- Newsletter
- Kolumnen
- Kolumne von Dina El Omari
Die Kolumne von Dina El Omari | Wann man die Stimme erheben darf

Guten Tag,
wir leben in Zeiten schwerer menschlicher Krisen: Während die Bomben auf die Ukraine, den Iran und auf Israel fallen und dabei unschuldige Zivilist:innen sterben, sehen wir zur gleichen Zeit, wie auf hungernde Kinder und Menschen im Gazastreifen an den Ausgabestellen für Nahrung geschossen wird und dieser zur Hölle auf Erden wird. Gleichzeitig findet im Sudan die größte Migrationskrise der Welt statt. Der Weltschmerz, der einen bis ins Mark erschüttern kann, ist groß.
Wir, die fernab von diesen ungeheuerlichen Geschehnissen leben, sind oftmals trotz der geographischen Distanz zutiefst von dem menschlichen Leid betroffen und es macht sich Hilflosigkeit und ein Gefühl der Ohnmacht bei uns breit: Wir wollen helfen, wir wollen etwas tun, aber wie ist das möglich?
Eine Möglichkeit ist die Erhebung der Stimme gegen das Unrecht, indem man gemeinsam auf die Straßen geht und für Frieden, Menschenrechte und Menschlichkeit demonstriert. Darüber hinaus können jede Form von Medien sowie andere Plattformen genutzt werden, um Menschenrechts- sowie Völkerrechtsverletzungen anzusprechen und sichtbar zu machen.
Dabei darf natürlich trotz hoher Emotionalität niemals ein Narrativ der Einseitigkeit entstehen und das Leid von Menschen gegeneinander aufgerechnet beziehungsweise relativiert werden. Gleichzeitig ist es zunehmend ein Problem, dass angesichts der rasant sich weiterentwickelnden künstlichen Intelligenz immer wieder Fake-News und Fake-Bilder/Videoaufnahmen kreiert oder aber umgedeutet werden.
Nicht zuletzt ist dies mit einem Video geschehen, das eine Gruppe von Iraner:innen zeigt, welche das persische Neujahrsfest Nowruz auf der Straße feierten. Das Video zirkulierte dann in den letzten Tagen in den sozialen Medien als „Beweis“, dass eine Gruppe von Iraner:innen den israelischen Angriff gefeiert habe.
Hier ist also durchaus Vorsicht geboten und es ist äußerst ratsam, sich auf Quellen zu beziehen, wie die UN, Amnesty International oder andere seriöse (Hilfs-)Organisationen, um sich ein umfassendes Meinungsbild einzuholen. Denn letztendlich ist ein möglichst differenzierter Blick auf nicht immer leicht zu durchschauende Sachverhalte eine Grundvoraussetzung, sich überhaupt für Gerechtigkeit einzusetzen.
Der Einsatz für Gerechtigkeit hat dabei allerdings nicht nur eine ethisch-moralische beziehungsweise gesellschaftliche Perspektive, sondern auch eine religiöse. So ist er ein hohes islamisches Gut und die Gerechtigkeit ist einer der wichtigsten Namen Gottes im Islam. Im Koran heißt es zudem: „O die ihr glaubt! Seid standhaft für Gerechtigkeit, als Zeugen für Gott, auch wenn es gegen euch selbst oder gegen eure Eltern und Verwandten ist.“ (Sure 4:135).
Das zeigt sehr deutlich: Der Einsatz für Gerechtigkeit kennt keine Religion, keine Verwandtschaft, keine Labels. Es geht darum, sich gegen jede Form der Unterdrückung und Ungerechtigkeit vehement zu positionieren. Der Prophet soll dies ebenfalls deutlich zum Ausdruck gebracht haben, so heißt es in einer Überlieferung: „‚Hilf deinem Bruder – ob er ungerecht handelt oder ihm Unrecht geschieht.‘ Die Gefährt:innen fragten: ‚Wie kann man jemandem helfen, der Unrecht tut?‘ Der Prophet antwortete: ‚Indem du ihn daran hinderst, Unrecht zu tun. Das ist wahre Hilfe.‘“

