Die RUMS-Kolumne mit Marion Lohoff-Börger | Admiral-Scheer-Straße? Warum nicht: An der Öle?

Porträt von Marion Lohoff-Börger
Mit Marion Lohoff-Börger

Guten Tag,

an der Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit dem Gebrauch von Worten und Begriffen ihrer Sprache umgeht, kann man einiges über den Umgang mit ihrem geschichtlichen Erbe ablesen. Um diese These für die Stadtgesellschaft Münsters zu verifizieren, möchte ich zwei Dinge zusammenbringen: zum einen die Debatte um Umbenennung der Straßennamen in Münster Mauritz und zum anderen den Umgang mit der Masematte.

Ich wohne seit fast dreißig Jahren „auf Mauritz“, einem schicken Viertel in Münsters Osten. Ich bin aber nicht stolz darauf und betone immer, dass es dort tatsächlich auch bezahlbare Wohnungen gibt, zum Beispiel an der Skagerrakstraße, wo ich lebe. Die Straße wurde nach der größten Seeschlacht in der Weltgeschichte am Skagerrak, dem nördlichsten Zipfel von Dänemark, von den Nationalsozialisten so benannt. Bei dieser Schlacht starben 9.000 Menschen.

Ich wohne in einer Mietswohnung in einem Häuserblock, an dessen Balkonen zur Straße hin sichtbar die Jahreszahl 1937 in die Balkongitter eingearbeitet ist, was Rückschlüsse auf seine Erbauung während des Nationalsozialismus zulässt. Die Wohnungen sind ursprünglich für die Familien der hohen Militärs der Manfred-von-Richthofen-Kaserne erbaut worden, inklusive Mansardenzimmer für die Hausmädchen.

Nicht nur die Bauweise deutet auf Aktivitäten der Nationalsozialisten hin, auch die Straßennamen in der Umgebung, wie Skagerrakstraße, Otto-Weddigen-Straße, Admiral-Scheer-Straße und Admiral-Spee-Straße. Sie sind allesamt zu Propagandazwecken und zur Kriegsverherrlichung entstanden und sollten eigentlich schon 1947 laut Erlass der britischen Besatzer umbenannt werden.

Für Diskussionen keine Zeit

Die Bezirksvertretung Mitte beantragte unlängst beim Rat eine Umbenennung, weil es im öffentlichen Interesse sei, „keine Straßennamen, keine Personen und Orte zu würdigen, die den Werten der Demokratie widersprechen.“ Der Rat stimmte zu. Doch mit einem Bürgerbegehren versucht die „Bürgerinitiative für Münsters Straßen“, die demokratisch und historisch wissenschaftlich fundiert getroffene Entscheidung aufzuheben. Ihre Mitglieder stehen samstags vorm Rewe und vorm Aldi und sammeln eifrig Unterschriften, um eine Umbenennung zu verhindern.

Für Diskussionen und kritische Anfragen zwischen Klemmbrett und Einkaufswagen bleibt da keine Zeit. Ich persönlich hoffe, dass dieses Bürgerbegehren zu einem Eigentor der Initiative wird, denn dürfen erst alle im Viertel abstimmen, dann tun das auch die vielen Mieter:innen und Anwohner:innen, die sich wie ich für ihre Straßennamen schämen, wenn der Besuch aus Spanien, die Freundin aus Sri Lanka und der Kollege aus Syrien fragen, wer denn dieser Otto Weddigen oder dieser Admiral Scheer gewesen sei.

Peinlich für uns Anwohner, weil die Stadt Münster mit ihren Straßennamen immer noch Menschen verehrt, die an dem Tod von tausenden Seeleuten eine Mitschuld tragen. Und ja, ich identifiziere mich mit meiner Stadt, meinem Umfeld, meiner Nachbarschaft.

Ich bin Teil davon und ja, ich identifiziere mich auch mit ihren Aushängeschildern, ihren Straßennamen. Und nein, es ist mir nicht egal, wenn vor 115 Jahren 9000 Seeleute den Tod fanden und 20 Jahre später die Nationalsozialisten die Männer, die dafür mitverantwortlich waren, zu Propagandazwecken für einen neuen Krieg funktionalisierten.

Was für Rückschlüsse lässt das auf uns Münsteraner:innen zu, wenn wir zeigen, dass wir seit 1947 unsere Hausaufgaben in Sachen Straßenumbenennungen nicht gemacht haben?

Ein Argument für die Beibehaltung der Straßennamen höre ich in Gesprächen immer wieder: Die Leute sind es müde, sich immer wieder diesen Umbenennungsdiskussionen zu stellen. Sind wir einfach zu müde oder zu faul geworden? Und laufen wir mit dieser Faulheit oder Ignoranz nicht Gefahr antidemokratischen Kräften in unserer Gesellschaft Tür und Tor zu öffnen?

