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Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Gute Gründe für ein Tempolimit

Einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen,
wo immer Sie jetzt sind – ob im sommerlich etwas leeren Münster, irgendwo am Strand oder in den Bergen.
Wer mit dem Auto verreist, kann in der Urlaubszeit eine Erfahrung machen, von der ich mir wünschte, dass sie bald auch zu unserem Alltag in Deutschland gehört: ein Tempolimit auf Autobahnen.
Der Verkehr fließt gleichmäßiger. Niemand taucht wild blinkend im Rückspiegel auf, damit wir unseren Überholvorgang abbrechen und uns wieder hinter den Lkw quetschen, nur damit er – meist ist es ein Mann – bei Tempo 180 oder 220 nicht abbremsen muss. Da hilft uns auch die Genugtuung nichts, dass der Raser ein paar hundert Meter weiter dann doch auf die Bremse muss, weil er eine längere Autoschlange auf der linken Spur vor sich hat.
Deutschland hat kein generelles Tempolimit auf Autobahnen, gemeinsam mit Afghanistan, Bhutan, Burundi, Haiti, Mauretanien, Myanmar, Nepal, Nordkorea, Somalia, Vanuatu und dem indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Alle anderen Länder auf dieser Welt beschränken die Höchstgeschwindigkeit.
Auf diesen Sonderstatus sollten wir nicht stolz sein. Denn es gibt gute Gründe dafür, auch auf deutschen Autobahnen eine generelle Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h einzuführen.
Weniger tödliche Unfälle, weniger Verletzte
Mit der Beschränkung würde die Verkehrssicherheit erhöht. Dagegen spricht nicht das Argument der Gegner:innen eines Tempolimits, wonach die Autobahnen im Vergleich zu Bundes- und Landstraßen sicherer seien (was stimmt). Denn man muss Autobahnen ohne Tempolimit mit Autobahnstrecken vergleichen, wo ein Tempolimit gilt.
Es gibt zwei Beispiele aus Deutschland dafür, dass ein Tempolimit spürbare Wirkung haben kann. Das Land Brandenburg hat die Unfallentwicklung mit und ohne Tempolimit untersucht. Die vom Potsdamer Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung 2007 veröffentlichte Studie ergab, dass dort, wo im Bundesland Tempolimits eingeführt wurden, die Zahl der Unfälle, Getöteten und Verletzten deutlicher zurückging als auf den anderen Autobahnabschnitten, wo die Unfallzahl im Untersuchungszeitraum auch zurückgegangen war.
Das zweite Beispiel stammt aus Nordrhein-Westfalen. Auf der Autobahn A4 hatte es zwischen den Gemeinden Elsdorf und Merzenich seit 2014 mehrere schwere Unfälle mit zahlreichen Verletzten und insgesamt neun Toten gegeben. 2017 wurde ein Tempolimit von 130 km/h eingeführt. Die Folge: kein tödlicher Unfall mehr, weniger Verletzte. Rund 85 Prozent aller Fahrer:innen halten sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen. Auf dem circa zehn Kilometer langen Abschnitt sank die Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 140 auf 120 km/h.
Ein weiterer guter Grund für ein Tempolimit von 130 km/h: Weniger Geschwindigkeit bedeutet weniger Spritverbrauch, bedeutet weniger CO2-Ausstoß und bedeutet deshalb mehr Klimaschutz. Es gibt unterschiedliche Berechnungen und Schätzungen darüber, wieviel CO2 eingespart werden könnten. Aber selbst der ADAC kommt auf der Basis von Zahlen des Umweltbundesamtes zu einer Einsparung von 1,9 Millionen Tonnen bei einem Tempolimit von 130 km/h. Das entspricht etwa dem gesamten CO2-Ausstoß aller Einwohnenden von Gelsenkirchen und entspräche laut ADAC „knapp zwei Prozent der CO2-Emmissionen des PKW-Verkehrs“.
Tempo 200 spielt keine Rolle mehr
Weil jede einzelne eingesparte Tonne CO2-Ausstoß zählt, wenn das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden soll, bräuchte es schon sehr gute Argumente, weshalb auf diese schnell wirksame und kostengünstige Reduzierung verzichtet werden sollte.
Früher hieß es immer, die deutschen Autos seien technisch unter anderem deshalb so gut, weil Fahrwerk und Bremsen für hohe Geschwindigkeiten entwickelt würden. Eine so schlechte Straßenlage wie bei amerikanischen Autos könne man sich auf deutschen Autobahnen nicht leisten. Es sei dahingestellt, ob dieses Argument jemals zutreffend war. Die Marktanteile und die Qualität japanischer oder französischer Autos, die in Ländern mit Tempolimit entwickelt wurden, lässt daran zweifeln.
In jedem Fall kommt es heute auf ganz andere Faktoren an, wenn wir über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie sprechen: Wer hat den besten Elektroantrieb? Wer entwickelt andere Alternativen für CO2-freies Fahren? Wer nutzt die Möglichkeiten der Digitalisierung am besten (zum Beispiel autonomes Fahren)? Ob man theoretisch 200 km/h fahren kann, spielt für künftige Kaufentscheidungen eher keine Rolle.
Und da ist dann noch die Sache mit der Freiheit. „Verbote sollten nur da ausgesprochen werden, wo sie auch tatsächlich gebraucht werden“, sagt FDP-Chef Christian Lindner. Und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) meint: „Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hochemotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen – für das es gar keine Mehrheiten gibt.“
Mit den fehlenden Mehrheiten kann er freilich nur das Parlament meinen. Denn in der Bevölkerung gibt es nach repräsentativen Meinungsumfragen eine klare Mehrheit für ein Tempolimit auf Autobahnen.
Das mit dem Tempo könnten wir ändern
„Freie Fahrt für freie Bürger“ hatte der ADAC früher gegen ein Tempolimit gewettert. Heute hört man solche Töne nicht mehr. Denn selbst 50 Prozent der ADAC-Mitglieder sind inzwischen für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen, 45 Prozent lehnen es ab.
In der Gesamtbevölkerung sind die Mehrheiten für ein Tempolimit eindeutig. Nach einer neuen repräsentativen Studie sind insgesamt 64 Prozent der Befragten „auf jeden Fall“ oder „eher“ der Ansicht, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung kommen sollte. „Eher nein“ oder „auf keinen Fall“ sagten 36 Prozent der Befragten.
Es gibt noch ein anderes Land, in dem, um mit Scheuer zu sprechen, „ein hochemotionales Thema immer wieder ins Schaufenster gestellt wird“, ohne es zu lösen. Ich spreche von den USA und ihren Waffengesetzen. Es gibt Mehrheiten in der Bevölkerung, die sie gern verschärfen würden. Im Parlament hat sich noch keine Mehrheit dafür gefunden.
Man könnte sagen, was für die USA das Recht zum Waffenbesitz ist, ist für Deutschland das Recht zum unbegrenzten Schnellstfahren auf Autobahnen. Vernünftig ist beides nicht. Das mit dem Tempo auf deutschen Autobahnen könnten und sollten wir ändern.
Ihnen einen schönen Sommer und, falls Sie verreisen, eine gute und gesunde Rückkehr in Münsterland.
Herzlich
Ihr Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
Die Kolumne
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