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Die Kolumne von Carla Reemtsma | Schönwetterpolitik
Liebe Leser:innen,
ich hoffe, Sie lesen diese Kolumne mit trockenen Füßen, ohne Wasser im Keller und mit Ihren Liebsten in der Nähe. Das Tief Bernd, das mit seinem Starkregen in der vergangenen Woche Flüsse über die Ufer treten ließ, Straßen und Keller flutete, Erdrutsche auslöste, Häuser und Supermarktdächer zum Einstürzen brachte und U-Bahnhöfe unter Wasser setzte, war in Teilen Nordrhein-Westfalens so heftig, dass man unter anderem in der Vulkaneifel den Katastrophenfall ausrief. Nur wenige Tage zuvor war das wegen eines Unwetters mit heftigen Regenfällen bereits im Landkreis Hof in Bayern geschehen. Feuerwehr und Rettungskräfte konnten die eingehenden Anrufe – ähnlich wie in NRW – teilweise nicht mehr entgegennehmen. Bei einem Einsatz im Sauerland starben zwei Feuerwehrmänner, mehrere Dutzend Personen ertranken, Hunderte weitere werden aktuell noch vermisst.
Diese Unwetter wüten in weiten Teilen Deutschlands nur für kurze Zeit, nachdem der Sommer im Juni mit über 36 Grad neue Hitzerekorde aufgestellt hat. Eine Hitzewelle, die für Ernteeinbußen in der Landwirtschaft, aufgeplatzte Autobahnen in Sachsen, geschmolzene Straßenbahnbetten in Bonn und einen Anstieg der Krankheits- und Todesfälle, insbesondere bei Senior:innen, sorgt. Eine Hitzewelle, die allerdings weit hinter dem zurückbleibt, was die Bürger:innen der Westküste der USA und Kanadas erleben.
Mit über 54 Grad verzeichnete das Death Valley erst vor wenigen Tagen die höchste jemals gemessene Temperatur der Erde. In Kalifornien ist das Wasser knapp, was wiederum die Versorgung mit Strom und Lebensmitteln gefährdet. Die Zerstörung von Stromtrassen durch Waldbrände verschärft die angespannte Lage in den Stromnetzen noch weiter, sodass ein Netzbetreiber die Bürger:innen zum Stromsparen auffordert.
Es ist offensichtlich: Die Klimakrise ist Realität
Die Löscharbeiten der Waldbrände schreiten nur langsam voran, da Teile des Löschwassers aufgrund der Hitze verdunsten, bevor es den Boden erreicht und die Brände eindämmen kann. Noch mal: Das Wasser der Löschflugzeuge erreicht die Bäume häufig gar nicht erst, weil die Luft zu heiß ist. Dass in Skandinavien mit über 30 Grad neue Temperaturrekorde aufgestellt wurden und im Nahen Osten eine Hitzewelle mit Temperaturen von über 50 Grad im Irak für massive Stromausfälle sorgte, erscheint daneben wie eine Randmeldung.
Ein Frühsommer voller Hitze und Unwetter folgt auf einen Winter, der zwar im Mittel nicht außerordentlich kalt war, aber dessen Kälte- und Schneeeinbruch im Februar Verkehrschaos im Bahnverkehr und auf den Autobahnen verursachte und mehrere Menschenleben kostete. Auch hier waren die Bürger:innen auf der anderen Seite des Atlantiks weitaus stärker betroffen; der Kälteeinbruch sorgte in Texas für massive Zusammenbrüche in der Strom- und Wasserversorgung, aufgrund ausgefallener Heizungen mussten Tausende tagelang in Notunterkünften untergebracht werden.
Es ist offensichtlich: Die Folgen der Klimakrise sind längst Realität. Und unsere Gesellschaft, unsere Infrastruktur ist darauf nicht vorbereitet.
Einzelne Wetterereignisse lassen sich nur selten als Beleg für die Klimakrise nutzen. Temperaturen schwanken immer um Monats- oder Jahresmittelwerte; ein Sommer ist heißer, ein anderer durchwachsener: so weit, so normal. Die Klimakrise lässt aber nicht nur Durchschnittstemperaturen steigen. Ihre Folgen sind so komplex wie das Klimasystem selbst.