Wissen über die Herkunft fehlt

In Bezug zur Masematte, einer Sondersprache, deren ursprüngliche Sprecher:innengruppe mit dem Holocaust vernichtet wurde, weil ihre Sprecher:innen jüdischer Abstammung, Sinti:zze und Rom:nja oder sogenannte Asoziale waren, zeigt sich Münsters Stadtgesellschaft ein weiteres Mal mehr von ihrer Seite, die Geschichte ihrer Vorfahren nur rudimentär oder gar nicht aufzuarbeiten.

Auch bei der heißgeliebten Sondersprache geht es wieder um das Entwickeln und Wahren von Identitäten. Allerdings ein wenig beliebig, je nach den aktuellen Bedürfnissen der Nutzer:innen der Masematte.

Viele Bürgerinnen und Bürger Münsters kennen zwar einige Begriffe und wissen auch, dass sie der Masematte zugehörig sind, aber Kenntnisse über die Herkunft der Wörter wie jovel, schofel und Leeze ist dem Großteil unbekannt. Und eine gängige Erklärung, die gefühlt jede:r zweite vertritt und die besagt, dass es sich bei der Masematte um eine Gaunersprache jüdischer Viehhändler handle, ist schlichtweg antisemitisch.

Masemattebegriffe werden, ohne den historischen wie etymologischen Hintergrund zu recherchieren, für alle möglichen Produkte oder Werbekampagnen eingesetzt. Pimpt man eine Bierflasche, ein Brot oder einen Schnaps mit einem Masemattewort auf, ist die Wahrscheinlichkeit, es gut zu verkaufen, größer. weil das ja schließlich zum positiven Münsterfeeling gehört. Dass wir die Sprache mit ihren Sprecher:innen durch die Nationalsozialisten verloren haben, scheint auch niemanden zu stören, wenn die Sprache im Karneval oder anderen kulturellen Bereichen verballhornt wird.

Sag einfach: „Wat is dat schofel mit der Leeze zu peseln, wenn es in Münster meimelt“ und der Saal lacht. Nicht weil es ein guter Witz ist, sondern weil sich allein der Klang der Sprache in den Ohren deiner Zuhörer:innen lustig anhört.

Studierende, die von außerhalb zu mir kommen, um sich über die Masematte schlau zu machen, sind entsetzt über diesen Umgang. Mein Fazit: In Sachen Masematte hat die münstersche Stadtgesellschaft auch noch eine Menge Hausaufgaben zu machen, da reicht es nicht, sie als immaterielles Kulturerbe herauszuputzen. Darin sehe ich eine Parallele zu der Straßennamenumbennungsdebatte (was für ein Wort übrigens).

Pallemachonen-Machullenkamp

Kleiner Schlenker. Nun werde ich kreativ: Wie könnten denn die Straßen heißen, wenn die alten Namen wegmüssen? Wir brauchen ja neue Straßennamen und ich als Anwohnerin bin prädestiniert, mir welche auszudenken.

Mit meinen rudimentären Masematte-Kenntnissen schlage ich vor, die Admiral-Scheer Straße, die direkt zum Kanal führt „An der Öle“ zu nennen. „Öle“ ist das Wort auf Masematte für den Kanal, aufgrund seines Aussehens und Geruchs von vor hundertfünfzig Jahren. Sie lachen? Es geht noch witziger: Die Gorch-Fock-Straße können wir dann gleich in „Pünten-Weg“ umbenennen, denn die „Pünte“ ist das Schiff auf Masematte.

Die Skagerrakstraße, so meine Idee, wäre dann die „Große Pani-Strehle“, weil sich am Skagerrak Ostsee und Nordsee treffen. Oder noch besser: „Pallemachonen-Machullenkamp“. Das wäre dann der Soldatenfriedhof.

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Das kann doch nicht ernst gemeint sein, Frau Lohoff-Börger, sagen Sie jetzt? Das klingt so lächerlich. Da fühlt sich keiner ernst genommen, wenn die Straßennamen ironisch und witzig klingen. Und was hat das feine Mauritz mit Masematte zu tun? Oder?

Wie wäre es denn dann damit, die Otto-Weddigen-Straße in die Siegfried-Weinberg-Straße umzubenennen? Siegfried Weinberg war Münsteraner und wurde 1942 ins Ghetto nach Riga verschleppt, konnte flüchten und geriet dann nach Kriegsende 1945 in russische Gefangenschaft, wo er jahrelang in Sibirien in einem Arbeitslager interniert war. Als er zurückkam, wanderte er zu seinen Geschwistern in die USA aus.

