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Die Kolumne von Michael Jung | Von Spardosen und viel Luft im Haushalt
Guten Tag,
wegen der Kommunalwahl ist es spät geworden mit dem Haushalt für 2021. Was normalerweise im Dezember passiert, geschieht in diesem Jahr erst im März – aber bald sollte Münster einen verabschiedeten Haushalt haben, den ersten der neuen Wahlperiode und den ersten, den die neue Ratsmehrheit beschließt. Diese Beratungen sind nicht nur spannend im Hinblick auf die politischen Akzente der neuen Mehrheit, sondern auch mit Blick auf die wirtschaftliche und finanzpolitische Zukunft der Stadt. Zeit also für ein paar grundsätzliche Anmerkungen.
Der städtische Haushalt funktioniert anders als die Budgets von Bund und Land. Während dort kameralistisch gebucht wird, also mit einer reinen Einnahmen- und Ausgabenrechnung, plant die Stadt wie ein Unternehmen mit einer doppelten Buchführung. Wie man in den letzten Wochen beobachten konnte, ist dieser Unterschied selbst prominenten Ratsmitgliedern nicht klar. So erklärte die FDP, sie wolle eindrucksvolle 18 Millionen Euro für die Beschaffung von Tablets für Münsters Schulen bereitstellen. Das ist zwar ein guter Oppositionsknaller, aber haushälterischer Unfug.
Wollte der Bund oder wollte das Land Tablets beschaffen, müsste man die Investitionskosten als Ausgabe rechnen, und die FDP hätte richtig argumentiert. Kommunal wird die Summe investiert, aber danach linear abgeschrieben, also gleichmäßig auf mehrere Jahre verteilt. Die FDP müsste also richtigerweise (unterstellt, die Investitionskosten stimmen) sechs Millionen bereitstellen, das aber in diesem Fall über drei Jahre wiederkehrend.
18 Millionen Euro sind Quatsch
Außerdem müsste sie natürlich für nachkommende Schülerinnen und Schüler neue Tablets beschaffen in den nächsten Jahren, also sogenannte revolvierende Haushaltsansätze bilden – Posten, die immer wieder im Haushalt stehen. Wie man es also dreht und wendet: 18 Millionen sind Quatsch – und ein schöner Beleg, dass so mancher im Rathaus weniger über den Haushalt weiß, als seine Wähler:innen hoffnungsvoll annehmen.
Entscheidend für die Beurteilung des Haushalts sind aber andere Zahlen, nämlich die des Gesamtabschlusses. Ist der im Defizit, kann man ihn fiktiv ausgleichen, indem man die sogenannte Ausgleichsrücklage in Anspruch nimmt, Überschüsse aus guten Jahren. Ist diese Rücklage aufgebraucht, darf das Defizit nicht länger als ein Jahr die Marke von fünf Prozent des bilanziellen Eigenkapitals überschreiten, sonst droht der Stadt ein sogenanntes Haushaltssicherungskonzept. Das bedeutet: Sie darf über ihre Ausgaben nicht mehr eigenständig entscheiden, bis der Haushalt wieder saniert ist.
Schaut man sich den Haushaltsplan unter diesen Gesichtspunkten an, sieht es 2021 erstaunlich aus: Trotz Corona plant Münsters Kämmerin Christine Zeller nur mit 12,2 Millionen Defizit. Dazu muss man wissen: Die sparsame schwarz-gelbe Landesregierung hat den NRW-Kommunen anders als andere deutsche Landesregierungen keine Finanzhilfen gewährt, sondern einen Buchungstrick geschenkt: So darf die Stadt Münster dieses Jahr 54,7 Millionen Mehrausgaben und Einnahmeverluste aus Corona isolieren, das heißt: als Einnahme verbuchen und in den kommenden Jahren nach und nach abschreiben.
Das heißt konkret: Das Corona-Loch wird dadurch provisorisch aufgefüllt, belastet aber die Zukunft. Nur so kommt ein verhältnismäßig geringes Defizit zustande. In den folgenden Jahren sieht es dann auch gleich viel deftiger aus mit den Defiziten: 2022 sind es laut Plan 69,9 Millionen, im Jahr darauf 56,1 Millionen und 2024 dann 52,6 Millionen. Das ist zu viel. Spätestens zum Ende der Wahlperiode würde die Haushaltssicherung drohen. Keine schönen Aussichten.
