Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Wünsche für den Koalitionsvertrag

Porträt von Ruprecht Polenz
Mit Ruprecht Polenz

Guten Tag,

ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.

Der Wahlkampf ist zu Ende. Die Stimmen sind ausgezählt. Siege und Niederlagen stehen fest. Den ungezählten Deutungen des Ergebnisses und den Überlegungen darüber, welche Regierungskonstellationen daraus folgen können, will ich keine weiteren hinzufügen. Mir geht es heute um etwas anderes.

Ich möchte gern auf drei Punkte hinweisen, zu denen ich in jedem Koalitionsvertrag für die nächsten vier Jahre gern etwas lesen möchte, denn leider sind dazu von den Parteien im Wahlkampf kaum konkrete Aussagen gemacht worden.

1. Ein Fahrplan fürs Klima

Fangen wir mit dem Klimaschutz an. Ich hoffe, dass der Koalitionsvertrag als Ausgangspunkt ein CO2-Budget für Deutschland definiert, das uns insgesamt noch zur Verfügung steht. Daraus ergibt sich dann ein Zeitplan, der anzeigt, bis wann Deutschland klimaneutral sein muss, und die Maßnahmen, mit denen man das erreichen will. Auf so einen konkreten Fahrplan sollte sich die künftige Regierung verständigt haben.

Würde das dann alles umgesetzt, wären zu einem Zeitpunkt X immerhin zwei Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen verschwunden. Das ist der Anteil des weltweiten CO2-Ausstoßes, für den Deutschland unmittelbar verantwortlich ist.

Da global zwei Prozent CO2-Einsparung ersichtlich nicht genug sind, um die Erhitzung der Erde um drei, vier oder fünf Grad zu vermeiden, sollte noch mehr zu Klimaschutz im Koalitionsvertrag stehen.

Wir brauchen eine Politik, die auch andere Länder dazu bringt, Klimaschutz wirklich ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln. Mit anderen Worten: Wir brauchen eine Klima-Außenpolitik.

Ein Beispiel dazu: Es reicht nicht aus, das Abholzen der Amazonas-Regenwälder wortreich zu bedauern und die schlimmen Folgen für das Weltklima an die Wand zu malen. Wir müssen etwas tun, um den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro dazu zu bringen, die Regenwälder im Interesse des Weltklimas zu schützen.

Deutschland könnte beispielsweise anbieten, sich finanziell am Erhalt dieser „grünen Lunge der Welt“ zu beteiligen. Man könnte auch Sanktionen androhen, deren wirtschaftliche Folgen für Brasilien die Höhe der kurzfristigen Erträge übersteigen, die sich aus dem Abholzen ergeben. Man kann beide Punkte in einer Klima-Außenpolitik miteinander verbinden. Und Deutschland könnte versuchen, die Europäische Union zu einer solchen Politik zu bringen und damit deren Hebelwirkung deutlich erhöhen.

2. Die Zukunft der Rente

Nächster Punkt: Ich würde im Koalitionsvertrag auch gerne etwas zur Zukunft der Altersversorgung lesen. Nein, nicht in meinem eigenen Interesse, sondern in dem unserer Kinder und Enkel. Dem sogenannte Generationenvertrag, auf dem unsere gesetzliche Altersversorgung beruht, droht der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Wenn nichts geändert wird, ist die Rente nicht sicher.

Unserem Rentensystem liegt ein Umlageverfahren zugrunde, bei dem die jetzt Erwerbstätigen monatlich ihre Beiträge einzahlen, mit denen einen Monat später die Renten der jetzigen Rentner:innen bezahlt werden. Das geht so lange gut, wie sich möglichst viele Erwerbstätige die Bezahlung einer Rente teilen.

Anfang der 1960er-Jahre kamen auf eine Rentner:in noch sechs aktiv versicherte Erwerbspersonen. Aktuell sind es nur noch rund zwei Beitragszahler:innen, die für eine Altersrente aufkommen. Und das, obwohl in Deutschland in den letzten zwei Jahren rund 33,32 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig waren, so viele wie nie zuvor.

Der Grund für diese Schieflage: Die Geburtenrate geht zurück. Gleichzeitig wächst mit der Lebenserwartung auch die Bezugsdauer der Rente – und damit die Zahl der Menschen, die gleichzeitig Altersrente beziehen.

