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Die Kolumne von Ruprecht Polenz | #StopPutinNOW – aber wie?

Guten Tag,
einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen,
trotz der Sorgen, die wir uns um die Menschen in der Ukraine machen und um den Frieden in Europa und der Welt.
Der 24. Februar 2022 ist der schwärzeste Tag in der ukrainischen Geschichte seit dem Angriff von Nazi-Deutschland auf die Ukraine und die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Die europäische Friedensordnung der Charta von Paris liegt in Trümmern, obwohl sie 1990 auch von der Sowjetunion unterschrieben wurde.
Schon durch die Annexion der Krim 2014 und den Krieg im Donbas, in dem bisher 14.000 Menschen getötet wurden, hat Russland die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine verletzt. Seitdem gibt es den Krieg gegen die Ukraine. Der russische Überfall macht jetzt für alle offenkundig: Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass dauerhaft Frieden in Europa herrscht.
Seit 18 Tagen bombardiert und beschießt die russische Armee ukrainische Städte wie Mariupol, Charkiv, Kiew und viele andere. Die Angriffe gelten Wohnvierteln. Auch Krankenhäuser und Schulen werden getroffen. Am Mittwoch ein Kinderkrankenhaus in Mariupol mit Säuglingsstation. Zusammenbruch der medizinischen Versorgung, Lebensmittelknappheit, Stromausfall – Putin zerstört ein Nachbarland.
Inzwischen sind Millionen Ukrainer:innen auf der Flucht. Es wird immer wieder versucht, für eingekesselte Städte Fluchtkorridore zu vereinbaren, oft vergeblich.
Die Hashtags #RussiainvadesUkraine, #StandWithUkraine oder #StopPutinNOW bestimmen die Diskussion in den Sozialen Medien. Was kann man tun, um Putins Krieg zu stoppen?
Eine Flugverbotszone?
Schon früh hat die NATO erklärt, dass sie nicht militärisch in der Ukraine eingreifen wird. Diese Haltung ist bitter, aber richtig. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, dem die Ukraine nicht angehört. Eine unmittelbare militärische Konfrontation der USA mit Russland brächte unkalkulierbare Eskalationsrisiken. Mit einem 3. Weltkrieg wäre auch der Ukraine nicht gedient.
Auch die immer wieder geforderte Durchsetzung einer Flugverbotszone (No-Fly Zone) über der Ukraine wäre ein solcher militärischer Eingriff, denn sie müsste gegen die russische Flugabwehr und Luftwaffe gewaltsam durchgesetzt werden.
So wichtig es ist, dass alle Beteiligten wissen, was die NATO nicht macht, ebenso wichtig ist es, dass Putin weiß, was sie tun würde: Ein Angriff auf ein NATO-Mitglied bedeutet Krieg mit der ganzen NATO. Um die Glaubwürdigkeit dieser Abschreckungs-Drohung zu erhöhen, schicken die USA zusätzliche Soldat:innen nach Europa, vor allem in die baltischen Staaten, nach Polen und Rumänien. Auch Deutschland und andere NATO-Mitglieder beteiligen sich an dieser Stärkung der Ostflanke des Bündnisses.
Ob die Abschreckung wirkt? Wie heute das Baltikum war in der Zeit des Kalten Krieges auch Westberlin gegen einen militärischen Angriff nicht zu verteidigen. Die Sowjetunion hat die Stadt zwar vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 von jeder Versorgung über die Land- und Wasserwege abgeschnitten, um sie in ihre Gewalt zu bringen. Dank der Luftbrücke ist dieses Vorhaben jedoch gescheitert. Einen direkten militärischen Angriff auf Westberlin hat die Sowjetunion wegen der nuklearen Eskalationsrisiken nicht unternommen. Und die Sowjetunion, mit den Verbündeten des Warschauer Pakts an ihrer Seite, war viel stärker als Russland heute.
Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen gibt der Ukraine das Recht, sich gegen die russische Invasion zu verteidigen. NATO-Staaten unterstützen sie dabei auch mit Waffenlieferungen. Deutschland hat sich damit bis zum 24. Februar Zeit gelassen, obwohl seit Dezember über 120.000 russische Soldaten mit Panzern, Artillerie, Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern an den Grenzen der Ukraine aufmarschiert waren.
Völkerrecht fordert Unterstützung
Das merkwürdige Argument der Bundesregierung: Die Erfahrung aus der Geschichte verbiete die Lieferung von Waffen in Krisengebiete. Als ob aus dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Ukraine im Jahr 1941 folgen würde, dass man ihr nicht helfen dürfe, sich 2022 gegen eine russische Invasion zu verteidigen. Inzwischen liefert auch die Bundesregierung Waffen an die Ukraine. Welche das sind, steht hier.
Diese Waffenlieferungen machen Deutschland nicht zur Konfliktpartei.
„Das Völkerrecht verdammt die Staaten nicht dazu, der Aggression tatenlos zuzusehen; ganz im Gegenteil: Ein wertebasiertes Völkerrecht, das Gewaltanwendung in den zwischenstaatlichen Beziehungen verbietet und den Tatbestand der Aggression völkerstrafrechtlich sanktioniert, fordert geradezu eine Unterstützung des Aggressionsopfers“, schreibt Stefan Talmon, Direktor am Institut für Völkerrecht der Universität Bonn, im Verfassungsblog.
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Außerdem verhängten die EU, die USA, Japan, Südkorea und viele andere Staaten scharfe Sanktionen gegen Russland. Die Konten von Putins Nomenklatura sind gesperrt, ihre Villen in London oder an der Côte d’Azur und ihre Luxusjachten wurden beschlagnahmt. Russische Banken wurden vom elektronischen Bezahlsystem SWIFT ausgeschlossen. Die Russische Zentralbank kann nicht mehr auf Devisen zugreifen.