Sein Bruder Walter hatte es 1938 rechtzeitig geschafft zu flüchten, starb aber dann als Soldat für die US-Army, bei dem Versuch, Frankreich von den Nazis zu befreien. Er war Pilot und sein Flugzeug wurde abgeschossen. Walter und Siegfried wuchsen an der Sonnenstraße in Münster auf und waren Söhne des jüdischen Altwarenhändlers Weinberg und seiner Frau. Die sind 1944 in Theresienstadt umgekommen. Gut, dann nehmen wir für die Admiral-Spee Straße „Walter-Weinberg-Straße“. Aber, oh Schreck, das entspricht ja nicht den Kriterien der Stadt Münster (hier und hier).

Vermeintliche Albernheiten

Denn jetzt habe ich ja gar nicht daran gedacht, dass man in Münster bevorzugt Frauen mit Straßenneubenennungen ehren will. Weibliche Straßennamen gibt es ja viel zu wenige. Ach, nee, immer diese nervigen Frauenquoten! Vorschlag meinerseits: Ehren wir doch Gisela Möllenhoff oder Rita Schlautmann-Overmeyer.

Kennen Sie nicht? Und allein das reicht nicht, um zu widersprechen, denn es wäre noch einzuwenden, dass Doppelnamen immer so lang und sperrig sind.

Man kann sie sich nicht merken und man braucht mindestens zwei Adresszeilen bei der Post und im Ausweis etc. nur für den Straßennamen. Ein No-Go. Aber lesen Sie weiter: Frau Möllenhoff und Frau Schlautmann-Overmeyer haben sich die Mühe gemacht, jedes einzelne traurig wie tragische Schicksal von Holocaustopfern aus Münster zu recherchieren und in einem Buch namens „Jüdische Familien in Münster“ herauszubringen.

Die Leistung dieser beiden Frauen kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden. Doch nein, auch Fehlanzeige, denn Menschen können erst zehn Jahre nach ihrem Tod mit einem Straßennamen geehrt werden. Hm, da gibt es noch die Hedwig Weinberg, eine Schwester von Siegfried und Walter.

Sie wurde als Pflegerin für ihre gelähmte Mutter direkt mit nach Theresienstadt deportiert. Die Mutter starb dort nach kurzer Zeit, Hedwig kehrte 1945 nach Münster zurück und wanderte zu ihren Geschwistern in die USA aus.

Und um auf meine vermeintlichen Albernheiten mit den Masemattewörtern als Straßennamen zurückzukommen. Es sind wir, die mit der Masematte etwas Lustiges verbinden und die Wörter amüsant finden. Das sind unsere erlernten Zuschreibungen und Konnotationen, die durch den Missbrauch der Masematte in Unterhaltung und Kommerz in Münster entstanden sind.

Das Angenehme, Schöne und Heitere

Wie schon erwähnt: Fallen die ersten drei Masemattewörter bei meinen Lesungen und Vorträgen, lacht der Saal. Erzähle ich später die Geschichte der Familie Weinberg aus der Sonnenstraße, die mit Sicherheit Masematte gesprochen hat, sind es keine Lachtränen mehr, die man sich aus den Augenwinkeln wischt.

Wie gehen wir in Münster mit unserem historischen Erbe um? Das ist die Frage, zu der ich heute zum Nachdenken anregen möchte. Mir erscheint es nach meinen Erfahrungen in Sachen Straßennamen-Umbenennungen in meinem Viertel und der jahrelangen Beschäftigung mit der Masematte als recht bequeme Herangehensweise, um es euphemistisch auszudrücken:

Alles soll so bleiben wie es ist. Kennen Sie die Werbung im Fernsehen, wo sich eine Frau auf einer weißen Yacht räkelt und genüsslich ein Raffaello in ihren Mund steckt?

Daran erinnert mich das Verhalten der Münsteraner:innen. Wir, die privilegierten, liberalen Münsteraner:innen mögen das Angenehme, das Leichte, das Schöne und Heitere in und an Münster, deswegen sind wir ja auch so stolz darauf, dass man Münster mal als die lebenswerteste Stadt der Welt betitelte.

Aber war und ist sie das wirklich? Oder müffelt es nicht gehörig nach Öle, Püntendiesel und Machullenkamp an einigen Ecken?

Herzliche Grüße

Ihre Marion Lohoff-Börger

Porträt von Marion Lohoff-Börger

Marion Lohoff-Börger

… ist die Frau mit der Masematte und den alten Schreibmaschinen. Auf letzteren schreibt sie Gedichte und verkauft diese in ihrem Atelier an der Wolbecker Straße 105 als Postkarten. Die Masematte möchte die freie Autorin in Münster zu einem lebendigen Sprachdenkmal machen und versucht, dieses mit Kursen, Vorträgen, Lesungen, Büchern und Artikeln für Zeitungen und Onlinemagazine umzusetzen. 2021 stellte sie beim Land Nordrhein-Westfalen den Antrag „Masematte als Immaterielles Kulturerbe“, der abgelehnt wurde mit dem Hinweis, die Stadtgesellschaft Münster müsse sich noch mehr für dieses Kulturgut engagieren.

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