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Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Angriff auf die Rundfunkfreiheit
Ich wünsche Ihnen einen schönen Vierten Adventssonntag.
Das Jahr 2020 geht dem Ende entgegen. Dass es durch die weltweite Corona-Pandemie ein ganz besonderes war, haben wir alle gespürt. Ich will den vielen Rückblicken nicht einen weiteren hinzufügen, sondern in einem ganz anderen Zusammenhang nach vorn schauen.
Vieles wird zum 1. Januar 2021 teurer: die Müllabfuhr, die Straßenreinigung, Versicherungen. Der Rundfunkbeitrag ist nicht dabei. Das ist eine gute Nachricht. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Lassen Sie uns einen zweiten Blick darauf werfen. Der Rundfunkbeitrag bleibt bei 17,50 Euro im Monat. Er wird, wie seit elf Jahren, auch 2021 nicht erhöht. Jedenfalls vorerst nicht, denn Sachsen-Anhalt hat als einziges Land den Staatsvertrag nicht ratifiziert, mit dem alle Länder gemeinsam und einstimmig die Höhe des Rundfunkbeitrags beschließen müssen.
Darüber hat sich nicht nur die AfD gefreut, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) aus politischen Gründen abschaffen will. Auch Libertäre, die grundsätzlich gegen Pflichtbeiträge sind, wollen keinen „zwangsfinanzierten“ ÖRR, weil sie meinen, allein der Markt solle über Angebot und Nachfrage auch beim Rundfunk entscheiden. Andere wollen den ÖRR zwar nicht abschaffen, erhoffen sich aber von dem „Signal aus Sachsen-Anhalt“ eine Reformdiskussion über den ÖRR, der ihnen zu groß und teuer erscheint.
Wir brauchen Qualitätsjournalismus
Nehmen wir die jeweiligen Positionen etwas unter die Lupe.
Der ÖRR wurde entsprechend dem britischen BBC-Modell nach dem Krieg in Westdeutschland eingeführt, als Lehre aus der Erfahrung mit der Propaganda von Goebbels. Ich halte es für keinen Zufall, dass die Abschaffung des ÖRR zu den zentralen Kampagne-Punkten der AfD gehört.
Warum die AfD den ÖRR abschaffen will, liegt auf der Hand. Ohne ÖRR würden (noch) mehr Menschen ihrer auf Lüge und Unwahrheit gestützten Propaganda folgen. Wir brauchen Qualitätsjournalismus, damit wir den Fake News nicht auf den Leim gehen.
Im ÖRR ist unabhängiger Qualitätsjournalismus zukunftssicher finanziert. Das ist der AfD ein Dorn im Auge. Sie denunziert den ÖRR als „Staatsfunk“ und verfolgt gleichzeitig eine Politik, die den unabhängigen ÖRR erst zum abhängigen Staatsfunk machen würde. Sie möchte ihm wegen mangelnden Wohlverhaltens den Geldhahn zudrehen und denunziert ihn als „Lügenpresse“. Der Angriff der AfD zielt direkt auf die Rundfunkfreiheit.
Auch die Libertären wollen den ÖRR abschaffen. Was ich nicht bestellt habe, das will ich auch nicht bezahlen – so lautet ihr zentrales Argument gegen die Beitragsfinanzierung des ÖRR. Es gebe ja auch keine öffentlich-rechtlichen Zeitungen, sondern die Menschen entscheiden selbst, ob und welche gekauft wird.
Aber wäre es wirklich ein Fortschritt, wenn es in Deutschland nur noch Rundfunk und Fernsehen geben würde, das von Kapitalinteressen, Werbung und Quote abhängig ist? Ein Blick auf RTL und SAT 1 zeigt, wie diese Programme aussehen.
Wer zahlt, bestimmt
Am Geld kann es nicht liegen, dass der Informationsanteil dort so gering ist. Schließlich erwirtschaftete die RTL-Gruppe 2019 bei einem Umsatz von 6,7 Milliarden Euro einen Jahresüberschuss von 754 Millionen Euro. Aber Informationssendungen bringen keine Quote und deshalb keine Werbeeinnahmen.
Dabei ist Qualitätsjournalismus heute wichtiger denn je. In der Informationsflut des Internet brauchen wir journalistisch-unabhängige Filter, die Quellen überprüfen, Informationen einordnen und uns Orientierungsmöglichkeiten geben. Der ÖRR bietet diesem Qualitätsjournalismus eine gesicherte finanzielle Basis.
Den privaten Qualitätszeitungen haben Google, Facebook und andere die Werbeanzeigen entzogen mit der Folge, dass diese Form des Qualitätsjournalismus derzeit nicht zukunftsfest finanziert ist. Entlassungen von Journalist:innen und zusammengelegte Redaktionen zeigen, wie ernst die Lage im Printjournalismus ist.
Es ist gar nicht so einfach, Pressefreiheit so zu organisieren, dass weder Kapitalinteressen (der Eigentümer oder Werbetreibenden) noch der Staat den Inhalt beeinflussen können. Für den ÖRR ist das ziemlich gut gelungen.
Zu den Strukturprinzipien des ÖRR gehört, dass er möglichst unabhängig vom Staat organisiert ist. Wer zahlt, bestimmt. Deshalb wird der ÖRR nicht aus Steuermitteln finanziert, über deren Verwendung jährlich die Politik entscheidet, sondern aus einem Rundfunkbeitrag, den alle Haushalte entrichten, und dessen Höhe von unabhängigen Expert:innen ermittelt wird.
