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Die Kolumne von Juliane Ritter | Aus Hoffnung ist Wut geworden
Guten Tag,
ich kann es selbst kaum fassen. Wir stecken weiterhin in den Verhandlungen um einen Tarifvertrag Entlastung. Nicht, weil die Verhandlungen so kompliziert sind. Unser System, in dem wir kommunizieren und unsere Forderungen zusammengetragen haben, funktioniert hervorragend. Sondern weil sich die Interessen der beiden Parteien maximal unterscheiden.
Wir haben die neunte Streikwoche hinter uns.
Es gibt sogar schon erste Angebote. Sie betreffen aber nur die Bereiche „rund ums Bett“. Die Klinikleitungen haben dem Personal der Normal- und Intensivstationen Angebote vorgelegt, über die nun verhandelt wird. Die Parteien kommen aufeinander zu und tauschen Argumente aus.
Die Pflege wird von Krankenkassen refinanziert – andere Bereiche nicht
Andere Bereiche haben noch kein Angebot bekommen, zum Beispiel die Labore, die Physiotherapie, die Transportdienste und die Ambulanzen. Das ist kein Zufall. Der größte Kostenfaktor im Krankenhaus sind die Personalkosten. Vereinfacht gesagt, müssen Krankenhäuser seit der Einführung des Fallpauschalen-Systems 2003 darauf achten, dass sie keine Verluste machen. Auf diese Einführung der Ökonomisierung im Krankenhaus gab es zwei zentrale Reaktionen: Wirtschaftsdienste wie zum Beispiel Reinigungsdienste wurden ausgelagert, Stellen in der Pflege gestrichen. Gleichzeitig wurde das ärztliche Personal aufgestockt – dies zeigt deutlich die Bedeutung, die den ärztlichen Beschäftigten zugesprochen wird, allen anderen aber nicht.
Die CDU, die zentral für die Einführung des Fallpauschalen-Systems zuständig war, sorgte einige Jahre später dafür, dass die Pflege am Bett wieder refinanziert wurde. Das war ein Schritt in die richtige Richtung. Und in den Verhandlungen wird deutlich, dass diese Refinanzierung es den Arbeitgebern ermöglicht, gute (oder zumindest annehmbare) Angebote für die Pflege vorzulegen.
Hier zeigt sich aber auch der zentrale Fallstrick in den Verhandlungen: Es gibt für die Arbeitgeber keine Refinanzierung der nicht-pflegerischen Bereiche.
Wir wollen eine konkrete Entlastung
Das derzeit vorliegende Angebot der Arbeitgeber beinhaltet neben einem Schlüssel von Pflegepersonal zu Patient:innen auch eine feste Anzahl freier Tage pro Jahr. Diese Zahl soll reduziert oder erhöht werden, je nachdem, ob Personal aufgestockt wird oder nicht. Wir sehen dieses Modell allerdings als Freifahrtschein für die Kliniken, um an der personellen Ausstattung des Bereiches nichts ändern zu müssen. Freie Tage für Pflegende werden durch die Krankenkassen refinanziert. Somit bleibt jede Konsequenz für die Arbeitgeber aus, wenn sie die nun festgelegten Personalregelungen nicht einhalten.
Wir fordern stattdessen unser sogenanntes ‚Herzstück‘. Ein Modell, in dem der Belastungsausgleich direkt an die Schichtbesetzung gekoppelt ist. Bei Unterbesetzung werden für das anwesende Personal Punkte generiert, die es gesammelt in Freizeit einlösen kann. Somit entsteht eine konkrete Entlastung für die belasteten Kolleg:innen, und der Arbeitgeber wird dazu angehalten, solchen überlastenden Situationen mit Personalaufbau oder verbesserter Patient:innenplanung vorzubeugen.
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Nun zum nächsten großen Spieler: der Politik. Denn alle sechs Unikliniken sind landeseigene Kliniken und sichern die Gesundheitsversorgung in NRW.
Im Sondierungspapier der Grünen taucht der Tarifvertrag Entlastung auf, auf Wahlveranstaltungen war die Pflege Thema (nicht aber alle Krankenhausbeschäftigten). Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag dann plötzlich: gähnende Leere in Bezug auf den Tarifvertrag Entlastung.
Auf den Parteitagen haben sich beide Parteien – durch Druck von Streikenden – wieder zu Versprechungen hinreißen lassen. Das zeigt uns klar, dass nur unser Druck, unser konstantes Auftreten in der Presse und bei Veranstaltungen, dazu führt, dass die Politik uns nicht vergisst.
Ein Schritt vorwärts, aber die Stimmung kippt
Erst Ende Juni hat Gesundheitsminister Laumann – nun auch schriftlich – die Finanzierung des Tarifvertrags Entlastung zugesichert. Für alle Beschäftigten, nicht nur für die Pflege. Damit sind wir einen entscheidenden Schritt vorwärtsgekommen. Gleichzeitig hat sich für uns vieles verändert.
Wir streiken seit neun Wochen. Wir sind anders in diese Bewegung hereingegangen, als wir herauskommen werden. Die Stimmung an den Streikposten hat sich verändert. Es mag pathetisch klingen, aber aus der Hoffnung auf eine unkomplizierte und schnelle Lösung ist bei vielen Kolleg:innen Wut geworden.
Weil es uns nicht um Geld oder mehr Urlaub geht, sondern um etwas so Elementares wie eine gute Gesundheitsversorgung für jede und jeden Einzelnen. Dass diese Auseinandersetzung trotzdem so hart ist, zeigt uns, wie gering unsere Leistungen und unsere Expertise geschätzt werden. Die Arbeitgeber sehen die Kosten des Tarifvertrages, sie sehen den Aufwand und sie sehen ihre Profite schwinden. Und dieses Interesse überwiegt offenbar die Aussicht, als Universitätskliniken in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und Patient:innenversorgung mit gutem Beispiel vorrangehen zu können.
Auch die Politiker:innen sehen diese Kosten, sie verlassen sich auf die Zahlen, die die Arbeitgeber ihnen nennen. Die kritischen Zustände aus den Kliniken kennen sie nur aus den Berichten der Beschäftigten, gleichzeitig schildern ihnen die Arbeitgeber sicherlich eine andere Sichtweise.
Es verändert uns, wie mit uns umgegangen wird. Was wir von den Arbeitgebern und aus der Politik hören, ist wie ein Schlag ins Gesicht. Wir ziehen unsere Schlüsse. Eine Niederlage könnte in den Unikliniken zu einer Personalabwanderung führen, die die sechs Kliniken noch nie gesehen haben. Ich höre Kolleg:innen, die ihre Pläne an den Streikposten teilen, und ich mache mir tatsächlich Sorgen, was so eine Abwanderung nach sich ziehen könnte. Ich selbst habe meine Kündigung schon geschrieben. Das Ergebnis dieser Tarifauseinandersetzung wird darüber entscheiden, ob ich sie abschicke oder in diesem Beruf bleibe.
Herzliche Grüße
Juliane Ritter
Juliane Ritter (Name geändert)
… arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.
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