Will man Altersarmut vermeiden – das sollten wir wollen – und will man eine übermäßige Beitragsbelastung der Berufstätigen vermeiden (der Beitrag liegt zurzeit bei 18,6 Prozent), dann bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir finanzieren die Renten noch stärker über Steuern, oder wir erschließen der gesetzlichen Rentenversicherung zusätzlich zu den Beiträgen noch weitere Einnahmemöglichkeiten.

Schon jetzt beträgt der Steuerzuschuss an die Rentenversicherung 84,1 Milliarden Euro; im Jahr 2025 werden es voraussichtlich 97,6 Milliarden Euro sein, 13,5 Milliarden Euro mehr als 2021. Das ist eine Steigerung um 16 Prozent in nur vier Jahren. Damit steht schon jetzt fast ein Drittel des Bundeshaushalts für Investitionen in die Zukunft (Digitalisierung, erneuerbare Energien, Schienennetz) von vornherein nicht zur Verfügung.

Deshalb führt kein Weg daran vorbei: Die gesetzliche Rente muss auf zwei Beine gestellt werden. Neben den Beiträgen braucht es eine Deckung durch Kapital. Ob man die Rentenversicherung in die Lage versetzt, Aktienkapital aufzubauen, um die Rente mitzufinanzieren oder wie auch immer: Ich wüßte vom Koalitionsvertrag gern sehr genau, wie die Rente unserer Kinder und Enkel zukunftssicher finanziert werden soll.

3. Das globale Gefüge

Und noch ein dritter Punkt: Wir haben gesehen, wie sich die USA praktisch im Alleingang aus Afghanistan verabschiedet haben, so schnell, dass die Verbündeten mit ihrem Truppenabzug kaum hinterherkamen. Einige haben vielleicht auch verfolgt, wie Frankreich bei dem U-Boot-Geschäft mit Australien ausgebootet wurde. Die USA fokussieren sich immer mehr auf ihren Wettbewerb mit China. Deshalb stärken sie Australien mit der Lieferung nuklear angetriebener U-Boote.

Wir müssen uns auf eine Welt einstellen, die vor allem von den Beziehungen zwischen den USA und China geprägt sein wird – eher in Zweiergesprächen (G2) als zu siebt (G7), eher bi- als multipolar.

„Es gibt Aspekte, bei denen eine Gegnerschaft besteht; andere, bei denen wir im Wettbewerb stehen mit China, und andere Bereiche, auf denen wir miteinander kooperieren,“ beschreibt der amerikanische Außenminister Blinken die künftigen Beziehungen seines Landes zu China.

Deutschland und die Europäische Union müssen sich darauf einstellen. Vor allem wird es darum gehen, die Einteilung in die drei Kategorien möglichst gemeinsam und in Übereinstimmung mit den USA zu definieren. Dazu muss die Europäische Union aber bereit sein, sich als globale Akteurin zu verstehen, über reine Wirtschafts- und Handelsfragen hinaus.

Deutschland kommt auf diesem Weg zu einer „ever closer union“, wie es in den EU-Verträgen heißt, eine besondere Mit-Führungsrolle zu. Wie Deutschland diese ausüben will, was unser Land dafür einbringen soll – auch darüber würde ich gern Genaueres im Koalitionsvertrag lesen, der das Handeln unserer neuen Regierung bestimmen wird.

Und falls die Verhandlungen der „Ampel-Koalition“ aus SPD, Grünen und FDP erfolgreich zum Abschluss gebracht werden, wünsche ich schon heute eine glückliche Hand und Gottes Segen. Denn die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, sind riesig.

Ihnen allen eine gute Woche.

Herzlich
Ihr Ruprecht Polenz

Korrekturhinweis:

In einer früheren Version des Textes stimmte leider eine Zahl nicht: die Höhe des Zuschusses, der aus Steuergeld in die Rentenversicherung fließt. Der Zuschuss beträgt aktuell nicht 97,6 Milliarden, sondern 84,1 Milliarden Euro. Auf 97,6 Milliarden wächst er voraussichtlich im Jahr 2025. Wir haben die Angabe korrigiert.

Porträt von Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz

Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.

Die Kolumne

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