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Die Kolumne von Juliane Ritter | Neue Hoffnung in Runde zwei
Guten Tag,
letzte Woche hat meine Kollegin mir erzählt, dass sie den Beruf wechseln wird. Wir arbeiten seit sechs Jahren zusammen, und so etwas kommt immer wieder vor. Immer mehr Kolleg:innen reduzieren ihre Stellen, doch nur sehr selten kommen Kolleg:innen nach.
Das hat dazu geführt, dass die Belegschaft jünger und unerfahrener wird, denn Zeit für ausgiebige Einarbeitungen haben wir nicht. Junge Kolleg:innen schildern, dass sie Angst vor Notfallsituationen haben, weil sie einfach nicht gelernt haben, wie sie damit umgehen sollen, wenn sie alleine im Dienst sind.
Der Umgangston erfahrener Kolleg:innen wird immer rauer. Sie sehen, dass all die Mühe, mit der sie andere einarbeiten, für die Katz sind. Einige gehen nach wenigen Monaten sowieso wieder. Andere Kolleg:innen erzählen, dass sie alles leichter ertragen können, wenn sie mit weniger Emotion und Erwartung an den Dienst herangehen, wenn sie also einfach abschalten. Das beunruhigt mich sehr.
Mit den Patient:innen ist es umgekehrt. Es kommen immer mehr. Sie orientieren sich nicht an unseren Dienstplänen. Ich weiß, das habe ich schon einmal erzählt – aber es ist der Gedanke, der mich am häufigsten beschäftigt: Wer soll diese Patient:innen versorgen, wenn ich und meine Kolleg:innen bald weg sind?
Immer öfter beginne ich den Dienst und bekomme zu hören: Viel Erfolg heute, ihr seid nur zu zweit – statt zu viert.
Frist von einem Jahr
Ich war an einem Punkt, an dem hätte ich gern alles an den Nagel gehängt. Ich war kurz davor, eine Kündigung einzureichen, ohne zu wissen, wo es für mich hingehen würde. Doch dann wurde ich aufmerksam gemacht auf das, was Beschäftigte in über 17 Kliniken des Landes bereits vollbracht haben.
Ich habe mir also eine Frist von einem Jahr gesetzt. In diesem einen Jahr ist so viel passiert. Ich habe mit größter Spannung auf unsere Hauptstadt geschaut. Dort wurde zuletzt der sogenannte Tarifvertrag Entlastung abgeschlossen.
Tausende Beschäftigte der Charité und Vivantes-Kliniken in Berlin haben sich zusammengeschlossen und für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft. Das ist ein großes Wort – Kampf. Doch wenn Beschäftigte in Berlin zuletzt für über einen Monat im Streik auf ihre Löhne verzichtet haben, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen, um endlich ihre Patient:innen so versorgen zu können, wie sie es für gut und richtig halten, dann ist das ein Kampf.
Es gibt politische Wände, die sie einreißen mussten, veraltete Strukturen, die sie gebrochen haben – nur, um etwas in diesem verkorksten Gesundheitssystem zu verändern. Um in unserem so wichtigen Beruf eine Zukunft zu sehen und ihre Patient:innen gut versorgen zu können.
Ich wusste nicht, dass so etwas möglich ist. Aber nach monatelanger Vorbereitung und größten Anstrengungen siegten die Kolleg:innen. Nun gibt es Personalschlüssel, die von den Beschäftigten festgelegt wurden, also den Spezialist:innen der eigenen Bereiche.
Freizeit oder Lohnzuschläge
Hebammen müssen künftig nicht mehr zwischen fünf gebärenden Frauen zeitgleich hin- und herspringen, sondern dürfen sich auf eine werdende Mutter und ihr Baby konzentrieren. In Notaufnahmen hat man endlich dafür gesorgt, dass es eine Regelung dazu gibt, wie viele Kolleg:innen anwesend sein müssen, wenn eine bestimmte Zahl von Menschen mit Herzinfarkten, Schlaganfällen und Unfällen eingeliefert werden.
Wenn diese neuen Regeln nicht eingehalten werden und Beschäftigte dadurch Dienste leisten müssen, die Patient:innen gefährden, bekommen sie eine Entschädigung – zusätzliche Freizeit oder Lohnzuschläge. So nimmt man Klinikleitungen die Möglichkeit, Beschäftigte auszubeuten und sie so in die wachsende Personalflucht zu treiben.
Man gibt Patient:innen das, was ihnen zusteht: eine menschenwürdige Versorgung. Es besteht Hoffnung, dass Entscheidungsträger:innen mit den neuen Regeln umdenken, statt nur Freischichten zu vergeben und Zuschläge zu bezahlen.
Wir müssen wohl nicht beweisen, dass wir nicht wegen des Geldes in der Pflege, in der Physiotherapie, in der Küche oder in der Reinigung arbeiten. Wir erhoffen uns eine gemeinwohlorientierte Gesundheitsversorgung.
Eingangs wehrten sich Klinikleitungen noch. Sie zogen vor Gericht, um Streiks verbieten zu lassen. Sie sagten, über einen solchen Tarifvertrag Entlastung würden sie nicht verhandeln. Doch sie scheiterten. Mittlerweile beginnen umliegende Kliniken, Zuschläge anzupassen, um ihre Mitarbeiter:innen zu halten.
Seit diesem Erfolg meiner Berliner Kolleg:innen habe ich wieder Hoffnung.
Ein eigener Tarifvertrag
In der vergangenen Woche ging es endlich für uns los. Die erste Tarifrunde der Länder war ernüchternd verlaufen. Die vereinbarten Gehaltserhöhungen glichen nicht einmal die Steigerungen durch die Inflation aus. Jetzt geht es in Runde zwei.
Beschäftigte aller Universitätskliniken des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen haben sich zusammengeschlossen und der Politik die Pistole auf die Brust gesetzt. Was wir fordern? Einen eigenen Tarifvertrag Entlastung.
Hunderte von uns haben ein Ultimatum gestellt: 100 Tage. Politik und Arbeitgeberverbände sind aufgefordert, bis dahin mit uns einen solchen Tarifvertrag zu verhandeln. Sonst treten wir in den Streik. Tausende Beschäftigte werden sich für ihre Rechte und die Versorgung ihrer Patient:innen einsetzen.
Ich bin stolz auf meine Berufsgruppe – darauf, dass wir es schaffen, uns trotz der bedrückenden Zustände nun zu begeistern, aktiv zu werden und uns stark zu machen.
So ein Tarifvertrag ist nicht die Lösung all unserer Probleme, doch er gibt uns ein großes Stück wieder von dem, was uns seit Jahren fehlt. Freizeit. Erholungszeit. Und Mut, in diesem Beruf bleiben zu können. Wir möchten ein Exempel setzen für Kliniken in der Umgebung und in anderen Bundeländern – damit Beschäftigte im Gesundheitswesen zukünftig die Wertschätzung erfahren, die ihnen zusteht. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen, und wir starten nun.
Ich bin hoffnungsvoll. Denn ich habe nichts anderes gelernt als den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin. Und ich will auch nichts anderes machen.
Herzliche Grüße
Ihre Juliane Ritter
Juliane Ritter (Name geändert)
… arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
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