Marina Weisbands Kolumne | Helfen wir den Schulen

Porträt von Marina Weisband
Mit Marina Weisband

Liebe Leser:innen,

ich will nicht sagen, dass der Schulbetrieb zu anderen Zeiten nicht frustrierend ist. Schule, ihre Organisation, ihre Verwaltung – das alles ist immer bürokratisch und chaotisch und frustrierend. Schüler:innen hören nicht, Lehrer:innen sind überlastet, Digitalisierung hinkt hinterher und die Toiletten sind meistens grottig. Es ist allerdings eine besondere Herausforderung, Schule während Corona zu machen.

Den ganzen Tag erzählt man uns, was die Regeln für den sicheren Umgang mit der Pandemie sind, nur um Lehrer:innen und Schüler:innen in eine Situation zu schicken, in der sie diese Regeln nicht befolgen können. Sie treffen sich zu vielen Haushalten regelmäßig in geschlossenen Räumen, wo Abstand unmöglich ist.

Die Einführung der Maskenpflicht hat bei Gesundheitsämtern zu einer Änderung der Strategie geführt: Sollte ein Kind im Klassenverband positiv auf Corona getestet werden, muss nicht mehr die ganze Klasse in Quarantäne, sondern nur noch die unmittelbaren Sitznachbar:innen. Dabei ist hinlänglich bekannt, dass Aerosole bei der Übertragung eine Rolle spielen, gern auch mal eine Reihe überspringen und dass Masken zwar schützen, aber natürlich keine absolute Sicherheit geben können.

Das Ziel ist weiter Präsenzunterricht

Die Sicherheitsmaßnahmen konzentrieren sich derzeit aufs Lüften. Abgesehen davon, dass viele Schulen Fenster nur kippen können oder nicht ausreichend Fenster haben, ist Lüften bei Starkregen oder Kälte auch einfach dem Unterricht und der Gesundheit abträglich. Luftfilteranlagen könnten hier helfen. Da der Winter aber, wie jedes Jahr, als große Überraschung kommt, hat das Land Nordrhein-Westfalen erst nach den Herbstferien eine Förderung von 50 Millionen für solche Anlagen in Aussicht gestellt. Wann die Gelder verfügbar sein werden, ist derzeit unklar. Wann davon tatsächlich Geräte angeschafft werden können, noch unklarer. Bis wann alle diese Geräte dann verteilt, abgenommen und installiert sind…

Ich hoffe sehr, dass wir bis dahin alle längst geimpft sind.

Auch im achten Monat der Pandemie liegt das erklärte Ziel der Schulpolitik im Präsenzunterricht. Dieser gilt nämlich, laut Bildungsministerin Yvonne Gebauer, als „die beste Form des Lernens“. Das mag vielleicht sogar stimmen (auch wenn ich sehr viele Formen des Lernens zu ergänzen wüsste). Es übersieht nur zwei wichtige Details.

Erstens, dass das unbedingte Drängen auf absoluten Präsenzunterricht um jeden Preis dem Erhalt des Präsenzunterrichts tatsächlich abträglich ist. Wenn das Infektionsgeschehen weiter explodiert, werden Schulschließungen unweigerlich notwendig. Und dann für alle Kinder – selbst die Bedürftigsten.

Zweitens hört man immer wieder von Fällen, in denen Kinder mit Vorerkrankungen, oder solche, die mit Risikogruppen zusammenleben, Probleme haben, sich vom Unterricht freistellen zu lassen.

Tagesbetreuung für Kinder

Nicht präsent zu sein, bedeutet im Jahr 2020: nicht beschult werden. Ob das wirklich dem Ziel dient, allen Kindern die beste Bildung zukommen zu lassen, ist nicht immer klar. Immer häufiger regt sich bei mir der Eindruck, dass Schule von der Politik vielfach als Tagesbetreuung für Kinder verstanden wird, die hauptsächlich Arbeitnehmer:innen die Präsenz am Arbeitsplatz erlauben soll. Die Quarantänemaßnahmen sind ja tendenziell sehr freizeitzentriert.

Dabei ginge es in jeder Hinsicht besser. Man stelle sich vor, wir würden die Klassen aufteilen. Schulen könnten beispielsweise im Wochenwechsel jeweils die halbe Klasse in Präsenz und die andere Hälfte in der Ferne unterrichten. Konzepte für „hybriden Unterricht“ gibt es viele (Ich empfehle dringend dieses Video des Lehrers Philippe Wampfler dazu). Die Schüler:innen, die zuhause nicht die notwendige Betreuung, Förderung, Geräte oder Räumlichkeiten haben, könnten in andere Räume ausweichen, die derzeit auch nicht intensiv genutzt werden – beispielsweise Bibliotheken, Gemeindesäle oder Universitätsräume.

