Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Das richtige Signal

Porträt von Ruprecht Polenz
Mit Ruprecht Polenz

Guten Tag,

einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.

Haben Sie in Ihrer Familie oder mit Freunden und Bekannten schon mal darüber diskutiert, ob die AfD verboten werden sollte? Ich finde, spätestens jetzt, wo der Verfassungsschutz die gesamte AfD als „gesichert rechtsextrem“ einstuft, müssen wir diese Debatte führen.

In dieser Kolumne möchte ich Ihnen begründen, weshalb ich nach reiflicher Überlegung meine frühere Meinung geändert habe und dafür bin, dass ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht durchgeführt werden sollte.

Während ich diesen Text schrieb, kam die Nachricht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz vor dem Verwaltungsgericht Köln eine „Stillhaltezusage“ abgegeben hat, die Einstufung also erst einmal aussetzt. Die AfD wehrt sich juristisch gegen die Einstufung. Mit der Zusage verhindert der Verfassungsschutz, dass das Gericht ihm die Einstufung verbietet.

An der ausführlich begründeten Einschätzung des Verfassungsschutzes ändert sich nichts, auch wenn die AfD die Aussetzung als Erfolg bejubelt. Die AfD hatte seinerzeit auch gegen die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall geklagt. Sowohl das Verwaltungsgericht Köln als auch das Oberverwaltungsgericht Münster haben diese Klage abgewiesen.

Wer sich ein Bild darüber machen will, weshalb der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextrem“ einstuft, kann sich auf der Transparenz-Plattform „Frag den Staat“ informieren. Sie zitiert wichtige Passagen des Gutachtens im Wortlaut.

Mit dem Demokratieprinzip auf Kriegsfuß

Im Wesentlichen geht es darum, dass die AfD nicht anerkennt, dass alle Menschen die gleiche, unantastbare Menschenwürde haben. Die Partei vertritt einen völkischen Nationalismus, dessen ethnisch-abstammungsmäßiger Begriff vom „deutschen Volk“ und wer dazu gehört, mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.

Hinzu kommt eine massive Fremdenfeindlichkeit, die nach Ansicht des Verfassungsschutzes von jener der verfassungsfeindlichen NPD nicht mehr zu unterscheiden ist. Die notorische und aggressive Islamfeindlichkeit der AfD ist mit dem Grundgesetz ebenfalls nicht vereinbar. Auch mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes steht die AfD auf Kriegsfuß, wenn sie beispielsweise die demokratischen Parteien mit dem klassischen, extrem rechten Kampfbegriff als „Vaterlandsverräter“ diffamiert.

Im alten Bundestag gab es deshalb eine parteiübergreifende Initiative dafür, dass der Bundestag beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag stellt. Der Bundestag lehnte das seinerzeit mehrheitlich ab. Nur der Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat können einen Antrag für ein Partei-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht stellen. Artikel 21 des Grundgesetzes bestimmt in Absatz 2 die Voraussetzungen für ein Parteiverbot:

„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“

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Das Grundgesetz schreibt nicht vor, dass verfassungsfeindliche Parteien verboten werden müssen, so wie der Staat Straftaten verfolgen muss (Legalitätsprinzip), sondern überlässt es der Politik, verfassungsfeindliche Parteien stattdessen politisch zu bekämpfen (Opportunitätsprinzip) – und nennt die Voraussetzungen für ein Parteiverbot.

Es gibt gewichtige Argumente dafür, mit dem scharfen Schwert eines Parteiverbotsverfahrens vorsichtig umzugehen: Die Partei kann sich als Märtyrer und verfolgte Unschuld darstellen. Nach einem Verbot geht sie vielleicht in den Untergrund und ist noch schwerer zu bekämpfen.

Man weiß nicht genau, wie das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ausgeht. Falls der Verbotsantrag scheitert, könnte das Urteil wie ein demokratisches Gütesiegel wirken und die Partei sogar noch stärken.

Aber die AfD wird sich immer als Opfer darstellen. Sie wird immer behaupten, sie käme nicht genug zu Wort, werde benachteiligt und unterdrückt. Diese Opferlegende erzählt die AfD aus strategischen Gründen. Wer Opfer ist, kann nicht Täter sein. Außerdem spekuliert sie auf Sympathieeffekte als verfolgte Unschuld. Also: Ob mit oder ohne Verbotsverfahren – die AfD stellt sich immer als Opfer dar.

