Die Kolumne von Carla Reemtsma | Meint die SPD es ernst?

Porträt von Carla Reemtsma
Mit Carla Reemtsma

Liebe Leser:innen,

vergangene Woche hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Klimagesetz der Bundesregierung zumindest rechtswissenschaftliche Geschichte geschrieben – wenn man den Karlsruher Korrespondent:innen Glauben schenkt.

Die Richter:innen urteilten, dass das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung in Teilen verfassungswidrig ist, da es nicht ausreicht. Die vorgesehenen Reduktionsziele würden die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen auf zukünftige Generationen auslagern und dort unverhältnismäßige Einschränkungen notwendig machen. Klimaschutz als verfassungsrechtlich verankertes Recht, die zukünftigen Generationen gleichberechtigt neben den heutigen: eine nie dagewesene Rechtsprechung.

Noch spannender als das Urteil selbst waren die Reaktionen von Politiker:innen und Parteien, die sich im politischen Berlin geradezu überschlugen.

Während Wirtschaftsminister Peter Altmaier – seines Zeichens einer der Chefverhandler des Klimaschutzgesetzes – das Urteil als „groß“, „bedeutend“ und „epochal“ bezeichnete, bezichtigte ihn der ebenfalls an der Aushandlung beteiligte Finanzminister Olaf Scholz der Blockadehaltung. Der SPD-Parteivorstand ging sogar so weit, das Urteil statt als „Ohrfeige für die Regierung“ als „Signal in Richtung Union“ zu bezeichnen – wohlgemerkt das Urteil, das ein Gesetz der Großen Koalition in Berlin als verfassungswidrig einstufte. Kurze Zeit später sind sich zumindest alle einig, Vorschläge für ein Klimaschutzgesetz samt erhöhtem Klimaziel für 2030 noch in den kommenden Tagen vorlegen zu wollen.

Urteil macht deutlich: Es ist zu wenig passiert

Mittendrin in diesen Debatten steckt die gebürtige Düsseldorferin und Wahlmünsteranerin Svenja Schulze, als Umweltministerin hauptverantwortlich für die Klimapolitik von SPD und Union – und damit wohl das Politikfeld, in welchem die Große Koalition in der vergangenen Legislaturperiode am meisten versagt hat. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt die Notwendigkeit konsequenter Klimapolitik noch einmal und macht damit auch deutlich, dass in den vergangenen Jahren zu wenig passiert ist.

Sechs Jahre nach der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens hat die Bundesregierung weder 1,5-Grad-konforme Klimaziele verabschiedet, noch Maßnahmen zur konsequenten Emissionsreduktion umgesetzt. Dabei wäre die sich dem Ende zuneigende Legislaturperiode eine voller Möglich- und Machbarkeiten gewesen: Ein gestiegener gesellschaftlicher Rückhalt für Klimaschutz, erste Fortschritte auf der internationalen Ebene, technologische Durchbrüche und vergleichsweise ambitionierte EU-Klimapolitik hätten den Raum für eine ernstgemeinte 1,5-Grad-Politik gebildet.

Stattdessen entschied sich die GroKo, allen voran Svenja Schulze, für ein Weiter-So statt des dringend notwendigen Systemwechsels, den es gebraucht hätte, um die Emissionen in spätestens 15 Jahren auf null zu senken. Das sogenannte „Klimapaket“ – das am Anfang besprochene Klimaschutzgesetz – blieb hinsichtlich der relevanten Kenngröße der Emissionsreduktion weitgehend folgenlos. Der CO2-Preis von erst 10 Euro, jetzt 25 Euro/Tonne CO2, setzt kaum einen relevanten Anreiz, um auf klimafreundlichere Produktionsmöglichkeiten umzusteigen, während das Öl-Heizungsverbot zwar eine notwendige, aber unzureichende Maßnahme bleibt.

Kein Grund, sich selbst zu verzwergen

Im Januar 2020 folgte mit dem Kohlegesetz eine klimapolitische Bankrotterklärung der Bundesregierung, die jegliche Ambition zur Einhaltung des 1,5-Grad-Limits missen ließ und stattdessen fossilen Großkonzernen mit Milliardensummen noch Anreize für die Verbrennung von Braunkohle über das unbedingt Notwendige hinaus bot.

Die Zustimmung zur Agrarreform, die offiziell Julia Klöckners Landwirtschaftsministerium federführend zu verantworten hat, ist da nur ein weiterer Punkt in einer Reihe von klimapolitischen Kompromissen, mit denen die Umweltministerin die Bekämpfung der Klimakrise erschwert.

Die Verzwergung des Umweltministeriums – in den vergangenen Jahren sind immer mehr relevante Abteilungen wie etwa Energie in andere Ministerien verschoben worden – mag ein Entschuldigungsgrund sein. Ein Grund, sich mit der Bejahung katastrophaler Gesetze selbst zu verzwergen und jegliche Durchsetzungskraft gegenüber klimapolitischen Blockierer:innen zu verlieren, ist es nicht.

An diesem Wochenende beschließt die SPD auf ihrem digitalen Parteitag ihr Wahlprogramm. Eine Initiative möchte unter dem Motto „Klima.Gerecht“ unter anderem dafür kämpfen, dass die Forderung nach Klimaneutralität 2040 sowie weitere Maßnahmen dort aufgenommen werden.

Am Mittwoch legte Svenja Schulze mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz das Ziel 2045 als Gesetzesinitiative vor – ganze zehn Jahre nach dem Datum, das für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze nötig ist. Zwar machen die fernen Zahlen häufig den Eindruck, wir hätten noch reichlich Zeit; sie bestimmen aber mit, welche Sofortmaßnahmen wir umsetzen müssen.

Versteherin der Klimabewegten

Meint die SPD es ernst mit der Ansage, dass ihr Wahlprogramm ein „Zukunftsprogramm“ werden soll, dann ist diese Neuaufstellung im Bereich der Klimapolitik dringend notwendig. Statt der Union mangelnde klimapolitische Ambition vorzuwerfen, bedarf es erst einer inhaltlichen Neuaufstellung innerhalb der eigenen Partei, die Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit vereint, anstatt sie gegeneinander auszuspielen, ohne dabei die bei der Emissionsreduktion gebotene Dringlichkeit zu vergessen.

Währenddessen beginnen in Münster schon die Wahlkampfvorbereitungen: Wie zu erwarten wird Svenja Schulze, die als SPD-Direktkandidatin im Wahlkreis Münster antritt, sich als Versteherin der Klimabewegten und Versöhnerin zwischen den Unverständigen präsentieren. Ob das in einer Stadt wie Münster, die gerade erst ihre klimapolitischen Ziele erhöht hat und voller aufgeweckter, junger Leute steckt, eine erfolgsversprechende Strategie sein kann, bleibt abzuwarten.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag
Ihre Carla Reemtsma

Porträt von Carla Reemtsma

Carla Reemtsma

Im Januar 2019 hat Carla Reemtsma den ersten Klimastreik in Münster organisiert. Es war eine kleine Kundgebung im Nieselregeln vor dem historischen Rathaus am Prinzipalmarkt. Wenige Wochen später sprach das ganze Land über die Klima-Proteste der „Fridays For Future“-Bewegung. Der Rat der Stadt Münster beschloss das Ziel Klimaneutralität 2030. Inzwischen ist Carla Reemtsma eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivistinnen. Geboren wurde sie in Berlin.

Die Kolumne

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