Um die Rundfunkfreiheit vor politischen Eingriffen zu schützen, überprüft eine Expertenkommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) alle zwei Jahre den von den Anstalten geltend gemachten Finanzbedarf. Die 16 Mitglieder der KEF werden von den Ländern bestellt und gehören oft den Landesrechnungshöfen an.
Reform wäre möglich gewesen
Die KEF hatte den von ARD, ZDF und Deutschlandradio angemeldeten Zusatzbedarf deutlich gekürzt. Statt um 1,74 € soll der Beitrag um 86 Cent erhöht und bis 2024 festgeschrieben werden.
Von dieser KEF-Empfehlung dürfen die Länder nur abweichen, wenn dafür Gründe vorliegen, „die vor der Rundfunkfreiheit Bestand haben“, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem 8. Rundfunkurteil festgestellt. „Programmliche und medienpolitische Zwecke“ sind nicht zulässig, um von der KEF-Empfehlung abzuweichen, so das Bundesverfassungsgericht.
„Zu links, zu wenig ostdeutsch, zu teuer.“ Diese Argumente der CDU Sachsen-Anhalt waren aber programmlich und medienpolitisch. Das Grundgesetz schützt die Rundfunkfreiheit vor finanziellen Daumenschrauben des Staates. Deshalb klagen ARD, ZDF und Deutschlandradio jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht, mit guter Aussicht auf Erfolg.
Dabei liegt es durchaus in der Hoheit der Länder, dem ÖRR allgemeine Vorgaben zu machen. Aber wenn das geschehen ist, muss der ÖRR so finanziert werden, dass er diese Vorgaben erfüllen kann. Wer bestellt, muss auch bezahlen. Die unabhängige KEF ermittelt, wieviel Geld es kostet.
Es bestand vor wenigen Monaten eine gute Gelegenheit, eine umfassende Diskussion über diese politischen Vorgaben und die Struktur des ÖRR zu führen, wenn man Änderungen herbeiführen wollte. Im September 2020 hat auch Sachsen-Anhalt den Medienstaatsvertrag ratifiziert – ohne größere Diskussionen oder Vorbehalte. Er regelt den allgemeinen Programmauftrag, die Zahl der Anstalten und der Programme.
Hier hätte Sachsen-Anhalt seine Vorstellungen einbringen müssen. Das ist nicht geschehen. Inzwischen ist der Medienstaatsvertrag mit den Unterschriften aller Länder in Kraft getreten.
Natürlich ist damit die Diskussion um den ÖRR nicht beendet. Deshalb zum Abschluss noch ein paar Bemerkungen zu denen, die den ÖRR zwar nicht abschaffen, aber doch mehr oder weniger umkrempeln wollen.
Grundversorgung ist nicht Mindestversorgung
Der ÖRR solle nur senden, was Privatsender nicht im Programm hätten. Profi-Fußball und Spielfilme bekäme man schließlich bei Sky oder Netflix. Wer so argumentiert, stellt sich das Programm des ÖRR so vor wie Phoenix oder 3Sat. Dann bekommt man aber auch deren Einschaltquoten von circa einem Prozent. Dagegen kommen ARD und ZDF gemeinsam mit den Dritten Programmen auf einen Marktanteil von rund 45 Prozent.
In den Hauptprogrammen von ARD und ZDF profitieren die Einschaltquoten der Informationssendungen vom sogenannten Audience-flow. Eine Tagesschau vor dem Tatort hat gleich ein paar hunderttausend Zuschauer:innen mehr und das ZDF-heute-journal wird in der Halbzeit eines Fußball-Länderspiels von über zehn Millionen gesehen.
In seiner ständigen Rechtsprechung geht deshalb das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass der ÖRR den Auftrag zu einer sogenannten Grundversorgung hat. Grundversorgung ist hierbei nicht mit Mindestversorgung gleichzusetzen, die sich auf die bloße Verbreitung von Informations- und Bildungssendungen beschränkt. Auch Unterhaltung, Sport und vor allem Beiträge zur Kultur gehören dazu.
Aus meiner Sicht muss der ÖRR sich vor allem im Hinblick auf seine Aufgaben im Internet weiter reformieren. Das öffentlich-rechtliche Jugendprogramm Funk ist dafür ein gutes Beispiel. Es erreicht die Jugendlichen in ihrer digitalen Welt. Aber auch anderen Zielgruppen sollte der ÖRR über die Kanäle im Netz seriöse Informationen und gute Unterhaltung anbieten. Auch der weitere Ausbau der Mediatheken gehört zu den Bausteinen einer öffentlich-rechtlichen Strategie für die digitale Fernsehzukunft, in der die Menschen immer mehr selbst entscheiden, was sie wann und wo sehen wollen. Trotzdem wird es die linearen Hauptprogramme weiter geben. Fußballspiele will man nicht zeitversetzt sehen und die Nachrichten sollen aktuell sein.
Was heißt das alles für den Rundfunkbeitrag? Ich denke, er wird 2021 doch erhöht, weil das Bundesverfassungsgericht den Klagen der ÖRR stattgibt. Ich würde mich freuen, wenn dieser Brief bei Ihnen etwas Verständnis dafür geweckt hätte.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest, Gesundheit und alles Gute für 2021.
Ihr
Ruprecht Polenz
Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
Die Kolumne
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