Gute Gründe auf tausend Seiten

Schon jetzt unterhält die AfD ein weitgespanntes Netz und enge Verbindungen zu Organisationen in ihrem rechtsextremen Umfeld wie beispielsweise Kampfsport-Gruppen oder der Identitären Bewegung, die bei vielen ihrer Aktivitäten das Licht der Öffentlichkeit scheuen.

Natürlich muss vorher sorgfältig geprüft werden, ob ein Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht hinreichend sicher Erfolg haben wird. Das über tausend Seiten starke Gutachten des Verfassungsschutzes liefert sehr gute Gründe dafür. Aber die genaue juristische Auswertung für einen Verbotsantrag muss noch erfolgen.

Gegen einen Verbotsantrag wird oft eingewandt, mit einem Verbot der AfD seien die Probleme des Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft nicht gelöst. Das stimmt, ist aber ein Strohmann-Argument. Wirklich niemand behauptet, dass man die Probleme, ausgelöst von Feinden der Demokratie „nur“ durch ein Parteiverbot lösen könnte. Aber es würde schon mal helfen, wenn Rechtsextremisten nicht auch noch jedes Jahr 12,8 Millionen Euro staatlicher Parteifinanzierung für ihre Wühlarbeit bekämen.

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Statt eines Parteiverbots müsse man die Ursachen für das Erstarken der AfD bekämpfen, heißt es oft. Das muss man tun. Aber niemand käme auf die Idee, die Bekämpfung von Ursachen für Kriminalität als Alternative für eine Strafverfolgung der konkreten Taten anzusehen.

Bei der Diskussion um ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme AfD ist das anders. Als ob das politische Adressieren der Ursachen für Rechtsextremismus einen Ersatz für den Versuch darstellt, der AfD durch ein Verbot das Handwerk zu legen.

Die AfD werde überwiegend aus Protest gewählt, und Protest könne man nicht verbieten, hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann gesagt.

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Man kann Protest nicht verbieten. Aber man kann die Partei verbieten, die Protest rechtsextremistisch umformuliert und gegen die Grundlagen unserer Demokratie richtet, sodass es dieser immer schwerer fällt, die Probleme zu lösen.

Außerdem belegt eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, dass die Motive für eine Wahl der AfD vielschichtiger sind als reiner Protest.

Diesen Punkt übersehen viele, die sagen, man müsse die AfD „wegregieren“ (Alexander Dobrindt, CSU) oder „politisch kleinkriegen“ (Lars Klingbeil, SPD). Wenn man nur die Probleme löse, die die AfD groß gemacht hätten, würde die Partei bedeutungslos werden. Diese Ansicht verkennt, dass es nicht nur auf die Themen der AfD ankommt, sondern vor allem auf ihre Methoden.

Hemmungslose Polarisierung

Die AfD zersetzt planvoll und strategisch die Grundlagen, auf denen unsere Demokratie beruht. Der Staatsrechtslehrer Wolfgang Böckenförde hat in einem viel zitierten Diktum darauf hingewiesen, dass „der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.

Er meinte damit das soziale Kapital, das unsere Gesellschaft für ihren Zusammenhalt jeden Tag erwerben muss, und das Vertrauen, dass alle sich an die Regeln halten.

Die AfD zerstört durch ihre hemmungslose Polarisierung vorhandenes soziales Kapital in unserer Gesellschaft und verhindert, dass neues soziales Kapital durch erfolgreiche Integration entstehen kann. Außerdem untergräbt sie systematisch das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und die Presse. Dafür nutzt sie vor allem Themen wie Migration oder (Ausländer)-Kriminalität. Sie würde aber auch andere Themen für ihre Zersetzungsarbeit finden.

Ausschlaggebend dafür, dass ich für einen AfD-Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht bin, war letztlich folgende Überlegung: Es gibt inzwischen in Deutschland viele Menschen, die sich wegen des Erstarkens der AfD ernsthafte Sorgen um ihre persönliche Sicherheit machen. Menschen mit anderer Hautfarbe, anders klingenden Namen, mit Einwanderungsgeschichte.

Ich finde, wir sind es diesen Mitbürgerinnen und Mitbürgern schuldig, ihre Sorgen ernst zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass wir uns als Gesellschaft vor sie stellen. Dass wir alles tun, um die „gesichert rechtsextremistische AfD“ politisch, aber auch juristisch zu bekämpfen. Ein Verbotsantrag wäre dafür das richtige Signal.

Ich wünsche Ihnen noch einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

Herzliche Grüße

Ihr Ruprecht Polenz

Porträt von Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz

Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.

Die Kolumne

Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.

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