Anonymer Briefkasten
Haben Sie eine Information für uns, von der Sie denken, sie sollte öffentlich werden? Und möchten Sie, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, woher die Information stammt? Dann nutzen Sie unseren anonymen Briefkasten. Sie können uns über diesen Weg auch anonym Fotos oder Dokumente schicken.
Der Einsatz für Gerechtigkeit geht Hand in Hand mit dem Einsatz für Mitmenschlichkeit sowie dem Schutz des menschlichen Lebens, was gleichzeitig eine weitere Perspektive des Handelns eröffnet: die finanzielle Unterstützung von Hilfsorganisationen, die insbesondere Nahrung und medizinische Versorgung in Kriegsgebiete bringt und zwar zum Teil unter lebensgefährlichen Umständen.
Diese Organisationen sind auf unsere Spenden angewiesen und ermöglichen es uns gleichzeitig über einen indirekten Weg, etwas gegen das unsagbare Leid der Menschen zu tun. Auch diese Form der finanziellen Unterstützung hat durchaus eine religiöse Komponente, ist sie doch ein zentraler Bestandteil der islamischen Ethik und ein zentraler verpflichtender Bestandteil der religiösen Praxis.
Das wird besonders deutlich in der folgenden dem Propheten Muhammad zugeschriebenen Aussage: „Wer seinen Nachbarn hungern lässt und satt zu Bett geht, ist keiner von uns.“ Dieser Nachbar steht symbolisch dafür, dass unser Mitgefühl bei unserem unmittelbaren Umfeld beginnt, darüber hinaus aber auch in die weite Welt hineinstrahlen sollte.
Wir leben in Zeiten, in denen wir immer wieder mit unfassbarem Leid konfrontiert werden. Die Gefahr, abzustumpfen, aber auch aus Opfern belanglose Zahlen ohne Gesichter und Geschichten zu machen, ist groß. Wir dürfen nicht wegsehen, nicht still sein. Solange jede:r Einzelne von uns seinen Beitrag für die Menschlichkeit, auch über den eigenen Kontext hinaus, leistet, besteht Hoffnung. Dafür reicht es auch manchmal einfach aus, im stillen Gebet all derer zu gedenken, die Opfer von Gewalt, Krieg und Krisen sind.
Herzliche Grüße
Ihre Dina El Omari
Diese Kolumne teilen und RUMS weiterempfehlen

Dina El Omari
… ist Professorin für interkulturelle Religionspädagogik am Zentrum für Islamische Theologie. Sie forscht und lehrt zu den Themen feministische und geschlechtersensible islamische Theologie, interreligiöses Lernen sowie islamische Textwissenschaften.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
Ihnen gefällt dieser Beitrag?
Wir haben Ihnen diesen Artikel kostenlos freigeschaltet. Doch das ist nur eine Ausnahme. Denn RUMS ist normalerweise kostenpflichtig (warum, lesen Sie hier).
Mit einem Abo bekommen Sie:
- 2x pro Woche unsere Briefe per E-Mail, dazu sonntags eine Kolumne von wechselnden Autor:innen
- vollen Zugriff auf alle Beiträge, Reportagen und Briefe auf der Website
- Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen: Die ersten 6 Monate zahlen Sie nur einen Euro.
Wir freuen uns sehr, wenn wir Sie ab heute in der RUMS-Community begrüßen dürfen!
Sie möchten dieses Thema mit anderen Leser:innen diskutieren oder uns Hinweise geben
Nutzen Sie einfach unsere Kommentarfunktion unterhalb dieses Textes. Wenn Sie diese Kolumne gerade als E-Mail lesen, klicken Sie auf den folgenden Link, um den Text auf unserer Website aufzurufen:
diese Kolumne kommentieren