Zuversicht und Hoffnungswerte
Schaut man genauer hin, so zeigt sich, dass die Annahmen, von denen die Kämmerin selbst bei diesen Defiziten ausgeht, große Zuversicht zeigen. Man könnte auch sagen: Da stehen Hoffnungswerte. So geht sie in ihrer mittelfristigen Finanzplanung beispielsweise davon aus, dass die Einnahmen aus der Gewerbesteuer nicht nur stetig steigen, sondern auch in kürzester Zeit wieder auf Vor-Corona-Niveau liegen und bald sogar darüber.
Auch die Anteile der Stadt an der Einkommensteuer sollen bis 2024 um fast 20 Prozent steigen. Das kann man glauben. Aber mit Blick darauf, dass die langjährigen Durchschnittswerte bei der Gewerbesteuer eher unter 300 Millionen pro Jahr liegen als darüber, muss man das auch nicht tun.
Ebenso optimistisch wie bei den Einnahmen ist die Rechnung bei den Ausgaben: Da geht die Kämmerin von einem Anstieg von 6,25 Prozent in vier Jahren bei den Personalkosten aus. Wenn man bedenkt, dass 1,8 Prozent schon fest für die bereits vereinbarte Tariferhöhung 2022 draufgehen und eine weitere Tarifrunde ansteht bis 2024, ist das ohne viel Puffer kalkuliert.
Wenn man sich dann erinnert, dass die Stadt Münster in den Jahren von 2014 bis 2019 etwa tausend neue Stellen geschaffen hat, bedeuten die Haushaltsansätze, dass in dieser Wahlperiode keine neuen Stellen mehr dazukommen. Dagegen spricht alleine schon der bedarfsdeckende Ausbau der Kita- und Schulbetreuungsangebote.
Viele unrealistisch positive Annahmen
Ganz zuversichtlich ist die Kämmerin auch bei den Mitgliedsumlagen der Stadt zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Aus diesem Geld wird vor allem die überörtliche Sozialhilfe bezahlt, also vor allem die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. Hier glaubt Christine Zeller, dass der Beitrag die kommenden Jahre immer bei 92 Millionen bleiben wird. Das stimmt aber zum einen nicht mit den Planungen des LWL überein, der von steigenden Kosten ausgeht, und es entspricht zum anderen auch nicht den Erfahrungen der Vergangenheit. In der letzten Wahlperiode seit 2014 ist die Zahllast um über 30 Millionen gestiegen.
So könnte man noch weitermachen, aber es dürfte schon jetzt klar sein: Das Zahlenwerk geht von vielen unrealistisch positiven Annahmen aus, und die mittelfristige Entwicklung dürfte viel kritischer werden.
Wenn bisher trotzdem von haushaltspolitischer Endzeitstimmung wenig zu spüren ist, dann liegt das an einer anderen Entwicklung. Haushaltspläne haben mit der Realität nichts zu tun, das zeigt sich an den Jahresabschlüssen der Stadt.
Der Haushalt wies im Jahr 2017 bei Verabschiedung ein Defizit von 58,6 Millionen Euro aus. Im Jahresabschluss stand unter dem Strich ein Überschuss von 9,4 Millionen.
Im Jahr darauf das gleiche Bild: Bei Verabschiedung ein Defizit von 16,4 Millionen, am Ende ein Überschuss von 49,1 Millionen.
Bereinigt um Sondereffekte wich das Ergebnis 2017 um 68 Millionen, 2018 um 65,5 Millionen vom Plan ab – und zwar nach oben.
In den Haushalt gebuchte Luft
Hat die Stadt nun „gut gewirtschaftet“, wie die CDU an dieser Stelle dem Publikum gerne zu erzählen pflegte, solange sie in der Mehrheit war? Natürlich nicht. Abgesehen von Schwankungen zum Beispiel durch eine extrem positive Entwicklung der Gewerbesteuer in diesen Jahren sind die Effekte vor allem auf eines zurückzuführen: Viel Luft, die in den Haushalt gebucht ist.
So stellen sich einzelne Fachämter gerne ihre Spardosen in Form von hochaggregierten Haushaltspositionen auf, die kaum ein Ehrenamtler im Rat durchschaut und hinterfragt. Berüchtigt zum Beispiel ist die Position „Hilfen zur Erziehung“ im Jugendamt. Wo immer man unterjährig als Jugendamt mal Geld braucht, hier liegt es.