Klar ist aber: Durch die Klimaerhitzung werden Extremwetterereignisse häufiger, heftiger und herausfordernder. Wissenschaftler:innen haben berechnet, dass der Temperaturrekord von über 54 Grad im Death Valley ohne die Klimakrise nicht möglich gewesen wäre. Auch die aktuellen Hochwasserextreme im Westen Deutschlands werden von den führenden Expert:innen in einen klaren Zusammenhang mit ihr gebracht.
Infrastrukturen geraten an ihre Grenzen
Die Erhitzung des Weltklimasystems sorgt unter anderem dafür, dass der Jetstream sich anders bewegt, wodurch Wetterlagen länger an einem Ort bleiben, was wiederum die zerstörerische Kraft von Extremwettern steigert. Wärmere Luft kann zudem mehr Feuchtigkeit aufnehmen – das begünstigt in der Folge die Entstehung von Unwettern und Starkregenfällen. Gleichzeitig nimmt die Häufigkeit von Extremwettern wie Starkregen, Kälteeinbrüchen und Hitzewellen durch die Klimakrise zu.
Diese heftiger ausfallenden, häufiger auftretenden Extremwetter stellen unsere Gesellschaft vor massive Herausforderungen. Schon jetzt, bei einer Erhitzung von 1,2 Grad, geraten die Infrastrukturen unserer Gesellschaft teilweise an ihre Grenzen: Straßenbahnen müssen aufgrund geschmolzenen Asphalts ihren Betrieb einstellen, in Gemeinden wird Trinkwasser rationiert, Landwirt:innen greifen nach massiven Ernteausfällen auf andere, robustere Arten zurück, Pflegekräfte behandeln Hunderte hitzebedingte Kreislaufzusammenbrüche.
Weder unsere Städte sind auf solche Hitzewellen und Unwetter ausgelegt, noch sind es unsere ländlichen Regionen oder die Industrie. Bis vor wenigen Jahren waren die ICEs der Deutschen Bahn mit Klimaanlagen ausgestattet, die nur bis zu einer Außentemperatur von 32 Grad funktionstüchtig waren. Jetzt verfolgt die Deutsche Bahn ein Klimaanpassungsprogramm, denn die Hitze zerstört zudem auch regelmäßig Bahntrassen.
Die Folgen der Klimakrise treffen Deutschland – trotz einer regionalen Erhitzung von bereits 1,6 Grad – weniger stark als Regionen im Globalen Süden und in Küstennähe. Dort ist die aktuelle Erhitzung, so beschreibt es die ugandische Aktivistin Vanessa Nakate, „bereits jetzt die Hölle“.
Währenddessen leiden Hunderttausende auf Madagaskar aufgrund einer historischen Dürre Hunger und in einigen indischen Bundesstaaten wird das Wasser knapp. Als Industrienation, die historisch etwa doppelt so viel Emissionen verursacht hat wie alle heutigen 54 Staaten auf dem afrikanischen Kontinent zusammen, deren Wohlstand vielfach auf der Ausbeutung von Ressourcen aus genau diesen Ländern aufbaut und die auch heute einen extrem hohen Emissionsausstoß hat, trägt ein Land wie Deutschland eine massive Verantwortung bei der Eindämmung der Klimakrise.
Das könnte so einfach sein. Kaum ein Phänomen ist so gut erforscht wie die Klimakrise. Der Konsens über ihre Entstehung ist unter Wissenschaftler:innen unbestritten. Wir wissen sehr genau, welche Folgen die Klimakrise für uns bedeutet, aber noch viel wichtiger: Wir wissen, welche Ursache dafür verantwortlich ist.
Politik erkennt die Realität nicht an
Es ist das bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas entstehende CO2 sowie das vor allem in der Agrarindustrie entstehende Methan. Diese sogenannten Treibhausgase lösen den Treibhauseffekt – also die Erhitzung der Erde – aus. Um die Klimakrise einzudämmen muss also Schluss sein mit Treibhausgasen, mit Energie aus Kohle, Öl und Gas, mit Massentierhaltung.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Seit Jahrzehnten wird auf internationalen Gipfeltreffen, bei Klimakonferenzen und in Deklarationen die Wichtigkeit der Eindämmung der Klimakrise betont und sich zu ambitionierter Politik bekannt. Was allerdings fehlt, ist eine Anerkennung dessen, was das realistisch bedeutet. Denn Klimagerechtigkeit und der rasche Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bedeuten nicht weniger als einen fundamentalen Systemwechsel weg von einer Wirtschaft, die sich über Wachstum und Profite definiert, und die ihre Grundlage in der Ausbeutung natürlicher Ressourcen hat.
