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Die Kolumne von Klaus Brinkbäumer | Der Wegbereiter der Lüge

Liebe Leserinnen und liebe Leser,
über Tote soll man nichts Schlechtes sagen, angeblich, und man sollte vermutlich auch nicht über sie lachen. Als ich vor einigen Tagen einen Tweet meines geschätzten Kollegen Stephan Lamby sah, musste ich eben dies tun: lachen. Laut. Denn dies stand da: „De mortuis nil nisi bene.“ Und es ging um Rush Limbaugh. Manchmal sind Redensarten und Weisheiten nichts als absurd.
Der Amerikaner Limbaugh ist mit 70 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Und dieser Limbaugh war ein derart böser Mensch, ein so brutaler Mensch, ein Hetzer, dass mir nichts Gutes einfällt, was ich über ihn sagen könnte.
Stattdessen möchte ich Ihnen sagen, warum dieser Rush Limbaugh und sein Erbe wichtig sind.
Schlagen wir an dieser Stelle einen kleinen Haken. Haben Sie mitbekommen, was in Texas geschah?
Texas hat heftige Winterstürme hinter sich, und weil es in Texas keine nennenswerte Sozial-, Energie-, Infrastruktur- oder Umweltpolitik gibt, fielen tagelang Strom und Heizungen aus. Der gesamte Bundesstaat kollabierte. Viele Menschen erfroren.
Texas wird seit Jahrzehnten republikanisch reagiert, Texas ist die Heimat der Familie Bush. Das erste Gebot der Republikaner verlangt nach der Abwesenheit von Steuern und Regulierungen. Der texanische Energiemarkt ist zu hundert Prozent privatisiert, es gibt so gut wie keine Regeln oder Gesetze, weshalb kein Konzern für Notfälle Energie speichern muss. Weil die texanischen Politiker, die Republikaner jedenfalls, aber nach dem Kollaps nicht zugeben mögen, dass ihre Politik die Texaner im Stich ließ und verantwortlich für den Kollaps war, erfanden sie eine Lüge. Sie sagen nun, die Liberalen hätten Texas lahmgelegt. Die Windenergie, überhaupt diese ganze neumodische Anarchie sei schuld am Chaos.
Lächerlich?
Nicht in den USA von 2021.
Nicht nach all den Lügen vom angeblichen Wahlbetrug und dem Sturm auf das Kapitol (obwohl Joe Biden mit sieben Millionen Stimmen Vorsprung und in allen wichtigen Bundesstaaten deutlich gewonnen hatte).
Und: nicht seit Rush Limbaugh die USA verändert hat.
In Texas wird die Lüge von den gefährlichen Windturbinen von FOX News und Breitbart verbreitet, von konservativen Radiosendern auch. Von sozialen Medien wird sie verstärkt, und sie wird millionenfach geglaubt, denn dort, in den sozialen Medien, finden laute Lügen noch immer mehr Widerhall als seriöse Wirklichkeiten.
Neuartige Mischung aus konservativen Botschaften
Damit zurück zu jenem Mann, der all das erfunden hat.
Amerikas Hass. Amerikas Verdrehung von Wahrheit. Amerikas Demagogie, Amerikas Denunziationen, Amerikas Destruktivität.
Rush Limbaugh, 1951 geboren, im Mittleren Westen von Missouri aufgewachsen, wollte immer zum Radio. Darum heuerte er bei lokalen Sendern an, legte Schallplatten auf und füllte die Lücken zwischen Musiktiteln und Werbeclips mit seinem Gerede. Er gab sich Pseudonyme: Jeff Christie oder Rusty Sharpe, wurde gefeuert, wieder angeheuert, wieder gefeuert, zog weiter.
Dann unternahm er einen letzten, verzweifelten Anlauf, diesmal bei einem Sender im kalifornischen Sacramento. Mit weniger Musik und mehr Gerede. Ein Manager von WABC-AM in New York wurde auf diesen Selbstdarsteller aufmerksam, der zweifellos reden konnte, war begeistert und engagierte ihn. Am Montag, dem 1. August 1988, ging Rush Limbaugh auf Sendung und hatte nun die Freiheit und den Auftrag, über Politik zu reden, Hauptsache unterhaltsam. WABC-AM war ein Mittelwellensender und bedroht, da die neuen großstädtischen Kurzwellensender mit ihren Musikprogrammen besser klangen. Talk Radio sollte das Gegenprogramm des eher ländlichen Mittelwellen-Rundfunks sein.
Limbaugh lieferte. Er feuerte die Republikaner an und rührte eine neuartige Mischung aus konservativen Botschaften und dem zusammen, was er für Spaß hielt. Er parodierte, machte die Stimmen von Prominenten nach, Tiergeräusche auch, und wenn er quietschte und schrill wurde, gab er gerade vor, eine Frau zu spielen. Er inszenierte sich als Kämpfer für die einfachen Amerikaner, die angeblich jahrelang von Politikern und Journalisten missachtet worden waren.