Welche Ratsfraktion würde sich schon trauen, bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu sparen? Ein Aufschrei wäre gewiss. Und doch sieht man jedes Jahr bei der Ergebnisrechnung: Mindestens zehn Millionen Euro Luft sind da immer drin. Natürlich gibt es diese Spardosen nicht nur für das Jugendamt, sondern auch für den Tiefbau und die Grünflächen. Andere dagegen, gerade in der Kultur, fahren auf Felge.
Jetzt könnte man sagen: Sei’s drum. Ist doch gut, wenn man vorsichtig plant und man hinterher Geld übrig hat. Die Wahrheit ist aber: Dieses Verhalten der Verwaltung führt zu Intransparenz und dazu, dass politische Gestaltungsspielräume beschnitten werden. Diese Multimillionenpuffer stehen einer politischen Mehrheit eben nicht zur Verfügung. Über dieses Geld entscheidet kein demokratisch legitimiertes Gremium.
Allerdings ist die Rathauspolitik selbst nicht unschuldig an diesem Dilemma. Auch die Politik hat nämlich viel Investitions-Luft in den Haushalt gepumpt. Jedes Jahr kam Neues dazu: 50 Millionen für die Verkehrswende (2018), 40 Millionen für das Preußen-Stadion (2019), 45 Millionen für den Musik-Campus (2020). Abgeflossen ist davon bisher fast nichts.
Simulation von politischer Tatkraft
Inzwischen türmen sich die fortgeschriebenen Planungsansätze für solche und andere Investitionen („Verpflichtungsermächtigungen“) auf weit über eine halbe Milliarde. Auch das ist natürlich nur die Simulation von politischer Tatkraft. Hier wäre es ehrlicher, nur das in den Haushalt zu nehmen, was auch wirklich durchgeplant ist. Das hätte den Vorteil, dass die Summen sich dann bei der Ausführung nach vielen Jahren Verschieberei nicht plötzlich verdoppeln, wie zuletzt bei der Feuerwache in Hiltrup geschehen.
Doch nicht jede Millionensumme, die gerade diskutiert wird, ist eine Belastung für den Haushalt. CDU und FDP jaulen zwar auf, wenn 50 Millionen Eigenkapital der Wohn- und Stadtbau zugeführt werden sollen, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht. Eine Katastrophe für den Haushalt? Keineswegs.
Das rechnet sich nämlich so: Nimmt die Stadt das Geld als Kredit auf, so zahlt sie dafür Zinsen. Diese Zinsen vermindern das Vermögen der Stadt. Die 50 Millionen dagegen nicht, denn in der doppelten Buchführung ist der Vorgang im Grunde nur eine Umbuchung. 50 Millionen Euro gehen ab, doch die Beteiligung an der städtischen Tochter im Wert von 50 Millionen Euro kommt auf der gleichen Seite der Bilanz hinzu. Das Vermögen der Stadt verändert sich nicht, an einer anderen Stelle schon. Sinnvollerweise nimmt man für diese Eigenkapitalerhöhung allerdings kein Bargeld, sondern unbebaute Grundstücke, die man zuvor erworben hat.
Die Wohn- und Stadtbau investiert das Geld in Wohnungen und erzielt damit eine Eigenkapitalrendite, die in jedem Fall höher ist als die Zinsen, die die Stadt für den Kredit für den Grundstückserwerb zahlt. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich so im Haushalt des Stadtkonzerns ein Plus. Was aber noch wichtiger ist: So entstehen vor allem endlich auch mehr bezahlbare Wohnungen. Das ist gut für den Haushalt und die Bilanz, aber vor allem für die Menschen in Münster, die dringend eine Wohnung suchen.
Was bedeutet das nun alles für die finanzielle Lage der Stadt? Es stehen kritische Jahre bevor, aber es gibt eine realistische Chance, das politisch zu stemmen. Die neue Koalition wäre allerdings gut beraten gewesen, ihr Wirken mit einem Kassensturz zu beginnen und die Haushaltszahlen an die Realitäten anzupassen – um so politische Spielräume zu gewinnen für das, was wichtig ist.
Herzliche Grüße
Ihr Michael Jung
Michael Jung
… lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.
Die Kolumne
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