Die Kolumne von Carla Reemtsma | Was die Energie in NRW mit der Ukraine zu tun hat

Porträt von Carla Reemtsma
Mit Carla Reemtsma

Guten Tag,

nachdem der erste Schock über die Kriegsbilder aus der Ukraine überwunden ist, wird die Notwendigkeit nach einem Umgang von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit dieser Situation offensichtlich.

Während die Preise für Energie – sei es zum Heizen, Autofahren oder für Strom – aufgrund der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Knappheit und Schwankungen am Weltmarkt steigen, rückt die Frage nach der Energiewende immer weiter ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Klar ist: Nur die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern kann eine echte Unabhängigkeit von autokratischen Regierungen, Oligarch:innen und absurden Preisschwankungen bringen. Die Energiewende ist nicht nur für klima- und energiepolitische Fragen relevant, sie ist – und das nicht erst, seitdem der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die Bundesregierung in Sanktionsdilemmata gebracht hat – eine Frage der Sicherheitspolitik.

NRW torpediert eigene Energiewende

Doch auch wenn Sicherheits- und Außenpolitik eigentlich bei der Bundesregierung angesiedelt sind; über die konkrete Umsetzung der Energiewende entscheiden vor allem die Landesregierungen und die Kommunen vor Ort. Und gerade hier droht die Energiewende in Nordrhein-Westfalen zu scheitern. Während die schwarz-gelbe Landesregierung eine Verdopplung der Windkraft bis 2030 plant, ist NRW bei den absoluten Zubauzahlen im bundesweiten Vergleich auf den vierten Platz abgerutscht – und das, obwohl NRW einwohnermäßig das größte Bundesland ist. FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart sagte erst vor wenigen Tagen eine geplante Pressekonferenz ab, auf der eine ministeriumseigene Studie zum Windkraftausbau hätte veröffentlicht werden sollen.

Die Studie kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass unter den aktuellen Bedingungen nur auf 8.700 von eigentlich 50.000 Hektar zur Verfügung stehender Fläche Windräder installiert werden können. Kommunale Ausweisungen und Landschafts- und Vogelschutzgebiete erschweren den Bau auf den restlichen Flächen. Die Studie kommt außerdem zu dem Schluss, dass NRW selbst die eigenen, unzureichenden Ausbauziele nur erreichen könne, wenn niemand Klage erheben oder alle Klagen verloren würden.

Richter:innen bringen keinen Fortschritt

Das Braunkohleland NRW braucht einen Plan, um die Energiewende in der notwendigen Geschwindigkeit voranzutreiben. Doch die schwarz-gelbe Landesregierung hat sich mit ihrer Unterstützung für die pauschale 1.000-Meter-Abstandsregel selbst in die Lage gebracht, ihre eigenen Ziele nicht mehr erreichen zu können. Die CDU weist auf die Möglichkeit von Kommunen hin, die 1.000-Meter-Abstandsregel zu unterschreiten, wenn der „lokale Frieden“ gewahrt ist, was pauschale Klagen weiterhin zulässt.

Die Juniorpartnerin FDP hält weiter an beschleunigten Genehmigungsverfahren fest – diese sind wichtig, lösen allerdings weder das Flächenproblem noch die Klagewellen. Die Auswirkungen dieser Klagepolitik kommen selbst in Münster an: Das Oberverwaltungsgericht meldet im Angesicht der rasant gestiegenen Zunahme an Klagen gegen Windkraftprojekte einen Richter:innenmangel für diesen Bereich an. Der Landesverband Erneuerbare Energien fordert hier neue Richter:innenstellen, um die Verzögerungen möglichst gering zu halten. Dabei ist klar: Mehr Richter:innen werden das Problem nicht lösen.

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Wenn die Parteien im Mai zur Landtagswahl einen ernstzunehmenden energie- und klimapolitischen Plan präsentieren wollen, dann müssen sie Antworten auf die Frage nach einer sozialverträglichen Umsetzung der Energiewende präsentieren. Dabei geht es um die Frage nach dem Strukturwandel im Ruhrgebiet und im Rheinischen Revier, aber vor allem um den Ausbau der erneuerbaren Energien. Dabei wird die Taktik, unerwünschte Studienergebnisse einfach nicht zu veröffentlichen, nicht lange aufgehen.

Wer jetzt richtigerweise die Unabhängigkeit von Kohle, Öl und Gas aus Russland fordert, muss im nächsten Schritt auch über den Ausbau der Erneuerbaren sprechen. Das bedeutet allerdings im Flächenland NRW, dass das Planungsrecht geändert, Windkraft priorisiert und die Abstandsregelung abgeschafft werden muss. Wer das – wie die aktuelle Landesregierung – leugnet oder bewusst ausklammert, der verhindert klima- wie sicherheitspolitisch Notwendiges. Diese Politik macht uns länger abhängig von autokratischen Regierungen und zerstört unser Klima.

Bis zur Landtagswahl sind noch knapp zwei Monate Zeit. Die Parteien und Politiker:innen dürfen sich jetzt nicht in Scheindebatten über den Kohleausstieg oder in ihren schönen Fotos beim Empfang von Geflüchteten verlieren. Sie müssen in ihren Wahlprogrammen und Reden klarstellen, was für die Energiewende notwendig ist – auch wenn es auf Widerstandstößt. Alles andere ist populistisch oder – wie das Besetzen neuer Richter:innenstellen – wichtig, aber unzureichend.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Ihre Carla Reemtsma

Korrekturhinweis:
In einer früheren Version stand im Text, Nordrhein-Westfalen sei auch flächenmäßig das größte Bundesland. Das stimmte nicht, hier liegt NRW auf Rang vier. Wir haben das korrigiert.

Porträt von Carla Reemtsma

Carla Reemtsma

Im Januar 2019 hat Carla Reemtsma den ersten Klimastreik in Münster organisiert. Es war eine kleine Kundgebung im Nieselregeln vor dem historischen Rathaus am Prinzipalmarkt. Wenige Wochen später sprach das ganze Land über die Klima-Proteste der „Fridays For Future“-Bewegung. Der Rat der Stadt Münster beschloss das Ziel Klimaneutralität 2030. Inzwischen ist Carla Reemtsma eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivistinnen. Geboren wurde sie in Berlin.

Die Kolumne

Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.

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