft im Pazifik, vielleicht noch dem Indischen Ozean gebunden, ringen mit Chinas Aufstieg vor der eigenen Haustür, schmieden Bündnisse mit Australien, Japan und Indien. Russlands Überfall auf die Ukraine kam hinzu, nun steht Washington plötzlich vor dem Scheiterhaufen seiner Nahostpolitik und versucht mit präsidialer Macht und zwei Flugzeugträger-Gruppen vor Arabiens Küsten, noch Schlimmeres zu verhindern.
Das erwarten die Amerikaner vor allem vom Terrorfinanzier Iran. Teheran allerdings weiß um seine Verwundbarkeit und scheint bislang lieber Schattenarmeen und Milizen zu fördern, als selbst aktiv und erkennbar einzugreifen.
Peking aber testet derweil mit Angriffen auf philippinische Versorgungsschiffe für Vorposten im Südchinesischen Meer und vermehrten Scheinangriffen auf die Halbleiter-Insel Taiwan aus, wie weit Washington die Nadelstiche zulässt. China hat die Spannungen über mehrere Monate hinweg immer weiter verschärft. Zugleich möchte Peking Indiens Ministerpräsidenten Narendra Modi den Ruf streitig machen, der selbsternannte Führer des Globalen Südens zu sein.
Das Forum um die Infrastrukturinitiative der Neuen Seidenstraße in der vergangenen Woche war ein Versuch von Präsident Xi Jinping, laut zu klappern. Doch kritisieren nicht nur viele Empfängerländer das Vorgehen Chinas und seiner Verschuldungspolitik. Auch in China wird angesichts der wirtschaftlichen Lage die Kritik an dem eine Billion Dollar umfassenden Programm lauter.
Moskau aber stärkt seine Verbindungen zu seinem althergebrachten Partner Indien, dem Abnehmer von Waffen und Rohstoffen, und dem Partner im Osten, China. Und der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall meldet einmal mehr, dass seine Munitionsfertigung mehr als ausgelastet sei.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph Hein
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Christoph Hein
… ist in Köln geboren und in Münster aufgewachsen. Er hat an der Uni Münster studiert, hier promoviert und während seines Studiums für die Westfälischen Nachrichten und den WDR gearbeitet. Im Jahr 1998 fing er bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, zunächst als Korrespondent in Stuttgart. Ein Jahr später ging er als Korrespondent zunächst für Südostasien und China, ab 2008 für den Süden Asiens einschließlich des Pazifikraums nach Singapur. Dort wurde auch seine Tochter geboren, die inzwischen in Münster studiert. Nach einem Vierteljahrhundert im indo-pazifischen Raum ist er nach Deutschland zurückgekehrt und leitet den wöchentlichen Newsletter F.A.Z. PRO Weltwirtschaft. Christoph Hein hat zahlreiche Bücher publiziert, zuletzt mit „Australien 1872“ einen Bildband über einen deutschen Goldsucher auf dem fünften Kontinent.
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