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Die Kolumne von Carla Reemtsma | Habecks verpasste Chance
Guten Tag,
Anfang der Woche hat der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ein Klimaschutz-Sofortprogramm für die Bereiche Energie und Wirtschaft verabschiedet. Ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien, mehr energetische Gebäudesanierungen, eine Wasserstoffstrategie und mehr sollen sicherstellen, dass die Emissionen ausreichend gesenkt werden, um das Klimaziel der Vorgängerregierung einzuhalten.
Robert Habeck ist mit seinem Emissionssenkungseifer nicht alleine: Auch in Münster hat der Rat jüngst Sofortmaßnahmen für mehr Klimaschutz verabschiedet, darunter die Umstellung der Ampeln auf LED-Technik und die Anschaffung zweier mit Wasserstoff betriebener Müllwagen. Auch Unternehmen und Verbände übertreffen sich regelmäßig mit wohlklingenden Ankündigungen.
Schaut man auf die vergangenen Wochen zurück, dann sind sie allerdings nicht nur von einem Mehr an Klimaschutz geprägt, sondern vor allem von einem Mehr an Hiobsbotschaften: Die Jahre 2015 bis 2021 waren die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Die Ozeane sind wärmer denn je zuvor. Das antarktische Schelfeis des Thwaites-Gletschers steht kurz vor dem Kollaps. Und mittendrin steht der deutsche Bundeswirtschafts- und Klimaminister und beginnt seine Rede zur Vorstellung seines Klimasofortprogramms mit einem „Blick in den Rückspiegel“.
Habecks Strategie geht auf
Mit dieser – für einige Radfahrer:innen in Münster sicherlich nicht besonders naheliegenden – Metapher wollte er sich aus der Verantwortung entlassen, dass er erst wenige Tage zuvor verkünden musste, dass Deutschland seine eigenen Klimaziele für 2021, 2022 und wahrscheinlich auch 2023 nicht einhalten werden würde. Und die Strategie ging auf: Der Aufschrei rund um diese doch eigentlich empörende Ankündigung blieb erstaunlich gering.
Die Situation mag paradox erscheinen: Die Öko-Partei schlechthin in der Regierung, ein grüner Wirtschaftsminister mit neu angegliederten Klimakompetenzen, Klimaschutzprogramme wohin das Auge blickt – die politische Antwort auf die Klimakrise scheint sich überall ihren Raum zu nehmen. Gleichzeitig nimmt sich die Klimakrise in einer ungeahnten Heftigkeit und dabei fast unbemerkt einen umso größeren Raum.
Habecks Strategie geht perfekt auf. Er wird Ende 2022 und auch Ende 2023 nochmal verkünden, dass Deutschland seine Reduktionsziele nicht einhalten wird, aber es wird kaum ein Skandal sein. War ja sowieso längst klar. Es sind nicht mehr nur die Klimabewegten, die schon längst nicht mehr an die von Regierung und Unternehmen bekundeten Anstrengungen glauben. Die sich häufenden Meldungen verfehlter Ziele, nicht eingehaltener Pläne und boykottierter Maßnahmen haben auch das kollektives Gefühl geschaffen, dass das alles nicht machbar ist.
Dabei sollte längst klar sein, dass das ungebremste Fortschreiten der Klimakrise nicht machbar ist. Die machbaren Pläne zur Eindämmung der Krise, für die Dekarbonisierung unserer von Kohle, Öl und Gas angetriebenen Gesellschaft liegen auf dem Tisch. Sie sind herausfordernd und verändern vieles, offensichtlich. Anders als die immer weitergehende Eskalation der Klimakrise sind die mit ihr einhergehenden Brüche allerdings planbar, sodass eine Gesellschaft sich darauf einstellen und einen Umgang mit ihnen finden kann. Bei Klimaschäden ist das ganz und gar nicht so, das hat nicht zuletzt die Flutkatastrophe im Ahrtal mit unbarmherziger Härte gezeigt.
