- Newsletter
- Kolumnen
- Kolumne von Ruprecht Polenz
Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Nach der Wahl in Thüringen
Guten Tag,
einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.
Die Erinnerung an letzten Sonntag und die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen sind allerdings dazu geeignet, mir auch diesen Sonntag zu verderben. Und in vierzehn Tagen wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt.
Nach Meinungsumfragen machen sich inzwischen zwei Drittel der Deutschen Sorge um die Demokratie. Ich gehöre dazu.
Schauen wir auf die Sitzverteilung im neuen Landtag von Thüringen: Von den 88 Sitzen entfallen auf die AfD 32, BSW 15, Linke 12. Die CDU hat 23 Sitze und die SPD 6. Grüne und FDP haben es nicht in den Landtag geschafft.
AfD und BSW haben also zusammen eine Mehrheit von 47 Stimmen.
Mit dieser schwierigen Lage sind jetzt CDU und SPD konfrontiert, die zusammen mal gerade 29 Sitze haben. Es besteht unter beiden Parteien Einigkeit, dass eine Zusammenarbeit mit der gesichert rechtsextremistischen AfD und ihrem Vorsitzenden Höcke nicht in Frage kommt.
Deshalb will die CDU Thüringen jetzt auch mit dem BSW sprechen. Aber selbst mit BSW-Stimmen kämen CDU und SPD nur auf 44. Zwar könnte man damit im 3. Wahlgang einen CDU-Ministerpräsidenten wählen, wenn sich die Linkspartei der Stimme enthält. Aber für eine Mehrheit zum Regieren bräuchte es noch mindestens eine Stimme von der Linkspartei.
Die CDU müsste für diesen Fall ihren Unvereinbarkeits-Beschluss ändern. Weil die Linkspartei die zwei Mal umbenannte SED ist mit deren Mitgliederbestand, und weil sie den Unrechtsstaat der DDR bis heute verharmlost, hatte die CDU auf ihrem Bundesparteitag am 9. Dezember 2018 beschlossen, auch mit der Linkspartei nicht zusammenzuarbeiten.
Nimmt man die inhaltliche Begründung dafür, müsste eine Zusammenarbeit mit BSW erst recht ausgeschlossen sein.
Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende des BSW, war als Mitglied der Linkspartei Vorsitzende der Kommunistischen Plattform und trauert bis heute der DDR hinterher. Das BSW, eine Abspaltung von der Linkspartei, ist nicht ohne Grund nach Sahra Wagenknecht benannt.
Es ist eine straff von oben nach unten organisierte Kaderpartei, völlig zugeschnitten auf die Vorsitzende. BSW hat auch deshalb bisher nur wenige Mitglieder, weil die Berliner Parteizentrale die künftige Linientreue prüft.
Wenn man einschätzen will, auf wen man sich beim BSW einlässt, muss man wissen, dass Sahra Wagenknecht in allen wichtigen Entscheidungen das letzte Wort hat. Sie hat sich eine Partei geschaffen, um mit diesem Hebel die deutsche Politik zu beeinflussen. An Straßen in Thüringen oder Bahnverbindungen in Sachsen ist sie kaum interessiert. Ihr geht es darum, die Bundespolitik auch über Landesregierungen zu beeinflussen.
Insofern ist das BSW nicht eine Partei wie alle anderen. Die straffe Kaderorganisation darf man nicht übersehen. „Wer mit uns koalieren möchte, muss auch mit mir sprechen“, hat sie unmissverständlich klar gemacht. Die Parteivorsitzenden von CDU, SPD, Grünen oder FDP kämen nicht im Traum auf die Idee, in dieser Weise bei der Bildung einer Landesregierung mitreden zu wollen – und die betroffenen Landesverbände würden sich solche Anmaßungen auch verbitten.
Sendezeit ist Werbezeit
Man sei kein Mehrheitsbeschaffer. „Wir werden nur mit Parteien in eine Koalition gehen, mit denen wir uns auf einen gemeinsamen Vertrag einigen können, der auch unsere Schwerpunkte enthält“, so Wagenknecht zur Lage nach den Wahlen in Ostdeutschland. Dabei gehe es auch um Außenpolitik – „das ist eine wichtige Frage für uns.“
„Es muss natürlich im Koalitionsvertrag eine Position zu diesen Themen stehen“, so Wagenknecht. Eine künftige Landesregierung müsse sich auf Bundesebene für diese Themen einsetzen, „eine Bedingung für unsere Teilnahme an einer Landesregierung.“
Das BSW lehnt weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ab, ebenso die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Wagenknecht nennt das Friedenspolitik. Aber in Wirklichkeit ist das, was sie vorschlägt, ein Rezept dafür, den Krieg weiter nach Europa zu lassen, und Putin zum nächsten Überfall zu ermutigen. Wenn Russland sich die Ukraine ganz oder zunächst teilweise einverleiben könnte, wären als nächstes wahrscheinlich Georgien und Moldau dran.
Die amerikanischen Mittelstreckenraketen sollen verhindern, dass Putin auf die Idee kommt, die atomar bestückbaren Mittelstreckenraketen einzusetzen, die Russland in Kaliningrad unter Verletzung bestehender Abrüstungsverträge stationiert hat. Kaliningrad ist 500 km von Berlin entfernt.
Sahra Wagenknecht ist fast in jeder Talkshow dabei. Insofern haben ARD und ZDF auch einen Anteil am Aufstieg von BSW. Als Werbezeit hätte BSW die geschenkte Sendezeit nicht bezahlen können.
