Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Schuld ist nicht die Bundesregierung

Porträt von Ruprecht Polenz
Mit Ruprecht Polenz

Guten Tag,

einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.

Man kann in Münster heute viel unternehmen. RUMS hat Sie am Freitag mit Tipps versorgt. Die Zeitungen sind voll mit Veranstaltungshinweisen, auch mit solchen für die ganze Familie.

Leider können die 2.894 Menschen, die vor den russischen Truppen aus der Ukraine nach Münster geflohen sind, auch an diesem Sonntag nicht als Familie zusammen sein. Da wehrfähige Männer nicht ausreisen durften, sind vor allem Frauen mit ihren Kindern nach Münster gekommen. Ehemänner, Väter und Brüder mussten in der Ukraine bleiben. Viele von ihnen verteidigen ihr Land gegen den russischen Überfall.

Münsters Stadtkämmerin Christine Zeller hat jetzt einen Bericht über die Kosten vorgelegt, die für die Aufnahme der ukrainischen Kriegsgeflüchteten in Münster angefallen sind: insgesamt 7,5 Millionen Euro. Das Geld dafür und für künftige Leistungen wurde vom Land Nordrhein-Westfalen und vom Bund bereitgestellt. Die Stadtverwaltung hat in einem Bericht aufgelistet, wofür das Geld im Einzelnen gebraucht wird.

In Münster gibt es bisher keine laut zu vernehmenden Stimmen, dass man das Geld besser zur Unterstützung für die eigene Bevölkerung verwenden sollte. Das ist gut und bleibt hoffentlich so. Denn Putin setzt darauf, dass die Solidarität mit der Ukraine ausgespielt wird gegen die Sorgen vor Preissteigerungen und einem harten Winter in Deutschland.

Zwölf Millionen sind geflohen

Seit dem Überfall sind nach offiziellen Angaben 967.546 Menschen aus der Ukraine zumindest vorübergehend nach Deutschland geflüchtet. Etwas mehr als ein Drittel davon sind Kinder – die meisten von ihnen im Grundschulalter. Drei Viertel der Erwachsenen sind Frauen. Fast jeder zehnte Geflüchtete ist älter als 64 Jahre, hat das Bundesinnenministerium mitgeteilt.

Da sich die Geflüchteten im Schengenraum frei bewegen können, kann es sein, dass eine erhebliche Zahl von ihnen in andere EU-Staaten weitergereist ist. Manche sind auch in die Ukraine zurückgekehrt.

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Nach Schätzung des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) sind rund zwölf Millionen Menschen vor den Angriffen des russischen Militärs geflohen und haben die Grenzen zu einem Nachbarland überquert.

Zum Vergleich: Die Ukraine hat circ 43 Millionen Einwohner:innen. Jede:r vierte von ihnen ist auf der Flucht.

Kein Wunder, denn Russland greift bewusst zivile Ziele an, Wohngebiete, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten. In den eroberten Gebieten findet eine Russifizierung der Bevölkerung statt, die darauf abzielt, die Ukrainer:innen als Volk auszulöschen.

Das Fernsehen zeigt russische Sender

In den Schulen darf nur auf Russisch und nur nach russischem Lehrplan unterrichtet werden. Ukrainischen Sprach-, Literatur- und Geschichtsunterricht gibt es nicht mehr. Die besetzten Gebiete sollen rechtlich, wirtschaftlich, kulturell und kommunikativ vollständig in Russland aufgehen.

Russland hat die Kontrolle über die Internetkommunikation übernommen. Die Radio- und Fernsehsender strahlen jetzt russische Sendungen aus.

Mehr als 2,45 Millionen Ukrainer:innen sind nach einem Geheimdokument der ukrainischen Regierung aus den südlichen und östlichen Regionen der Ukraine nach Sibirien, in den entlegenen Osten Russlands und auf die besetzte Krim umgesiedelt bzw. zwangsweise deportiert worden. Darunter sind ungefähr 387.000 Kinder.

Das UN-Menschenrechtsbüro berichtet über Hinweise, dass das russische Militär ukrainische Kinder nach Russland deportiert und dort zur Adoption freigibt. „Unbegleitete Minderjährige“ würden „glaubhaften“ Hinweisen zufolge zwangsweise in von den Russen besetzte Gebiete oder direkt nach Russland umgesiedelt, sagte die stellvertretende Leiterin des UN-Menschenrechtsbüros Ilze Brands Kehris am Mittwoch vor dem UN-Sicherheitsrat.

Die russischen Behörden hätten ein „vereinfachtes Verfahren“ eingeführt, über das Kindern ohne elterliche Fürsorge die russische Staatsbürgerschaft verliehen würde. Anschließend würden diese Kinder „zur Adoption durch russische Familien“ freigegeben.

Putin will unsere Gesellschaft spalten

In den letzten Wochen hat sich unsere Aufmerksamkeit vom Leid der Ukrainer:innen immer mehr abgewandt. Im Focus der Diskussionen in Deutschland stehen jetzt die Preissteigerungen bei Benzin, Gas und Strom und die wachsende Inflation.

Aber ehe wir die Entlastungspakete der Regierung kritisieren und an der einen oder anderen Stelle unzureichend finden, sollten wir festhalten, wem wir diese Lage hauptsächlich zu verdanken haben.

Sonst laufen wir Gefahr, Putins eigentliches Ziel aus den Augen zu verlieren und in die Falle zu tappen, die er uns gestellt hat. Es geht um Russlands Aggression, und nicht darum, was frühere Regierungen an energiepolitischen Fehlern begangen haben.

Putin will unsere Gesellschaft spalten. Ihm spielen solche rückwärtsgewandten Diskussionen in die Karten. Aber jetzt ist Krieg, und erklärt hat ihn Putin. „Ziel seiner Angriffe ist nicht die Ukraine allein, sondern die europäische Ordnung, die Stabilität der Demokratien, das westliche Gesellschaftsmodell. All das gefährdet seine Diktatur, und deswegen wird dieses Modell angegriffen“, schreibt Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung.

Der „Volksverpetzer“, eine in den sozialen Medien sehr aktive, eher linke Rechercheplattform, hat das in einem Tweet auf den Punkt gebracht:

„Wer im Herbst wegen hoher Gaspreise vor dem Bundestag und nicht vor der russischen Botschaft protestiert, der ist wirklich genauso dumm, wie die russische Propaganda unsere Gesellschaft gerne darstellt.“

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche und grüße herzlich.

Ihr
Ruprecht Polenz

Porträt von Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz

Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.

Die Kolumne

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