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Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Die neue Realität

Guten Tag,
einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.
Ich hoffe, Sie haben gut gefrühstückt. Denn in diesen Tagen schlagen die politischen Nachrichten auf den Magen. Man reibt sich die Augen und kommt gar nicht mehr hinterher, die Hiobsbotschaften zu verdauen.
Wir erkennen die USA unter Trump nicht wieder. Trump, Musk und Vance verraten in atemberaubendem Tempo alles, wofür die USA in ihrer 250-jährigen Geschichte stehen: Die Werte der eigenen Verfassung. Das System von Checks and Balances. Die Herrschaft von Recht und Gesetz. Musk und Vance lähmen die amerikanische Regierungsfähigkeit durch Massenentlassungen und bereiten eine Oligarchie der Multimilliardäre aus dem Silicon Valley vor. Dazu gehört auch eine Einschränkung der Presse- und Informationsfreiheit.
Die renommierte Presseagentur Associated Press (AP) darf nicht mehr aus dem Oval Office berichten, die russische Nachrichtenagentur TASS war bei dem Gespräch mit Selenskyi dabei. Jeff Bezos, Amazon-Milliardär und Eigentümer der Washington Post (WP), greift zum wiederholten Mal zugunsten von Trump in die redaktionelle Freiheit der WP ein. Das Drehbuch für alles kann man hier nachlesen. Der Multimilliardär Peter Thiel hat es schon vor über zehn Jahren verfasst.
Der Frieden, den wir in Deutschland seit 1945 genießen, fußt auf einer Weltordnung, die nach 1945 im Wesentlichen von den USA gestaltet wurde. Die Verfassung der Welt, die Charta der Vereinten Nationen, ist Werte- und Regelbasiert. Sie garantiert territoriale Souveränität und Integrität aller Staaten, verweist auf die Bedeutung der Menschenrechte und enthält ein allgemeines Gewaltverbot. Angriffskriege sollen geächtet sein. Es soll das Recht gelten, nicht das Unrecht des Stärkeren.
Die Welthandelsorganisation (WTO) gewährleistet freien Handel und will Handelskonflikte nach festen Regeln schlichten und beenden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) setzt sich weltweit für bessere und gesündere Lebensbedingungen ein. Bei der Bekämpfung von Epidemien und Pandemien ist sie unerlässlich.

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Aus der WHO sind die USA unter Trump ausgetreten. Die Programme für USAID, die große amerikanische Entwicklungshilfe-Organisation, wurden gestoppt. Die Folgen sind tödlich für viele Tausend, deren Überleben von der amerikanischen Hilfe abhängt.
Trump verhängt Strafzölle und torpediert den freien Welthandel. 25 Prozent gegen Waren aus Kanada und Mexiko, 20 Prozent gegen China, 25 Prozent auf alle Stahl- und Aluminium-Importe unabhängig vom Herkunftsland. Ab April sind Zölle von 25 Prozent auf alle landwirtschaftlichen Importe geplant. Zölle von 25 Prozent auf die europäische Automobilindustrie und weitere Waren sollen folgen.
Kanada, Mexiko und China haben bereits Gegenmaßnahmen beschlossen, also Zölle, die Importe aus den USA verteuern. Die Europäische Union und andere Länder werden folgen. Dieser von den USA angezettelte Handelskrieg kann die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen. Es ist kein Trost, dass die USA selbst darunter vielleicht am meisten leiden werden. Trump wird seiner Gefolgschaft schon einen anderen Schuldigen präsentieren.
Vor diesem Hintergrund ist zu bewerten, dass Trump in der Außen- und Sicherheitspolitik völlig anders agiert als alle amerikanischen Präsidenten seit Roosevelts Kriegseintritt gegen Nazi-Deutschland. Damals stellten sich die USA an die Seite der bedrohten europäischen Demokratien. Heute stellt sich Trump auf die Seite autoritärer Herrscher.
Als die europäischen Demokratien nach 1945 durch eine expansive Sowjetunion unter Druck gerieten, gründeten die USA mit der NATO eine transatlantische Verteidigungsallianz, die durch ihre glaubwürdige Abschreckungsfähigkeit den Frieden im Kalten Krieg und die territoriale Integrität ihrer Mitglieder gewährleistete.
Darauf vertrauten auch die mittel- und osteuropäischen Staaten, die nach dem Ende des Kalten Krieges in die NATO drängten, um auch für den Fall, dass es mit der Demokratisierung Russlands nicht klappen würde, sicher zu sein.
Putin will eine neue Weltordnung
Bekanntlich hat das in Russland nicht geklappt. Putin hat ein autoritär-diktatorisches Regime errichtet, eine oligarchische Kleptokratie. Auf die Repression nach innen, die mit seinem Amtsantritt 1999 begann, folgte die Aggression nach außen: 2007 gegen Georgien, 2014 die Annexion der Krim und der Krieg gegen die Ukraine im Donbas, 2015 die Unterstützung des Kriegsverbrechers Assad im syrischen Bürgerkrieg und schließlich am 24. Februar 2022 die Invasion in die Ukraine.
