Die Kolumne von Christian Vechtel | Von Teichen, Tulpen und Tassen

Portrait von Kolumnist Christian Vechtel
Mit Christian Vechtel

Guten Tag,

manchmal spiegelt sich die Geschichte in einem kleinen Detail wider – vielleicht in der Farbe eines kleinen Modellschiffs, in der Gravur eines Bechers oder in der Idee eines Kunstwerks. Heute möchte ich Ihnen drei Gegenstände vorstellen, die aus Münster stammen oder ihren Weg dorthin gefunden haben. Jeder für sich ist besonders. Und jeder erzählt heute noch aus der Vergangenheit.

Playmobil von damals

Fangen wir an mit einem Stück aus den 1930er-Jahren: ein sogenannter Bäderdampfer, hergestellt von der Nürnberger Firma Fleischmann. Das Modell ist rund 50 Zentimeter lang, aus Blech gefertigt und farbig lithografiert.

Es hat zwei Masten, Reling, Schornstein und einen Uhrwerksantrieb. Wenn man es aufzieht, läuft die kleine Schraube am Heck los, und das Schiff bewegt sich durchs Wasser. Wahrscheinlich war es für den Teich gedacht, vielleicht für die Badewanne, vielleicht für einen Ausflug an den Aasee.

Bäderdampfer-Modell aus den 1930er-Jahren – mit Uhrwerk, Reling und farbiger Lithografie. Das Schiff weckt Erinnerungen an Matrosenanzüge, Kanalufer und eine Zeit, in der Spielzeug noch Generationen überdauerte.

Beim versonnenen Betrachten ruft dieses Spielzeug gleich ein Bild hervor. Man stellt sich einen Jungen im Matrosenanzug vor, der am Kanalufer kniet und das Schiff aufs Wasser setzt. Dann zieht es seine Kreise.

Der Wert dürfte heute bei etwa 150 bis 200 Euro liegen. Für Sammler zählt hier auch die Farbvariante. Es gibt grüne, rote, blaue Ausführungen – und einige sind seltener als andere.

Solche Spielzeuge waren das Playmobil ihrer Zeit. Aber nicht alle Familien konnten sich so etwas leisten. Das Bäderschiff gehörte zur Welt der bürgerlichen Haushalte. Es war kein Luxus, aber auch kein Alltagsgegenstand. Das Schiff stammt aus einem Münsteraner Haushalt und wurde über Generationen hinweg aufbewahrt. So etwas warf man weder weg noch war es üblich, es zu verkaufen. Daher verwahrte man es. Die Spuren verraten, dass Kinder mit dem Schiff tatsächlich gespielt haben. Es ist fast vollständig, nur die Rettungsboote fehlen. Vielleicht liegen diese heute in einem anderen Hafen.

Ein 376 Jahre alter Becher

Das zweite Objekt, ein kleiner Silberbecher, ist von 1649 und somit deutlich älter. Nur ein Jahr vor seiner Herstellung wurde im Friedenssaal der Dreißigjährige Krieg beendet und der Westfälische Frieden geschlossen.

Die Stadt- und Meistermarke verrät uns, dass der Becher aus Hildesheim kommt. Er ist etwa sieben Zentimeter hoch und hat florale Gravuren. Die Blumen erinnern an Tulpen. Und das ist kein Zufall: In der Mitte des 17. Jahrhunderts waren Tulpen nicht nur schön – sie waren Spekulationsobjekte, vor allem in den Niederlanden.

Ein silberner Becher, aus dem Jahr 1649, wenige Monate nach dem Westfälischen Friedens. Das Stück war Teil eines „Silberschatzes“, so nannte ihn die Frau, die ihn in Münster in den Laden brachte.

Dort entstanden regelrechte Börsen für Tulpenzwiebeln. Einzelne Züchtungen erzielten Preise, für die man ein Grachtenhaus kaufen konnte. Bis zum ersten dokumentierten Börsencrash der Geschichte, dem Tulpenfieber. Mit ihm brach alles zusammen. Danach waren die Zwiebeln kaum noch etwas wert.

