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Die RUMS-Kolumne mit Kolja Steinrötter | Kunststadt Münster?

Guten Tag,
Menschen, die in Münster leben, betonen sehr gerne, dass ihre Stadt nicht Provinz sei, sondern eher Metropole – was ein ziemlich guter Hinweis darauf ist, dass wir es hier mit einer zutiefst provinziellen Gesellschaft zu tun haben.
Und das ist ja nichts Schlechtes – nur darf man sich in vieler Hinsicht nicht mit Köln, Berlin oder Hamburg vergleichen, sondern vielleicht eher demütig auf eigene Stärken und Besonderheiten setzen. Auch im Kunst- und Kultursektor stimmt das Selbstbild nicht mit der Realität überein.
Kunsthalle und Kunstverein sind tatsächlich Institutionen, die ein international bemerkenswertes Programm zeigen, und auch das Landesmuseum hat sich von einem leicht angestaubten August-Macke-Museum zu einem jungen, innovativen und mutigen Begegnungsort gewandelt. Was Münster jedoch zu einem weltweit beachteten Ort der Kunst macht, sind die Skulptur Projekte, die seit 1977 alle 10 Jahre stattfinden.
Jenseits von Kunstakademie und Skulptur Projekte
Die Reaktion der Münsteraner auf dieses Ereignis war und ist jedoch immer schon ein guter Gradmesser für deren Beziehung zur aktuellen Kunst gewesen. Es hat viele Jahrzehnte gedauert, bis bei einigen sich möglicherweise so etwas wie Stolz auf die Skulptur Projekte eingestellt hat. Und bis heute wirken sie ein wenig wie ein von außen aufgestülpter Fremdkörper.
Münster hat dabei nicht nur diese Ausstellung von Weltrang, sondern neben den genannten Museen sogar eine Kunstakademie – eine von zweien in Nordrhein-Westfalen. Leider ist auch die Akademie nie richtig in der Stadt angekommen.
Vielleicht hat das auch seinen Ursprung darin, dass sie anfangs nur eine Art Anhängsel der Düsseldorfer Akademie war, eine Filiale in der Provinz. Heute ist sie lange eigenständig und hat nicht zuletzt schon viele bedeutende Künstler:innen als Lehrkräfte beschäftigt, auch wenn das an vielen Münsteranern durchaus vorbeigegangen sein dürfte.
Denn außerhalb der Institutionen gibt es kaum verbindende Elemente, kaum Netzwerke, kaum Treffpunkte. Zwar gibt es wohl kaum irgendwo anders so viele subventionierte Atelierräume für Menschen, die glauben Kunst zu machen, wie in Münster, eine Auseinandersetzung, Bewertung oder Diskussion außerhalb des eigenen Raums findet aber kaum statt.

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Nur eine ernsthafte Programmgalerie
Eine in der Stadt tief verwurzelte, breite Kunstszene, die nachhaltig auf allen Ebenen dafür sorgt, dass es eben auch eine richtige Auseinandersetzung über Qualität und Wesen der Kunst gibt, fehlt. Ich meine – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – wenn man einschätzen möchte, welche Bedeutung zeitgenössische Kunst in einer Stadt hat, muss man sich vor allem die Dichte der Programmgalerien anschauen.
Berlin hat rund 440 Galerien. Köln knapp 100, Hamburg und München jeweils etwa 60.
Münster hat aktuell eine ernsthafte Programmgalerie – die [dst.galerie] an der Hafenstraße.
Da stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass Münster trotz Akademie und 1.057 Atelierhäusern keine blühende, lebendige, junge Galerieszene hat?
Fun Fact: Der betuchte Münsteraner selber kauft natürlich, falls er einen Hauch von Ahnung hat, in New York oder Berlin seine Kunst, wenn er keine Ahnung hat, in Lüdinghausen oder Kaiserslautern.
Eine spezielle Kunstprovinzstadt
Wer denkt, ich hätte jetzt eine Antwort darauf, wie man dieser jungen Galerieszene, die nicht nur die Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst fördern würde, sondern auch vielen potenziellen Künstler:innen unserer Akademie helfen könnte, den muss ich enttäuschen. Schon mein Vater hat aus den Sechziger Jahren Stadtgeschichten erzählt, die meinen eigenen Erfahrungen heute gleichen. Münster ist nicht Köln oder Berlin.
Münster ist keine Metropole, sondern in vielen Aspekten etwas ganz Spezielles. Wer sich in dieser Stadt auf die Spuren guter Kunst machen möchte, dem lege ich daher erneut ans Herz: Sucht die Spuren der Skulptur Projekte der letzten 50 Jahre auf. Natürlich würde ich nörgeln, dass die Stadt Münster viel zu wenig angekauft hat, aber: Vieles ist geblieben, manches beinahe vergessen, manches etwas angeschlagen, anderes zwar prominent, aber meist unerkannt.
Meine Favoriten sind die konzentrischen Kreise von Donald Judd am hinteren Teil des Aasees und die furchtbar bewegende Soundinstallation unter der Torminbrücke von Susan Philipsz. Es gibt wohl kaum eine Stadt auf der Welt, die so viele bedeutende, zauberhafte Kunstwerke im öffentlichen Raum zeigt. Alles Arbeiten, die bleiben, die auch in hundert Jahren noch in der Lage sein werden, Menschen zu beeindrucken und zu bewegen.
Immerhin: Extraterrestrische Archäologen, die in 1.000 Jahren hier Ausgrabungen machen, werden feststellen, dass hier in Münster ein sehr kunstaffines Volk gelebt hat. Die ganzen geschmacklosen Wandsprühereien, die wohl eher aktuell den Nerv der Stadt zu treffen scheinen, sind dann ja glücklicherweise nicht mehr da. Puh.
Herzliche Grüße
Ihr Kolja Steinrötter

Kolja Steinrötter
Kolja Steinrötter, geboren 1974 in Münster, ist unter Künstler:innen und Kunst aufgewachsen, studierte Soziologe und Politikwissenschaft an der hiesigen Universität, trainiert die Fußballfrauen des SV Blau-Weiß Aasee und betreibt seit 2008 eine Programmgalerie am Germania Campus.
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