So hat sie immer wieder Gelegenheit, ihre Positionen zu Russland, der Ukraine und den USA vorzutragen. Was sie sagt, ist von Kreml-Propaganda nicht zu unterscheiden. Entsprechend groß war die Freude in Moskau über das Wahlergebnis des BSW. Jetzt hat Putin neben der AfD einen weiteren Hebel in der Hand, um die deutsche Politik in seinem Sinn zu beeinflussen.
Anonymer Briefkasten
Haben Sie eine Information für uns, von der Sie denken, sie sollte öffentlich werden? Und möchten Sie, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, woher die Information stammt? Dann nutzen Sie unseren anonymen Briefkasten. Sie können uns über diesen Weg auch anonym Fotos oder Dokumente schicken.
Das BSW steht gegen alles, was man als DNA der CDU bezeichnen kann: Westbindung, eine starke Europäische Union, Menschenrechte, Soziale Marktwirtschaft und eben auch einen Umgang miteinander, der nicht populistisch und ausgrenzend sein soll. Statt mit BSW über Koalitionen zu sprechen, sollte die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss fassen.
Aber was wird dann aus Thüringen? Man darf Thüringen doch nicht der AfD überlassen. Ja, das darf man eigentlich nicht. Aber es war die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler in Thüringen, keine Parlamentsmehrheit ohne AfD oder BSW zu ermöglichen. Dann sollten sie in den nächsten fünf Jahren auch von AfD und BSW regiert werden.
AfD und BSW haben viele Gemeinsamkeiten, nicht nur die Russlandpolitik. Dass man AfD-Anträgen zustimmen könne, erklärt BSW ständig. Natürlich finde ich eine AfD-BSW-Regierung schrecklich für Thüringen und es kann auch negative Auswirkungen über Thüringen hinaus haben, etwa wenn man an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk denkt, den die AfD abschaffen will.
Aber das Risiko, das für die Statik der gesamten Bundesrepublik entstehen kann, wenn sich die CDU in die Zange nehmen lässt von dem BSW in der gemeinsamen Regierung und der AfD in der Opposition, halte ich für noch größer.
Sowohl AfD als auch BSW wollen die CDU zerstören. Benedikt Kaiser, einer der Chefstrategen der AfD, hat das am 18.06.2024 in einem Post auf X für alle öffentlich erklärt:
„3 Schritte für Thüringens AfD:
- 2024 Ramelow in Rente senden; Linkspartei pulverisieren.
- Selbst 30% erreichen; CDU in eine fragile Linkskoalition mit SPD & Wolf-BSW zwingen.
- CDU-Widersprüche bespielen; auf Implosion hinarbeiten; bei der nächsten Wahl CDU pulverisieren.“
Dieses Ziel könnte die AfD erreichen, denn das BSW hätte in einer Koalition mit der CDU null Interesse daran, dass die CDU mit den Ergebnissen dieser Regierung punkten könnte. Im Gegenteil.
Deutschland könnte lernen
Die CDU würde durch Koalitionen mit dem BSW bundesweit – und international – an Glaubwürdigkeit verlieren. Denn sie könnte niemandem erklären, warum eine Koalition mit BSW auf Bundesebene aus außenpolitischen Gründen völlig undenkbar sein soll, wenn man auf Landesebene munter mit BSW koaliert. Unsere westlichen Verbündeten und die Ukraine würden die CDU für einen unsicheren Kantonisten halten.
Auch innerparteilich würde es die CDU zerreißen, denn es gibt viele in der Partei, die eine Koalition mit BSW strikt ablehnen. Die CDU ist die einzige verbliebene Volkspartei in Deutschland. Es wäre fatal für die Statik der Bundesrepublik, wenn nach der SPD jetzt auch noch die CDU ihre Tragkraft verlöre. Es steht also mehr auf dem Spiel als die Bildung einer Landesregierung.
Ohne Zweifel wäre es für Thüringen schlimm, von AfD und BSW regiert zu werden. Aber in fünf Jahren gehen die Thüringer wieder zur Wahl und könnten sich anders entscheiden. Die Aufräumarbeiten würden zwar länger dauern, aber Polen zeigt nach der Abwahl der populistischen PiS-Regierung gerade, wie das geht.
Deutschland könnte für künftige Wahlen aus dem lernen, was AfD und BSW in Thüringen anrichten. Vielleicht fangen die Wählerinnen und Wähler in Brandenburg übernächsten Sonntag schon mal damit an, indem sie sich diese Aussichten wirklich vor Augen führen.
Trotz alledem wünsche ich Ihnen eine gute Woche.
Herzliche Grüße
Ihr Ruprecht Polenz
Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
Diese Kolumne teilen und RUMS weiterempfehlen
Ihnen gefällt dieser Beitrag?
Wir haben Ihnen diesen Artikel kostenlos freigeschaltet. Doch das ist nur eine Ausnahme. Denn RUMS ist normalerweise kostenpflichtig (warum, lesen Sie hier).
Mit einem Abo bekommen Sie:
- 2x pro Woche unsere Briefe per E-Mail, dazu sonntags eine Kolumne von wechselnden Autor:innen
- vollen Zugriff auf alle Beiträge, Reportagen und Briefe auf der Website
- Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen: Die ersten 6 Monate zahlen Sie nur einen Euro.
Wir freuen uns sehr, wenn wir Sie ab heute in der RUMS-Community begrüßen dürfen!
Sie möchten dieses Thema mit anderen Leser:innen diskutieren oder uns Hinweise geben
Nutzen Sie einfach unsere Kommentarfunktion unterhalb dieses Textes. Wenn Sie diese Kolumne gerade als E-Mail lesen, klicken Sie auf den folgenden Link, um den Text auf unserer Website aufzurufen:
diese Kolumne kommentieren