Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Lawinengefahr

Porträt von Ruprecht Polenz
Mit Ruprecht Polenz

Guten Tag,

einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.

Sie hatten über Weihnachten und den Jahreswechsel hoffentlich ein paar ruhigere und schöne Tage. Für 2024 wünsche ich Ihnen Gesundheit, viel Freude und alles Gute. 

Nach Freude sieht‘s ja leider weniger aus, wenn man sich zu Jahresanfang umsieht: Bauernproteste, Lokführerstreik, der Blick auf die kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. 

Heute morgen hat mich eine Tagesschau-Meldung aufgeschreckt: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sieht die Demokratie in Deutschland als stärker bedroht an, als es von der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen werde. Dies zeige sich an einer „Gleichgültigkeit gegenüber dem Erstarken bestimmter Parteien.“ 

Die Mitte der Gesellschaft scheine ihm sehr bequem geworden zu sein. „Man hat sich sehr in seinem komfortablen Privatleben eingerichtet und man nimmt nicht hinreichend wahr, wie ernsthaft die Bedrohungen für unsere Demokratie inzwischen geworden sind.“

Er wünsche sich deshalb, „dass die Mitte der Gesellschaft, die schweigende Mehrheit in diesem Land, dass die wach wird und auch endlich klar Position bezieht gegen Extremismus in Deutschland“.

Sie schüren Angst – mit Nazi-Vokabular

RUMS hatte diese Woche gefragt: „Woher kommt die Wut?“ und versucht, den tieferen Ursachen der Bauernproteste auf den Grund zu gehen. Für mich bringt der letzte Absatz des Beitrags die Sache auf den Punkt:

„Die Ampel hat mit ihrem überstürzten und später in Teilen wieder korrigierten Versuch, Subventionen zu streichen, vor allem die Botschaft übermittelt: Wir sind mit der konkreten Situation der Landwirtinnen und Landwirte nicht so gut vertraut. In anderen Worten: Es fehlt das Verständnis. Und so etwas führt dann wiederum sehr schnell zu Wut.“

Genau hier haben die Versuche der AfD angesetzt, die Wut weiter zu steigern und die Bauernproteste für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Denn es ist das Mantra aller Rechtspopulisten, dass das Volk von einer abgehobenen Elite regiert werde, die ignoriere, was die Mehrheit wolle. In ihrem Elfenbeinturm habe diese Elite vom tatsächlichen Leben keine Ahnung. „Wir hier unten gegen die da oben“ heißt deshalb die Parole – unter der Führung der AfD, versteht sich.

Wer so redet, zielt direkt auf die Grundlagen unserer parlamentarischen Demokratie.

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Denn „die da oben“ sind erstens wegen ihrer unterschiedlichen politischen Vorstellungen gewählt worden und deshalb zweitens nicht alle dieselben. Ihr Mandat ist zeitlich auf vier Jahre befristet. Die demokratischen Parteien konkurrieren miteinander. Die heutige Opposition möchte beim nächsten Mal die nächste Regierung stellen. Und weil Abgeordnete wiedergewählt werden wollen, nehmen sie auch zwischen den Wahlen sehr genau wahr, welche politischen Themen für die Menschen eine Rolle spielen.

Der Bauernverband hat sich gegen die AfD-Versuche, den Bauernprotest als Aufstand gegen unser demokratisches System umzudeuten, immer wieder gewehrt und betont, es gehe ihm nicht um den Sturz der Regierung, sondern um eine bessere Landwirtschaftspolitik. 

Es ist zu hoffen, dass die AfD deshalb durch die Bauernproteste nicht punkten konnte. 

Nach wie vor setzen die völkischen Nationalisten dabei auf ihr zentrales Thema: Migration, Ausländer, Muslime. Sie behaupten, Deutschland verliere seine kulturelle Identität. Sie schüren Angst vor angeblicher Überfremdung und schrecken dabei auch vor Nazi-Vokabular nicht zurück: „Umvolkung“.

„Geheimplan gegen Deutschland“ – unter dieser Überschrift hat letzte Woche die Rechercheplattform Correctiv über ein geheimes Treffen von hochrangigen AfD-Politikern, Neonazis und finanzstarken Unternehmern berichtet, die am 25. November letzten Jahres in einem Hotel bei Potsdam zusammengekommen waren. 

Menschen sollen verdrängt werden

Der persönliche Referent der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel war dabei, dazu der Fraktionsvorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt und Martin Sellner, Chef der rechtsradikalen identitären Bewegung aus Österreich. Außerdem einige finanzstarke Unternehmer und Vorstandsmitglieder der Werteunion von Hans-Georg Maaßen.

Die Recherche liest sich wie ein Krimi, ist aber leider keine Fiktion, sondern enthüllt tatsächliche Absichten und Pläne: „Was dort an diesem Wochenende entworfen wird, ist ein Angriff auf die Existenz von Menschen. Und es ist nicht weniger als ein Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik“, schreibt Correctiv. Es sei „ein Vorgeschmack, was passieren könnte, sollte die AfD in Deutschland an die Macht kommen“. 

Es ist ein bezeichnender Zufall, dass dieses Geheimtreffen nicht weit entfernt von dem Ort der Wannseekonferenz stattfand, wo 1942 die Deportationen besprochen wurden, die zur „Endlösung der Judenfrage“ nötig waren.

„Denn im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Martin Sellner nicht ausreichend ‚assimiliert‘ sind. Selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind“, so heißt es im Correctiv-Text.

Für alle, die die Diskussionen innerhalb der AfD verfolgen, sind diese Pläne keine wirkliche Überraschung. Aber für die breitere Öffentlichkeit hat die AfD ihre Deportationsabsichten bisher erfolgreich getarnt und mit dem Begriff „Remigration“ verschleiert. Weil sie ertappt wurde, versucht die AfD-Spitze jetzt, sich von dem Geheimtreffen zu distanzieren.

Es geht 2024 nicht nur um die drei Landtagswahlen in Ostdeutschland. Nicht nur in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sollte sich die „bequem gewordene Mitte der Gesellschaft“ angesprochen fühlen. 

Denn wehrhafte Demokratie ist nichts, was man so einfach an Politikerinnen und Politiker outsourcen könnte. Alle Demokratinnen und Demokraten, die ganze Gesellschaft ist gefordert, sich den Feinden unserer Demokratie deutlich und vor allem auch hör- und sichtbar entgegenzustellen: in den Diskussionen in der Kantine, am Arbeitsplatz oder an den Stammtischen. Auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind ganz persönlich gefordert.

„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät,“ sagte Erich Kästner 1958 zum 25. Jahrestag der Bücherverbrennung. „Man darf nicht warten, bis Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus einem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“

Treten wir der Lawinengefahr gemeinsam entgegen. Uns allen ein gutes Jahr 2024.

Herzliche Grüße und eine gute Woche.
Ihr Ruprecht Polenz

Porträt von Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz

Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.

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