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Die Kolumne von Christoph Hein | Querelen um Kanäle

Guten Tag,
Querelen um einen Kanal. In Münster, weil der Dortmund-Ems-Kanal einmal mehr ausgebaut werden soll. In Panama, weil der neue amerikanische Präsident gleich den ganzen Kanal übernehmen will. Ein Vergleich, zu weit hergeholt? Nicht ganz. Denn der gut viermal längere Dortmund-Ems-Kanal und der Panamakanal sind in derselben Zeit gebaut worden. Beide stehen, jeder auf seine Art, für die Verbindung entfernter Regionen. Und beide wurden und werden als Hoffnungsträger der Wirtschaft betrachtet.
Kaiser Wilhelm II. eröffnete den Dortmund-Ems-Kanal im Sommer 1899. Die Amerikaner feierten die Eröffnung des Panamakanals 1915 in San Francisco gleich mit einer Weltausstellung, der Panama-Pacific International Exposition. „Die Verknüpfung von imperialen und Handelsinteressen stand ganz unverblümt im Vordergrund“, schreibt der amerikanische Historiker Stephen C. Topik von der University of California.
Während die Verbindung zwischen der Küste und dem Ruhrgebiet nur sieben Jahre Bauzeit brauchte, wurde der Bau des Panamakanals ab 1881 fast zum Desaster: Der Franzose Ferdinand de Lesseps hatte erfolgreich den Bau des Suezkanals abgeschlossen. Nun träumte er in Zeiten der ersten großen Globalisierungswelle auch davon, Atlantik und Pazifik über den Isthmus von Panama verbinden zu können. Es fand sich ein Konsortium internationaler Investoren, die den Erfolg des Suezkanals mit einer Einzahlung von rund 400 Millionen Dollar wiederholen wollten.
Sie scheiterten. 1902 verkaufte die französische Kanalgesellschaft ihre von Kolumbien erhaltene Baulizenz an die Amerikaner. Kolumbien wandte sich dagegen, eine von der US-Armee gestützte Rebellion aber führte zur Erklärung der Unabhängigkeit der Provinz Panama im November 1903. Nach 35 Jahren Bauzeit unter härtesten tropischen Bedingungen, mit zehntausenden Opfern unter den Gastarbeitern der umliegenden Region wurde der Traum einer kurzen Verbindung zwischen den beiden Ozeanen endlich abgeschlossen.
Muskelspiele und geostrategische Vorteile
Ganz ohne war auch der Bau des Dortmund-Ems-Kanals vor gut 125 Jahren nicht: Mehr als 4.500 Arbeiter, viele aus dem Ausland, kamen auf der damals größten Baustelle Europas zum Einsatz. Über Todeszahlen während des Baus scheint wenig bekannt – in Panama starben die Arbeiter von den verarmten umliegenden Inseln vor allem an den Tropenkrankheiten. Im Norden Deutschlands grassierte die Sorge vor Krankheiten wie Cholera oder Pocken, weshalb an einigen Teilabschnitten sogar eine Impfpflicht eingeführt wurde.
Geht es heute in und um Münster um das Fällen alter Bäume für eine Erweiterung des Kanals, damit ihn größere Schiffe umweltfreundlich nutzen können, geht es auch in Panama um den Ausbau, weil die Dürren des Klimawandels die Passage immer öfter unmöglich machen.
Seitdem Donald Trump wieder an die Macht zurückgekehrt ist, geht es aber auch um Muskelspiele, um geostrategische Vorteile. Der Kanal könnte zur leichtesten Beute unter Trumps imperialen Zielen werden. Zwar will er seine Hand auch auf Grönland und Kanada legen. Doch verfügt der Kanal in der Tat über historische Bindungen an die USA.
Trump hat in den vergangenen drei Monaten fünfmal davon gesprochen, den Panamakanal wieder für Amerika zu übernehmen. Dabei hatte er wirtschaftlichen Druck, aber auch Waffengewalt nicht ausgeschlossen.
In seiner Rede zur Amtseinführung sagte er unverblümt: „Wir holen ihn uns zurück“. Sein Vorhaben fußt auf einer langen Tradition. Bei der Eröffnung des Kanals schwärmte der Leitartikler der Zeitschrift „The World’s Work“, er beweise das „Entstehen eines neuen Amerika. Wir eröffnen unter eigener Kontrolle eine der großen Handelsrouten der Welt“.

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Ähnlich denkt wohl auch Trump, der Amerika „wieder groß machen“ will. Heute gehen etwa 40 Prozent des amerikanischen Containerverkehrs über den Panamakanal. Jeden Monat nutzen ihn fast eintausend Schiffe. Denn die 82 Kilometer lange Wasserstraße erspart den Reedern den gut 11.000 Kilometer langen Umweg um Kap Hoorn.
Die Wasserstraße ist wichtig. An der Debatte um den Kanal lassen sich aber auch die Unwahrheiten, Unschärfen und Lügen von Trump ablesen. Der Präsident sprach von einem „dummen Geschenk, das niemals hätte gemacht werden dürfen“.
Wahr aber ist, dass die USA den Kanal nicht verschenkt haben. Die Übertragung an Panama wurde über Jahre verhandelt und schließlich vom gerade verstorbenen Trump-Vorgänger Jimmy Carter besiegelt. Die vollständige Übertragung dauerte von 1977 bis Ende 1999.
