Die Kolumne von Michael Jung | Die richtigen Wohnungen

Porträt von Michael Jung
Mit Michael Jung

Guten Tag,

jedes Jahr verkündet die Stadt Münster neue Rekorde im Wohnungsbau. Im Januar 2020 meldete sie 1.749 Wohnungen, die im Jahr zuvor fertiggestellt worden waren. Die Bautätigkeit in Münster sei, so hieß es, wieder einmal auch im Vergleich zu anderen Städten auf neuen Höhen angelangt. Diese Zahlen sind richtig – und doch ist die gefühlte Wirklichkeit in Münster eine andere. Auch das lässt sich mit Zahlen belegen. So steigen die Preise für Eigentumswohnungen und Häuser jedes Jahr zwischen fünf und zehn Prozent. Erfreulich für alle, die schon wohnen; schlecht für alle, die auf der Suche sind. Wie aber passen beide Entwicklungen zusammen?

Zum einen geht es hier um strukturelle, volkswirtschaftliche Einflüsse. Die Preise für Bauland und Immobilien steigen nicht nur in Münster rasant, sondern auch in vielen anderen beliebten Mittelstädten. Die Niedrigzinsphase, der Anlagenotstand, das alles treibt die Preise ebenso wie die hohe Nachfrage.

Doch auch die Städte selbst haben Einfluss auf die Entwicklung und auf das Bild, das sich ergibt. Werfen wir einen kritischen Blick auf die offiziellen Zahlen.

Trotz Rekorden kaum Entlastung

Die von der Stadt Münster gemeldeten Rekordwerte sind Bruttowerte. Wie aber jeder vom eigenen Kontoauszug weiß: Entscheidend ist das Netto. Der Nettowert ergibt sich, wenn man von den Neubauten die (etwa durch Abriss) weggefallenen Wohnungen abzieht. Dieser Wert ist um mindestens ein Drittel geringer. Und das ist ein Grund dafür, dass trotz der Rekorde im Wohnungsbau kaum eine Entlastung zu spüren ist.

Das ist ein Detail, das den Eindruck verändert. Doch die entscheidende Frage ist: Was für Wohnungen werden denn überhaupt gebaut? Im vergangenen Jahr gab es dazu in Münster zwei interessante Beispiele.

Zum einen protestierten in der Aaseestadt ganze Nachbarschaftsinitiativen gegen Bauprojekte in der eigenen Wohnstraße. Zum anderen entstanden in der Bahnhofstraße neue Appartements. Beide Entwicklungen zeigen, wo das Problem mit den neuen Wohnungen liegt.

In der Aaseestadt sind viele Ein- und Zweifamilienhäuser in den 1970er- oder 1980er-Jahren gebaut worden. Das bedeutet, dort findet seit längerer Zeit ein Generationenwechsel statt. In vielen Familien stellt sich die Frage: Was passiert mit dem Häuschen, wenn die Eltern sterben oder ausziehen und es den Nachwuchs längst in andere Gegenden verschlagen hat?

Luxusloft statt Einfamilienhaus

Erbengemeinschaften verkaufen die Häuser, und natürlich stehen Investoren bereit. Schließlich locken verhältnismäßig große Grundstücke, die man auch anders bebauen kann. In dem Fall spricht man von einer Nachverdichtung. Das Bebauungsrecht gibt meistens nur vor, dass die Höhe und das Erscheinungsbild von neuen Gebäuden in die Umgebung passen müssen. Das bedeutet konkret (so in der Aaseestadt zu besichtigen): An Stelle des früheren Einfamilienhauses entsteht ein Luxusloft mit Aaseeblick. Natürlich nur zweigeschossig, aber auf Straßenhöhe steht eine opulente Garage, darüber liegen zwei Geschosse. Das Ganze dient als Zweitwohnsitz für die vermögende Kundschaft aus Süddeutschland. So sind in Münster schon wieder zwei neue Wohnungen entstanden.

Manchmal entsteht aber auch keine Garage. Wer ein Haus baut, muss eigentlich eine bestimmte Anzahl an Stellplätzen zur Verfügung stellen. Doch aus dieser Verpflichtung kann man sich freikaufen, über eine sogenannte Stellplatzablöse. Die neuen SUVs stehen dann in der Stichstraße. Die Nachbarschaft freut das nicht – und nicht deshalb, weil man neue Wohnungen ablehnt, sondern weil der Aufwertungsdruck wächst, die Autos die Straße vollstellen und die bestehende Sozialstruktur unter Druck gerät.

Rings um den Hauptbahnhof sind, begonnen mit dem Metropolis-Hochhaus, zuletzt aber auch an der kleinen Bahnhofstraße, viele Ein-Raum-Appartements entstanden, die möbliert vermietet werden. Zielgruppe sind (vermögende) Studierende und Geschäftsleute. Die Warmmieten liegen deutlich über 20 Euro pro Quadratmeter. Das All-inclusive-Angebot bietet hohe Margen und ist absolut rentabel. So entstehen schnell viele neue Wohnungen. Nur eben sehr klein und sehr teuer.

Beide Entwicklungen zeigen, was sich hinter den Erfolgsmeldungen verbergen kann.