Ergänzt werden die sorgfältig ausgearbeiteten Blumen durch eine Gravur aus dem Jahr 1678, wahrscheinlich anlässlich einer Hochzeit. Die Wandung ist leicht konisch, also in der Form eines Kegels, daher spricht man von einem Konusbecher. Innen ist er vergoldet, ebenso an der Trinkkante – der sogenannten Goldlippe.

Eine Besonderheit ist: Das Gefäß wurde aus einem einzigen Silberblech getrieben – und zwar von Hand; das erkennt man an einem kleinen vertieften Punkt im Boden. Von dort aus wurde das Material mit dem Hammer nach oben gearbeitet und anschließend verziert. Heute ist das eine ausgestorbene Technik. Sie macht das Stück zum Unikat.

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Das Exemplar war Teil eines kleinen „Silberschatzes“. So nannte es eine Frau aus dem Münsterland, die diesen Schatz in unseren Laden brachte – vorsichtig verpackt, als wüsste sie um den Wert. Der eigentliche Zuschlag könnte vermutlich um die tausend Euro bringen.

Würde der Becher zu sprechen beginnen, würde er uns davon erzählen, welche Feste er durchlebt hat, durch wessen Hände er glitt und wer von seiner Lippe gekostet hat.

Wahrscheinlich war es kein Becher unter vielen. Man kann vermuten, dass er dem Familienoberhaupt gehörte – vielleicht dem Vater oder dem Großvater. In jedem Fall war es ein Einzelstück, das zu besonderen Gelegenheiten auf den Tisch kam. In dieser Zeit hatte jeder seinen eigenen Becher. Aber eben nicht jeder hatte einen aus Silber.

Tasse trifft Kaninchen

Und nun zum dritten Stück, einem ganz anderen als die beiden zuvor. Es stammt aus einer Münsteraner Sammlung. Die Familie hatte enge Verbindungen zur Düsseldorfer Kunstakademie und sammelte gezielt Werke der Nachkriegszeit. Dieser Gegenstand scheint jedoch nicht aus einer Zeit zu stammen, sondern aus einer anderen Welt: der Kunstwelt der 1970er-Jahre.

Bei dem Objekt – man könnte auf den ersten Blick gar nicht sagen, was es ist – handelt es sich um ein Werk des Düsseldorfer Künstlers Günter Weseler aus dem Jahr 1975.

Weseler war einer der wenigen deutschen Vertreter der kinetischen Kunst – einer Kunstform, bei der sich das Werk bewegt. In diesem Fall: durch einen kleinen Motor.

Was man sieht, ist eine zerschlagene englische Porzellantasse mit Unterer, über der ein Kaninchenfell liegt (hier in einem kurzen Video zu sehen). Wenn man den Stecker einsteckt, hebt und senkt sich das Fell in gleichmäßigem Rhythmus, ganz und gar nicht mechanisch – eher wie ein ruhiger Atem.

Weseler nannte diese Serie Atemobjekte. Sie bewegen sich irgendwo zwischen Leben und Tod. Zwischen Faszination und Ekel.

Haben Sie einen Gegenstand zu Hause, der eine Geschichte hat – oder eine braucht? Dann schicken Sie uns gern Fotos zu. Vielleicht steckt mehr dahinter, als man auf den ersten Blick sieht.

Mit zeitgenössischen Grüßen

Ihr Christian Vechtel

Portrait von Kolumnist Christian Vechtel

Christian Vechtel

…kam im Jahr 1998 nach Münster, um Kunstgeschichte, Ethnologie und Geschichte zu studieren. Schon während seines Studiums arbeitete er in einem Auktionshaus. Nach seinem Abschluss im Jahr 2003 fing er dort an. Im Jahr 2012 gründete er zusammen mit Christian Becker das Auktionshaus „zeitGenossen“ an der Finkenstraße. Seit 2018 wirkt er als Händler in der ZDF-Sendung „Bares für Rares“ mit.

Die Kolumne

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