Viele Firmen ziehen sich aus dem Russland-Geschäft zurück. Apple, Volkswagen, McDonalds, Ikea – die Liste ist lang. Hier ein Überblick.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verurteilte den russischen Angriff auf die Ukraine am 2. März mit historischer Eindeutigkeit. 141 Nationen stimmten der Erklärung zu. Nur Belarus, Eritrea, Syrien und Nordkorea unterstützten Russland. 35 Staaten, darunter China, enthielten sich der Stimme.
Putins Russland darf nicht an der Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmen. Die russische Mannschaft wird von den Paralympics in Peking nach Hause geschickt. Die Bühne des European Song Contest (ESC) ist für Russland gesperrt.
Putin hat sein Land international isoliert und sich in die Abhängigkeit von China begeben. Diktatoren unter sich. Ji Jinping sagt Putin einerseits Unterstützung zu, weil es gegen die USA geht. Er mahnt aber andererseits zu Mäßigung und spricht von der Souveränität aller Staaten, die zu achten sei.
Politische und moralische Niederlage
Sollte Putin je selbst daran geglaubt haben, die Ukrainer:innen fühlten sich durch die russische Invasion von einem „faschistischen Regime“ in Kiew „befreit“ und würden sich auf die Wiedervereinigung mit dem großen russischen Brudervolk freuen – der Kriegsverlauf hat ihn eines Besseren belehrt.
Das bis vor zehn Jahren gute Verhältnis zur Ukraine hat er auf Generationen zerstört. Politisch und moralisch hatte Putin den Krieg bereits verloren, als er ihn angefangen hat.
Trotz allem geht die russische Invasion weiter. Deshalb werden weitere Sanktionen verhängt. Die USA haben ein Ölembargo gegen Russland beschlossen. Sanktionen gegen den Energiesektor treffen Russland an einer empfindlichen Stelle. Denn wirtschaftlich lebt das Land vom Öl- und Gasexport.
Der russische Staatshaushalt wird im Wesentlichen gefüllt aus den Steuern, die Öl- und Gasförderer abführen, sowie aus den Dividenden der staatlich dominierten Energiekonzerne Rosneft und Gazprom. Dazu kommen Abgaben an den Staat, die Energieexporteure ab einer staatlich festgesetzten Höhe des Ölpreises zahlen müssen.
Auch in der EU und in Deutschland wird ein Öl- und Gasembargo diskutiert, um Putins Kriegskasse direkt zu treffen. Denn wegen der explodierenden Energiepreise steigt auch die Summe, die EU-Länder täglich an die russischen Gaskonzerne überweisen: Anfang März waren es 660 Millionen Dollar. Täglich.
Die EU tut sich mit einem Energieembargo schwerer als die USA, weil sie auf die russischen Öl- und Gaslieferungen angewiesen ist. Besonders stark ist die Abhängigkeit Deutschlands. Der russische Anteil am Öl liegt bei 34 Prozent, beim Gas sogar bei 55 Prozent. Erdöl (32 Prozent) und Erdgas (27 Prozent) sind die wichtigsten Energieträger in Deutschland. Deshalb wären die Rückwirkungen eines Embargos sehr weitreichend und schwerwiegend.
Wäre eine Kapitulation besser?
In einer Ad-hoc-Stellungnahme hat sich die Wissenschaftsakademie Leopoldina mit der Frage beschäftigt, wie sich russisches Erdgas in der deutschen und europäischen Energieversorgung ersetzen lässt. Die Wissenschaftler:innen kommen zu dem Ergebnis, „dass auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar wäre“. Engpässe könnten sich im kommenden Winter ergeben, schreiben die Wissenschaftler:innen. Es bestünde jedoch die Möglichkeit, durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets die negativen Auswirkungen zu begrenzen und soziale Auswirkungen abzufedern.
Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Sport, Wissenschaft und Politik haben die Bundesregierung und die übrigen EU-Staaten deshalb in einem offenen Brief zu einem Importstopp von Öl, Gas und Kohle aus Russland aufgefordert. Ich habe den Brief auch unterschrieben.
Aber wird das reichen, um Putin zu stoppen? Oder verlängern die Waffenlieferungen an die Ukraine den Krieg unnötig? Wäre nicht eine Kapitulation der Ukraine besser, um weitere Opfer zu vermeiden?
Leider ist es so, dass Menschen bei Verlusten den Einsatz erhöhen, um die Verluste zu rechtfertigen und vielleicht doch noch zu kompensieren. Übertragen auf den Krieg heißt das: Die Menschen sollen nicht umsonst gestorben sein.
Wir sollten anerkennen, dass nur die Ukrainer:innen selbst entscheiden können, wie lange sie den Widerstand fortsetzen und welchen Preis sie für den Frieden akzeptieren. Deshalb müssen wir die Ukraine unterstützen und dürfen nicht im Wege stehen, wenn sie mit Russland einen Waffenstillstand vereinbaren will. Präsident Selenskyj – ein Held unserer Zeit – hat sich das Recht verdient, darauf vertrauen zu können, dass er sein Land nicht ausverkaufen wird.
Es wird Waffenstillstandsverhandlungen geben, wenn beide Seiten davon überzeugt sind, dass sie dadurch im Verhältnis zur Fortsetzung des Krieges etwas gewinnen.
Hoffentlich in der kommenden Woche, für die ich Ihnen alles Gute wünsche.
Herzliche Grüße
Ihr
Ruprecht Polenz
PS
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Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
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