Rush Limbaugh war ein Spektakel. Ganz allein, nur mit einem Stapel ausgerissener Zeitungstexte bewaffnet, saß er vor dem Mikrofon. „Feminazis“ nannte er Frauenrechtlerinnen, „Mitgefühlsfaschisten“ waren jene, die sich für Obdachlose einsetzten. „Er muss noch immer beweisen, dass er US-Bürger ist“, sagte er über 2009 über den gewählten Präsidenten Barack Obama; dessen Gesundheitsreform sei ein „Euthanasie“-Programm für alle Alten.
Homophob war Limbaugh sowieso; über den Präsidentschaftsbewerber Pete Buttigieg sagte er, Amerika wolle keinen „schwulen Typen, der auf der Bühne einen Mann küsst“. Er bezeichnete die Studentin Sandra Fluke, die für von der Krankenkasse bezahlte Verhütungsmittel stritt, als „Schlampe“ und „Prostituierte“ und verlangte: „Wenn wir schon dafür bezahlen, dass du Sex hast, wollen wir etwas dafür bekommen. Wir wollen, dass du Videos online stellst, damit wir alle zusehen können.“ Natürlich sagte Limbaugh monatelang, dass Donald Trump um den Wahlsieg betrogen worden sei; natürlich sagte er noch am Tag der Amtseinführung, Joe Biden sei nicht durch einen Wahlsieg legitimiert.
Er erfand sich eigene Wahrheiten, er war der Hohepriester der Limbaugh-Kirche. Seine Attacken blieben unwidersprochen, seine Opfer bekamen nie die Gelegenheit, sich zu verteidigen. Sobald Limbaugh attackiert wurde, sagte er, ach was, er mache doch nur Unterhaltung.
Mit Limbaugh fing an, was die USA bis heute krank macht
Die geltende Rechtslage half ihm. Seit 1949 hatte die Zulassungsbehörde Radiosendern die Fairness-Doktrin vorgeschrieben: Die Sender mussten ausgewogen berichten, entgegengesetzte Meinungen gleichberechtigt darstellen. Doch in den Reagan-Jahren der Deregulierung hat die Aufsichtsbehörde die Fairness-Doktrin gekippt, seither haben Demagogen einen Freibrief. 1996, unter Bill Clinton, kam die „Section 230“ hinzu, jenes Mediengesetz, das die seinerzeit neuen und vergleichsweise kleinen Unternehmen wie Facebook schützen wollte, also zur bloßen Plattform erklärte, also von presserechtlicher Verantwortung freisprach. Darum werden Limbaughs Clips millionenfach geteilt und verschickt, Facebooks Algorithmen belohnen Limbaughs Demagogie.
Und so wurde Rush Limbaughs Talk Radio zum widerspruchsfreien Raum, in dem er die Kriminalisierung und Dämonisierung politischer Gegner betrieb, die für ihn allesamt korrupte Verräter und Feinde der USA sind.
Zwei Jahre nach seinem Start wurde er von fünf Millionen Amerikanern pro Woche gehört, schon drei weitere Jahre später waren es 17 Millionen, bald 20 Millionen. Der Medienwissenschaftler Brian Rosenwald sagt: „Es geht um Soundbites, griffige Formulierungen von etwa zwölf Sekunden. Gutes Talk Radio muss Gefühle ansprechen, permanent übertreiben. Dafür muss man Thesen groß aufblasen. Nur so funktionieren sie. Etwa indem man sagt, dass Barack Obama ein Sozialist ist, der Amerika hasst und zerstören will.“
Drei Stunden pro Tag reine Demagogie. Limbaughs Jahresverdienst lag bei 85 Millionen Dollar. Den Preis zahlte die Gesellschaft.
Denn mit Limbaugh fing an, was die USA bis heute krank macht. FOX News entstand durch ihn, übertrug Limbaughs Konzept ins Fernsehen. Breitbart lernte von Limbaugh und digitalisierte sein Konzept. Donald Trump wurde durch Limbaugh möglich, von Limbaugh aufgebaut, gepriesen und politisch erfunden.
Dass Donald Trump diesem Rush Limbaugh 2019 für dessen Verdienste um die Nation die „Presidential Medal of Freedom” verlieh, eine der höchsten Ehren der USA, das war übrigemns gleichfalls komisch.
Bleiben Sie gesund. Viele herzliche Grüße aus Leipzig ins schöne Münster
Ihr Klaus Brinkbäumer
Schreiben Sie mir gern; Sie erreichen mich unter klaus.brinkbaeumer@rums.ms oder via Twitter: @Brinkbaeumer.
Redaktioneller Hinweis
Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby haben zusammen das Buch „Im Wahn“ über die USA geschrieben. Einige der hier ausgeführten Gedanken über Rush Limbaugh standen dort zuerst.

Klaus Brinkbäumer
Klaus Brinkbäumer ist in Hiltrup aufgewachsen. Er ist Journalist, Autor, Filmemacher und seit Januar Programmdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig. Von 2015 bis 2018 war er Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Brinkbäumer gewann unter anderem den Egon-Erwin-Kisch- und den Henri-Nannen-Preis, im Jahr 2016 wurde er zum Chefredakteur des Jahres gewählt. Im Podcast „Okay, America?“ spricht er einmal wöchentlich mit der Zeit-US-Korrespondentin Rieke Havertz über die politische Lage in den USA. Klaus Brinkbäumer lebt in Leipzig.
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