Panama, so Trump, habe „sein Versprechen an uns gebrochen“. Wissenschaftler halten das für sehr fragwürdig: Denn bis heute hat jedes Schiff das Recht, den Kanal zu nutzen – natürlich gegen eine Gebühr, die aber als marktüblich gilt. Sie hängt an der Größe des Frachters und seiner Ladung. Größere Schiffe werden mit mehreren Hunderttausend Dollar belastet, was im Suezkanal nicht anders ist.
Die Kanalverwaltung plant, wegen der wachsenden Trockenheit in den nächsten Jahren ein Rückhaltebecken und eine Landbrücke für Container für jeweils mehr als eine Milliarde Dollar zu bauen. Zudem gilt weiterhin, dass Panama in dem Vertrag den Vereinigten Staaten das Recht einräumte, den Kanal verteidigen zu dürfen. Auch dagegen ist bislang nicht verstoßen worden.
Vollkommen falsch ist die Behauptung „und vor allem betreibt China den Panamakanal“. Trump hätte allenfalls erwähnen können, dass der Hongkonger Hafenbetreiber Hutchison die Häfen am Ein- und Ausgang des Kanals führt. Die Nähe seines Gründers, des Multimilliardärs Li Ka-shing, zur chinesischen Regierung ist seit Jahrzehnten bekannt.
Zudem sind chinesische Ingenieure an weiteren Kanalprojekten beteiligt. In Wirklichkeit aber betreibt ihn die Panamakanal-Behörde (Autoridad del Canal de Panamá, ACP), die von der Regierung eingesetzt wird. Panamas Präsident José Raúl Mulino hatte schon im Dezember die Anwesenheit chinesischer Streitkräfte am Kanal dementiert. „Es gibt keine chinesischen Soldaten am Kanal, um Himmels willen“, sagte er noch im vergangenen Dezember.
Die Zahl der Durchfahrten chinesischer Schiffe beträgt fast ein Viertel der amerikanischen. Peking bezeichnete den Kanal im Dezember noch als „goldene Wasserstraße für die Verbindung zwischen den Ländern“. China akzeptiere den Kanal als eine „permanent neutrale internationale Wasserstraße“. Und wahr ist auch – was Trump nicht erwähnte –, dass China sich in Argentinien und Chile immer stärker engagiert, um von hier die Antarktis zu erreichen.
Auch trat Panama der weltumspannenden Infrastrukturinitiative der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) als erstes lateinamerikanisches Land schon früh bei. Zuvor brach es, ganz Pekings Verlangen, die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab – ein übliches Vorgehen auch vieler Pazifikinseln, die sich von Peking finanzielle und militärische Sicherheit versprechen.
Unfug ist Trumps Behauptung, die Amerikaner hätten „38.000 Menschenleben beim Bau des Panamakanals verloren“. Noch einmal Topik: „Die Arbeiter waren mehrheitlich Afroamerikaner aus Panama, dem benachbarten Kolumbien sowie aus Jamaika und Barbados.“
Auch am Dortmund-Ems-Kanal waren zahlreiche Ausländer eingesetzt. „Wegen der sumpfigen Böden im Norden wurden Niederländer, wegen des steinigen Terrains im Süden Italiener angeworben. Arbeiter aus den damals russischen Provinzen Polens hingegen galten als „politischer Sprengstoff“. Sie standen unter Verdacht, die Germanisierungspolitik des Reiches zu unterlaufen“, schreibt Lukas Kreilkamp.
Zwischen Dortmund und Emden waren die Bedingungen schwierig, am anderen Ende der Welt aber dramatisch: Nachdem de Lesseps den Bau dieses industriellen Weltwunders begonnen hatte, sollen mehr als 22.000 Franzosen, vor allem aber Einheimische beim Bau des Panamakanals meist an tropischen Krankheiten gestorben sein. Während der amerikanischen Bauzeit dürften dann weitere 5600 Menschen ihr Leben verloren haben. Auch diese sollen allerdings ganz überwiegend Gastarbeiter aus Barbados gewesen sein. Die BBC berichtete, insgesamt hätten rund 300 Amerikaner ihr Leben gelassen.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph Hein
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Christoph Hein
… ist in Köln geboren und in Münster aufgewachsen. Er hat an der Uni Münster studiert, hier promoviert und während seines Studiums für die Westfälischen Nachrichten und den WDR gearbeitet. Im Jahr 1998 fing er bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, zunächst als Korrespondent in Stuttgart. Ein Jahr später ging er als Korrespondent erst für Südostasien und China, ab 2008 für den Süden Asiens einschließlich des Pazifikraums nach Singapur. Dort wurde auch seine Tochter geboren, die inzwischen in Münster studiert. Nach einem Vierteljahrhundert im indo-pazifischen Raum ist er nach Deutschland zurückgekehrt und leitet den wöchentlichen Newsletter F.A.Z. PRO Weltwirtschaft. Christoph Hein hat zahlreiche Bücher publiziert, zuletzt mit „Australien 1872“ einen Bildband über einen deutschen Goldsucher auf dem fünften Kontinent.
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