Die Ukraine gebe es gar nicht, hatte Putin behauptet. Sie sei seit dem Mittelalter russisches Kernland. Deshalb bestreitet er die Souveränität der Ukraine und will sie als Staat auslöschen. Ein ukrainisches Volk gebe es nicht. Alle Menschen in der Ukraine seien Russen, behauptet Putin. Und wer sich nicht als Russin oder Russe fühle, sei Nazi. Die Ukraine müsse „entnazifiziert“ werden.
Putin denkt großrussisch-imperial. Er will eine neue Weltordnung, in der zwischen Wladiwostok und Lissabon alles unter russischem Einfluss steht. Er nimmt die alte sowjetische Strategie wieder auf, die USA aus Europa zu vertreiben und damit beide zu schwächen.
Bis zum Amtsantritt von Trump hatte der „Westen“ diese Herausforderung verstanden. Die europäischen Staaten, die USA, aber auch Länder wie Japan und Südkorea standen der Ukraine durch militärische und wirtschaftliche Hilfe bei. Die USA leisteten einen großen Anteil. Dank dieser Unterstützung konnte die Ukraine entgegen allen Erwartungen der russischen Übermacht bis heute standhalten.
Nicht erst mit seinem vollmundigen Versprechen, er werde binnen 24 Stunden für Frieden in der Ukraine sorgen, hat Trump Befürchtungen geweckt, ob sein geplanter „Deal“ die ukrainischen Interessen genügend berücksichtigen würde.
Die letzten Hoffnungen müssen begraben werden, seitdem Trump und Vance den ukrainischen Präsidenten in historisch beispielloser Weise vor der Weltöffentlichkeit gedemütigt haben. Die USA haben die Seiten gewechselt.
Täter-Opfer-Umkehr
Das hatte sich mit der Rede von Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz abgezeichnet, auf der er den europäischen Verbündeten Einschränkungen der Meinungsfreiheit vorwarf und davon sprach, die „Feinde im Inneren“ seien gefährlicher als Russland.
Dann folgten die Abstimmungen in den Vereinten Nationen, bei denen die USA sich weigerten, Russland als Aggressor zu bezeichnen. Ein weiterer Schritt zur Täter-Opfer-Umkehr, um die amerikanische Öffentlichkeit auf eine Einstellung der amerikanischen Hilfe für die Ukraine vorzubereiten.
Bei seinem „Deal“ ging es Trump nie um ukrainische, sondern nur um amerikanische Interessen, wie er sie definiert. In der Auseinandersetzung mit China will er Russland auf seine Seite ziehen. Dafür wirft er die Ukraine vor den Bus und gibt Putin Hoffnung auf Europa.
Trumps „Angebot“ an die Ukraine: Werdet eine amerikanische Rohstoff-Kolonie, dann haben die USA ein Interesse daran, die Ukraine zu verteidigen. Schließlich wollen wir „unsere Rohstoffe“ behalten. Aber was bedeutet diese Denke für die bisherigen Verbündeten der USA, die keine seltenen Erden haben? Und was passiert, wenn Putin den USA noch mehr Rohstoffe aus der Ukraine verspricht?
Trump kündigt an, auch Taiwan zu verraten, sobald Taiwan seine Halbleiter in den USA produziert. Taiwan ist hoffentlich klug genug, die entscheidende Endfertigung im eigenen Land zu behalten.
Unabhängig davon, wie es mit der Ukraine weitergeht: Europa weiß jetzt, dass es „den Westen“ mit gemeinsamen Werten und Überzeugungen nicht mehr gibt. Die USA werden sich als egoistisches Imperium verhalten, so wie Russland und China. Nur ein starkes, einiges Europa kann die europäischen Staaten vor imperialem Zugriff von außen schützen. Das erfordert mentale und materielle Verteidigungsfähigkeit.
Wunschdenken hilft nicht weiter. Je eher Europa die neue Realität erkennt, desto besser. Wir brauchen keine Angst zu haben, wenn die EU entschlossen handelt. Die EU ist wirtschaftlich zehn Mal stärker als Russland. Das BIP der EU beträgt 14,4 Billionen Euro, in Russland lediglich 1,4 Billionen Euro. Die Wirtschaftsleistung Russlands entspricht etwa der von Italien. In der EU leben 500 Millionen Menschen, in Russland 140 Millionen.
Es sieht so aus, als hätten Union und SPD die Zeichen der Zeit erkannt. Es ist richtig, die Unterstützung der Ukraine zu steigern und die deutsche Verteidigungsfähigkeit massiv zu stärken. Wir müssen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen. Dazu ist die geplante Modifizierung der Schuldenbremse für Verteidigung eine notwendige, wenn auch noch keine hinreichende Bedingung.
Geld allein reicht nicht. Neben der materiellen brauchen wir auch eine mentale Verteidigungsbereitschaft. Ein Blick auf das Leben in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine könnte dabei helfen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche.
Herzliche Grüße
Ihr Ruprecht Polenz
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PS
In der Nacht zu Rosenmontag ist Hanna geboren worden, unser zehntes Enkelkind. In einem Glückwunsch hieß es, dass sie das 22. Jahrhundert erleben könne. Das hoffe ich auch, und dass sie, wie ihre Großeltern, bis dahin in Frieden und Freiheit leben kann.
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