Dimension der Krise geht verloren
Dass als Reaktion auf die Klimakrise, die immer offensichtlicheren Folgen und das gesellschaftliche Verlangen nach immer mehr Klimaschutz ein großes Maßnahmen-Klein-Klein verabschiedet wird, ist ein naheliegender Mechanismus. In unserem von Zahlen, Daten, Studien geprägten Klimadiskurs müssen Maßnahmen eine ähnliche Präzision und Wasserfestigkeit vorweisen, wie die Berechnungen zur Erhitzung des Golfstroms und die App-getrackten Makronährstoffe der Mensa-Mahlzeiten.
In den bürokratischen Orten der Regelsetzung und -durchführung der Berliner und Bonner Büros ist das auch eine wichtige Aufgabe. Dabei geht zwischen Faxgeräten und Drittversion allerdings allzu schnell die Dimension der Klimakrise verloren. Das Maßnahmenpaket aus Wirtschafts- und Klimaministerium wird handwerklich gut werden – und vermutlich ausreichen, um im Energiesektor die Klimaziele der GroKo-Vorgängerinnen einzuhalten. Es übersieht dabei geflissentlich, dass dieses Klimaziel nicht für 1,5 Grad ausreicht. Viel mehr aber noch: Die ihm zugrundeliegenden Verordnungs- und Technikgedanken ermöglichen es Robert Habeck, den Bruch mit den Klimazielen ohne Aufschrei zu verkünden. Er hat sich ja schließlich angestrengt.
Stets bemüht ist allerdings in Zeiten der Klimakrise schon lange nicht mehr genug. Wer mit Pappplakaten von Solarkraftausbauplänen glaubt, eine angemessene Antwort auf die Klimakrise zu geben, übersieht die sich immer weitere Zuspitzung der Klimakrise – oder will sie bewusst verkennen, um Politik weiter in einem Business-as-usual-Modus machen zu können.
Kampfansage an die Wachstumsidee
Diesen Modus eines grenzenlosen Wachstums und die Illusion einer technischen Lösbarkeit der Klimakrise ohne ernstzunehmende Veränderungen, gilt es zu überwinden. Das gilt umso mehr für einen Wirtschaftsminister Habeck, der für seinen kommenden Wirtschaftsbericht neue Kennzahlen für die „Dimensionen immateriellen Wohlstands sowie sozialer und generationenübergreifender Nachhaltigkeit“ einführen will.
Dies ist eine in Behördendeutsch verklausulierte Kampfansage an die Idee eines immerwährenden Wachstums des Bruttoinlandsprodukts. Die Wende hin zu einer klimagerechten Gesellschaft wird allerdings nicht im Glossar eines Bundesbehördenberichts gemacht. Sie verändert die Gesellschaft und sie braucht die Gesellschaft.
Dafür müssen wir die Debatte aber auch zusammen führen, nicht nur über die besten Orte für eine neue Fahrradstraße und die Zumutbarkeit einer Solarpflicht, sondern auch über die gravierenden Folgen der Klimakrise, die Empörung, die Angst und darüber, was Gesellschaft wirklich braucht. Die Chance, diese Debatten, die Wut und die Sorgen, zuzulassen, hat Robert Habeck mit seinem Versuch, seinen Kritiker:innen den Wind aus den Segeln zu nehmen, verpasst. Das muss in den kommenden Jahren anders werden, wenn die anderen Minister:innen nachziehen und die Regierung es ernst mit ihrem Anspruch meint, eine Klimaregierung zu sein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag,
Ihre Carla Reemtsma
Korrekturhinweis:
Wir hatten geschrieben, das Schelfeis des Thwaites-Gletscher sei artktisch. Ein aufmerksamer Leser wies uns darauf hin, dass es antarktisch heißen muss. Wir haben das korrigiert.
Carla Reemtsma
Im Januar 2019 hat Carla Reemtsma den ersten Klimastreik in Münster organisiert. Es war eine kleine Kundgebung im Nieselregeln vor dem historischen Rathaus am Prinzipalmarkt. Wenige Wochen später sprach das ganze Land über die Klima-Proteste der „Fridays For Future“-Bewegung. Der Rat der Stadt Münster beschloss das Ziel Klimaneutralität 2030. Inzwischen ist Carla Reemtsma eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivistinnen. Geboren wurde sie in Berlin.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
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