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Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Wir haben es in der Hand
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.
Nicht schon wieder Corona, werden Sie denken. Deshalb wollte ich eigentlich über ein anderes Thema schreiben. Aber das wäre so, als würde ich mich mit der Bootsverpflegung beschäftigen, während es doch darum geht, wie ein Leck geschlossen werden kann, bevor das ganze Boot voll Wasser gelaufen ist.
Das Bild mag Ihnen übertrieben vorkommen. Schließlich hat Münster über 313.000 Einwohner. Von denen waren am Freitag mal gerade 119 aktuell infiziert. Und von den 83 Millionen Einwohnern in Deutschland sind es 50.000.
Aber die Infektionszahlen stagnieren nicht mehr, wie noch im Sommer, sondern die Neuinfektionen nehmen wieder stark zu, inzwischen deutschlandweit um 5.000 täglich. Wird diese Tendenz nicht gebrochen, droht ein exponentieller Anstieg, wie zu Beginn der Pandemie im März und April.
Wir alle müssen entschlossen handeln
Leider sind wir nicht gut darin, exponentielles Wachstum richtig einzuschätzen. Das zeigt ein Test von Shane Frederick, der lange mit dem Psychologen und Nobelpreisträger Daniel Kahneman zusammengearbeitet hat. Der Test besteht nur aus drei Fragen. Die dritte ist diese (bitte überlegen Sie nur kurz, ehe Sie antworten):
„Die Seerosen in einem Teich verdoppeln Ihre Fläche jeden Tag. Wenn der See nach 48 Tagen komplett mit Seerosen bedeckt ist, wie lange hat es gedauert, bis er zur Hälfte bedeckt war?“
Sehr viele antworten: „24 Tage“, weil sie denken: Halber Teich bedeckt bedeutet: Hälfte der Tage. Aber diese Antwort ist falsch. Richtig ist: Der See ist nach 47 Tagen halb bedeckt, die letzte Verdoppelung dauert nur einen Tag, so lang wie alle anderen Verdoppelungen vorher auch.
Vielleicht schärft ein Blick in unsere europäischen Nachbarstaaten unsere Vorstellungskraft, um zu erkennen, was uns in Deutschland bevorsteht, wenn jetzt nicht entschlossen gehandelt wird. Und gleich an dieser Stelle sei gesagt: Es geht weniger darum, von der Politik oder sonst wem entschlossenes Handeln zu verlangen. Das ist zwar nie verkehrt, verkennt hier aber den entscheidenden Punkt: Wir alle müssen entschlossen handeln. Denn jede und jeder von uns kann sich anstecken – und dann andere.
Gesundheitsnotstand in Frankreich
In den Niederlanden betrug die Zahl der Neuinfizierten im März und April nie mehr als 1.300 pro Tag. Aber allein letzten Dienstag gab es 7.300. Die niederländische Regierung reagierte und hat einschneidende Maßnahmen verfügt, um einen Lock down doch noch zu vermeiden: Am Mittwoch Abend mußten alle Restaurants, Kneipen und Cafés schließen. Auch die Coffee-Shops, in denen legal Haschisch angeboten wird. Nach 20 Uhr darf kein Alkohol mehr ausgeschenkt oder in der Öffentlichkeit getrunken werden. Ein Haushalt darf maximal drei Personen am Tag empfangen. Die Regierung will außerdem die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen, dass alle, die älter sind als 13 Jahre, in Innenräumen eine Maske tragen müssen.
So wollen die Niederlande einen Rückfall vermeiden, wie er in Spanien bereits eingetreten ist. Seit Wochen melden die Behörden dort täglich gut 10.000 Neuinfektionen; die Zahl der Toten steigt. Inzwischen sind über 50.000 Menschen in Spanien an dem Coronavirus gestorben.
In Frankreich verhängte Präsident Macron den Gesundheitsnotstand, nachdem die täglichen Neuinfizierungen auf 20.000 gestiegen waren. (Das hatte ich am Donnerstag geschrieben. Einen Tag später meldete Frankreich 30.000, die sich in den letzten 24 Stunden neu infiziert hatten.)
Neue Corona-Regeln
Mehr als 40 Prozent der Intensiv-Betten in den Krankenhäusern sind inzwischen belegt. Ab diesem Wochenende gilt in den besonders betroffenen Großstädten und Regionen eine nächtliche Ausgangssperre. Zwischen 21 und 6 Uhr darf sich dort niemand ohne triftigen Grund auf der Straße aufhalten. Sonst drohen 135 Euro Strafe.
In Deutschland wurden zuletzt 7.334 Neuinfektionen an nur einem Tag gemeldet. Deshalb haben Bund und Länder letzte Woche neue Corona-Regeln verabschiedet. Sie senken die Schwelle, ab der bei steigenden Infektionszahlen eine erweiterte Maskenpflicht, Sperrstunden in der Gastronomie und strengere Teilnehmerbegrenzungen bei privaten Feiern empfohlen werden.
Die NRW-Landesregierung hat die Bund-Länder-Vereinbarung inzwischen umgesetzt. In den Risikogebieten, in denen es mehr als 50 Neuinfektionen gibt, wird eine verpflichtende Sperrstunde eingeführt. Zwischen 23 Uhr und 6 Uhr müssen alle gastronomischen Betriebe schließen. Alkohol darf auch an Tankstellen und Kiosken nicht mehr verkauft werden. Außerdem gibt es eine Maskenpflicht „in stark frequentierten Bereichen”, wie zum Beispiel in Fußgängerzonen.
Von dem Schwellenwert 50 ist Münster zwar noch entfernt. Aber mit inzwischen 30,4 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ist Münster kurz davor, die Schwelle von 35 Neuinfektionen zu überschreiten.
Sollte das geschehen und die Stadt den Empfehlungen von Bund und Land folgen, würden Feiern im Familien- und Freundeskreis auf 25 Teilnehmer im öffentlichen Raum und auf 15 Teilnehmer im privaten Raum beschränkt werden. Außerdem würde „eine ergänzende Maskenpflicht dort eingeführt werden, wo Menschen dichter und/oder länger zusammenkommen“. Die Gastronomie müsste mit einer Sperrstunde rechnen.
Wir haben es in der Hand
Und wenn das alles nichts hilft? Bund und Länder haben sich und der Bevölkerung eine Frist gesetzt: Wenn der bundesweite Anstieg der Infektionszahlen „nicht spätestens binnen zehn Tagen zum Stillstand“ komme, „sind weitere gezielte Beschränkungsschritte unvermeidlich, um öffentliche Kontakte weitergehend zu reduzieren“. In einem ersten Schritt würden Kontakte im öffentlichen Raum nur noch einer Gruppe von höchstens fünf Personen oder den Angehörigen zweier Haushalte gestattet.
Soweit sollte es nicht kommen. Wir alle haben es in der Hand. Wir wissen, wie sich Covid-19 verbreitet: durch Kontakte. Deshalb sollten wir auf vermeidbare Kontakte verzichten. Und bei unvermeidbaren Kontakten die notwendige Vorsicht walten lassen: mindestens 1,50 Meter Abstand halten, eine Maske tragen und die Hygieneregeln beachten (Händewaschen). Und geschlossene Räume gut lüften, um eine mögliche Ansteckung über Aerosole zu vermeiden.
So können wir das Leck im Boot wieder schließen und gut über den Winter kommen. Und dann gibt es auch wieder viele andere Themen, über die man schreiben kann.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche. Und bleiben Sie gesund.
Ihr Ruprecht Polenz
Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
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