Aber diese Realität erkennen Politiker:innen vielerorts nicht an. Statt ihre eigenen blumigen Reden zum Klimaschutz ernst zu nehmen, steckten sie alleine im Rahmen der Konjunkturprogramme während der Corona-Pandemie Hunderte Milliarden Dollar in Kohle, Öl und Gas. Diese Politik ist kein Systemwechsel, es ist Schönwetterpolitik.
Dass wir uns in Zeiten fossiler Zerstörung keine Schönwetterpolitik mehr leisten können, hat spätestens der brennende Ozean im Golf von Mexiko auch für all jene offensichtlich gemacht, die sich sonst nicht mit Klimawissenschaft auseinandersetzen. Den leeren Worten ein Ende zu setzen, ist unabdinglich, um die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze zu ermöglichen und die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft und Wirtschaft voranzutreiben. Dieser Wechsel wird allerdings nicht Hand in Hand mit denjenigen gelingen, die vom Status Quo profitieren, deren Geschäftsmodell auf eben jener Klimazerstörung basiert, die es zu bekämpfen gilt.
Wir müssen uns von der Vorstellung trennen, dass wir das Notwendige gemeinsam mit Ölmultis, Kohlegiganten, Agrobusiness und Autokonzernen erreichen werden. All diese Bereiche werden in einer klimagerechten Zukunft entweder nicht mehr oder nur in ganz begrenzter Form existieren können, weniger Ressourcen verbrauchen und demokratischer organisiert sein. Das eigene Geschäftsmodell zunichtemachen? Das wird kein Konzern der Welt tun, egal wie viele Klimaschutzplakate er plakatiert und welche ambitionierten Ziele er verkündet.
Verbote sind kein Angriff
Das mag vielleicht radikal, zu extrem wirken, Kritiker:innen sagen, Klimaaktivist:innen würden die Freiheit einschränken wollen. Dabei ist spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes klar: Klimaschutz ist eine zentrale Säule, um Freiheitsrechte auch in zukünftigen Jahren zu erhalten. Denn es werden die Folgen unzureichenden Klimaschutzes sein, die mit Überflutungen, Hitzewellen und Wasserknappheit die Lebensgrundlagen, Eigentum, Gesundheit und die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen massiv einschränken.
Verbote für Klimazerstörung sind kein Angriff auf bürgerliche Freiheitsrechte, sie sind Grundlage einer zukunftsfähigen Demokratie. Weniger Narrenfreiheit für fossile Konzerne bedeuten gleichzeitig auch mehr Freiheit für Bürgerinnen und Bürger.
Noch ist es nicht zu spät, dies anzuerkennen. Noch sind wir erst bei einer Klimaerhitzung von 1,2 Grad, die wir auf die kritischen 1,5 Grad begrenzen können, wenn wir alles Menschenmögliche tun. Dafür müssen wir aber realistisch sein und anerkennen, dass die dafür notwendigen Maßnahmen den Verursacher:innen nicht gefallen werden. Aber nur wenn wir dies anerkennen und einsehen, dass es in einer klimagerechten Zukunft keinen Platz für gigantische fossile Energiekonzerne gibt, können wir die Eindämmung der Klimakrise auf 1,5 Grad noch schaffen.
Die Ereignisse der vergangenen Tage und Monate sollten allerdings Anlass genug bieten, diese Schritte zu gehen, um die Emissionen schnell und wirksam zu senken. Nur so verhindern wir, dass wir in Zukunft nicht noch viel häufiger mit den aktuellen Wetterextremen konfrontiert werden.
Ich wünsche Ihnen einen schönen und vor allem trockenen Sonntag.
Ihre Carla Reemtsma
Carla Reemtsma
Im Januar 2019 hat Carla Reemtsma den ersten Klimastreik in Münster organisiert. Es war eine kleine Kundgebung im Nieselregeln vor dem historischen Rathaus am Prinzipalmarkt. Wenige Wochen später sprach das ganze Land über die Klima-Proteste der „Fridays For Future“-Bewegung. Der Rat der Stadt Münster beschloss das Ziel Klimaneutralität 2030. Inzwischen ist Carla Reemtsma eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivistinnen. Geboren wurde sie in Berlin.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
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