Was aber kann die Stadt tun, wenn die politischen Sonntagsreden vom bezahlbaren Wohnraum in Münster ernst gemeint sind? Wie könnten bezahlbare Wohnungen entstehen? Es gibt vor allem zwei Möglichkeiten.

Das Planungsrecht

Zum einen und zu allererst kann die Stadt über das Planungsrecht Einfluss nehmen. An Bebauungsplänen führt kein Weg vorbei. Die Stadt muss festlegen, was wo gebaut werden kann und was politisch gewollt ist.

In den vergangenen Jahren ist zu viel unreguliert gelaufen – zum Beispiel am Bahnhof. Hier hat die Stadt den Bebauungsplan erst auf den Weg gebracht, als die neuen Ein-Raum-Appartements bereits genehmigt waren. So täuscht man Aktivität vor und lässt in Wirklichkeit die Investoren machen.

Immerhin für die Aaseestadt hat der neue Rat zuletzt nach erheblichem Druck eine sogenannte Veränderungssperre erlassen. Sie verhindert neue Baugenehmigungen, bis ein Bebauungsplan vorliegt. Doch dasselbe Problem besteht nicht nur in der Aaseestadt, sondern auch in Mauritz, Sentrup und anderswo. Auch dort vollziehen sich gerade Generationswechsel. Auch dort muss die Stadt eingreifen, wenn sie die Neubautätigkeit in Zukunft stärker am Gemeinwohl ausrichten will – und weniger an der Gewinnmaximierung. Ist das der Fall, muss sich auch an anderen Stellen etwas ändern: Bei den Ein-Raum-Appartements etwa wird es interessant sein zu sehen, ob der neue Rat diese Praxis auch auf dem Osmo-Areal weiter zulassen will.

Die Bodenpolitik

Die Stadt hat aber noch ein mächtigeres Instrument in der Hand als die Bebauungspläne: eine vorausschauende eigene Bodenpolitik. Grund und Boden gehören zu den Gütern, die sich nicht vermehren lassen. Umso wichtiger ist es, dass die Stadt damit nachhaltig umgeht. Viele Städte sind deshalb dazu übergegangen, neues Bauland über ein Erbbaurecht zu vergeben.

Wer bauen möchte, muss kein Bauland kaufen, sondern zahlt jährlich eine Art Miete, den sogenannten Erbbauzins. Dieser liegt bei etwa vier bis fünf Prozent des Grundstückswerts. Das hat den Vorteil, dass die Grundstücke nach der Laufzeit des Vertrages wieder an die öffentliche Hand zurückfallen. Den Kommunen entstehen so zudem regelmäßige Einnahmen.

Hätte man so vor 40 oder mehr Jahren in der Aaseestadt gehandelt, gäbe es jetzt viel bessere Gestaltungsmöglichkeiten. Die Stadt könnte den Wohnbedürfnissen der Gegenwart viel leichter gerecht werden. Und ganz nebenbei würde die Finanzierung eines Eigenheims für viele Menschen sehr viel einfacher.

Gerade bei der gleichzeitigen Entwicklung größerer geschlossener Areale wäre es nachhaltig, auf diese Weise vorzugehen.

Die Gretchenfrage

Die katholische Kirche, eine Organisation mit jahrhundertelanger Grundbesitztradition, verfährt schon sehr lange so. Die öffentliche Hand sollte davon lernen. So könnte sie für künftige Generationen Bauland sichern. Dann läge die Entscheidung über die Vergabe von Grundstücken in der Hand der Politik – und nicht in der von privaten Gesellschaften.

Vor diesem Hintergrund wird es die Gretchenfrage für den neuen Rat, wie er es mit den gerade mühsam und teuer erworbenen Grundstücken der Kasernenflächen in Gremmendorf und Gievenbeck halten will. Wird die Stadt nur als Zwischenhändlerin bei den Grundstücken auftreten? So plant die Lewe-Verwaltung es bislang. Oder schafft sie es, die Grundstücke über eine Erbpacht zu vergeben und selbst Grundeigentümerin zu bleiben? Dann könnten künftige Generationen neu entscheiden, was mit großen stadtnahen Flächen passiert.

In der Gegenwart würde die Erbpacht verhindern, dass die Bodenpreise durch Spekulation steigen. Dagegen wird gern eingewandt, beim aktuellen Zinsniveau sei Erbpacht auch für die Pachtnehmer unrentabel. Doch wenn man sich anschaut, was bei bisherigen Vergaben herausgekommen ist, sieht man: Es ist kein solches Grundstück liegengeblieben. Vielleicht war die Marge etwas niedriger, aber wäre das eine Katastrophe?

Daneben stellt sich gerade bei den neuen Baugebieten die Frage auch an jeden einzelnen Menschen: Wie nachhaltig will er oder sie mit Fläche umgehen? Und das führt zu einer weiteren Frage, die sehr grundsätzlich ist: Ist ein Einfamilienhaus angesichts sich massiv verändernder Lebens- und Arbeitsbedingungen noch die Wohnform der Zukunft?

Herzliche Grüße

Ihr Michael Jung

Porträt von Michael Jung

Michael Jung

… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.

Die Kolumne

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