Von dort aus könnten sie in die Stunde schalten, die zur Verfügung gestellten Materialien durchforsten, an ihren Projekten arbeiten und betreuende außerschulische Erwachsene um Hilfe fragen. In den Klassen hätte man dann doppelt so viel Platz für Distanz, man hätte weniger volle Schulbusse, das Händewaschen dauert keine halbe Stunde. Außerdem hätte jeder Raum Filteranlagen und könnte darum halbwegs lebensfreundliche Temperaturen selbst im tiefsten Winter halten – auch wenn natürlich weiterhin regelmäßig gelüftet werden müsste.

Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt

Auf diese Weise könnte es gelingen, tatsächlich sinnvollen und guten Unterricht auch während der Pandemie leisten zu können. Die erforderliche Weiterbildung und Weiterentwicklung der Didaktik sind dabei weit über Pandemiezeiten hinaus sinnvoll: Das selbstständigere, projektorientiertere Lernen, das Aufsuchen kommunaler Räume außerhalb der Schule, das höhere Vertrauen in die Neugier der Schüler:innen sind Merkmale zeitgemäßer Bildung in einer digitalisierten Welt. Corona könnte ein Anstoß dafür sein.

Der beste Zeitpunkt, das alles zu planen und vorzubereiten wäre natürlich spätestens im Mai gewesen, als die jetzige Situation bereits erwartet wurde. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt. Denn das ist die früheste Zeit, die wir aktiv beeinflussen können. Und die Zivilgesellschaft kann tatsächlich eine Menge tun, wenn die Verwaltung durch ihre eigenen Regelungen etwas träge ist.

Ich habe mich in der letzten Woche in verschiedenen Schulen in Münster erkundigt, ob es möglich ist, Luftfilteranlagen zu spenden. Aufgrund des Gleichstellungsgebotes ist die Spende von technischen Geräten an Schulen schwierig. Von der Stadt selbst habe ich bisher leider keine Antwort erhalten, aber viele Schulen haben gesagt, dass Spenden von Luftfilteranlagen ihnen willkommen wären.

Eine Spende darf an keine Gegenleistung oder Werbung geknüpft werden. Ein Unternehmen könnte sich aber durchaus auf die Website schreiben, dass es geholfen hat, im Winter den Schulunterricht aufrecht zu erhalten. Sie können sich also bei Ihrer lokalen Schule erkundigen, ob es einen Bedarf gibt und was zu beachten ist, wenn man ein Gerät spenden möchte. Da der Bedarf gerade hoch ist, sollte die Anschaffung sehr schnell erfolgen.

Die Zivilgesellschaft kann helfen

Wenn die Präsenzpflicht aufgehoben werden sollte, ist es wichtig, dass Kinder nicht wieder ganz auf sich allein gestellt sind, wenn sie auf Distanz lernen müssen. Nicht alle haben ein eigenes Zimmer, nicht alle können tagsüber betreut werden. Auch hier können kommunale Projekte Familien auffangen und Kindern Räume öffnen, in denen sie aus der Distanz lernen können. Jede Bemühung, sowas von Regierungsseite zu organisieren, wird von tausend Versicherungsfragen zermürbt. Aber private Verabredungen sind etwas Anderes. Eine gute Gelegenheit, Münster nochmal neu zu erkunden. Wo sind Räumlichkeiten, in denen sich gut und sicher lernen lässt? Und welche meiner Nachbar:innen brauchen Hilfe?

Eine Schulverwaltung ist quasi per Definition nicht auf Krise ausgelegt. Eine Krise erfordert Kreativität und Schnelligkeit und Ausprobieren. Wir, die Zivilgesellschaft, haben diese Fähigkeiten. Und es ist unsere Pflicht, denen unter die Arme zu greifen, die Tag um Tag der nächsten Generation beim Wachsen und Lernen helfen. Es ist unser aller nächste Generation.

Ich freue mich auf Ihre Ideen und Vorschläge, wie wir zusammen Schulen unterstützen können.

Herzlichst

Ihre Marina Weisband

Porträt von Marina Weisband

Marina Weisband

Marina Weisband ist Diplom-Psychologin und in der politischen Bildung aktiv. Beim Verein „politik-digital“ leitet sie ein Projekt zur politischen Bildung und zur Beteiligung von Schülern und Schülerinnen an den Regeln und Angelegenheiten ihrer Schulen („aula“). Außerdem ist sie Co-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins D64. Von Mai 2011 bis April 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. Heute ist sie Mitglied der Grünen. Sie lebt in Münster.

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