Die Kolumne von Marina Weisband | Grüne Oasen der Demokratie

Porträt von Marina Weisband
Mit Marina Weisband

Liebe Leser:innen,

seit ich ein Kleinkind habe, träume ich von einem Haus mit Garten. Da ich Münster aber zu sehr liebe und kaum mobil bin, ist das ziemlich illusorisch. Dachte ich. Jetzt mache ich im Sommer jeden Tag eine halbe Stunde Gartenarbeit. Dank der Initiativen der Stadt und der vielen wunderbaren Menschen in ihr.

Es begann mit einem Wassertank. Eines Tages im letzten Jahr stand vor meinem Haus ein großer Wassertank. „Münster schenkt aus“ stand darauf. Randvoll gefüllt mit Regenwasser. Endlich eine Möglichkeit, die umliegenden Bäume zu gießen. In den heißen Tagen des vergangenen Sommers habe ich das manchmal gemacht, mehr jedoch nicht.

In diesem Jahr ist meine Tochter vier Jahre alt und hat ein riesiges Interesse an Blumen, Samen und Wachstum entwickelt. Der Auftrag war klar: Einige Samen für schöne, bienenfreundliche Blumen mussten her. Aber wo pflanzen? Unser Nordbalkon ist ein schattiger Ort. Aber nun habe ich ja eine Wasserquelle direkt neben der Baumscheibe – also der unbetonierten Fläche um den Baum – vor meinem Haus. Wir schnappten uns etwas Werkzeug, lockerten die Erde an, streuten die Samen aus und gossen sie. Stört ja niemanden, verschönert das Stadtbild. Die Tochter war glücklich und schaut jetzt jeden Tag, wo schon was gekeimt hat, wo was Knospen bildet.

Im Hansaviertel fielen mir seitdem mehr und mehr richtig schön bepflanzte Baumscheiben auf. Mit blühenden Blumen, teils mit Mustern, teils mit Dekoration. Ich bekam Lust, auf unserer Straße ebenfalls so eine kleine Oase zu schaffen. Aber wie fängt man so etwas an? Das Erste, was ich zu dem Thema fand, war tatsächlich ein Prospekt der Stadt. „Münster bekennt Farbe“ toleriert nämlich nicht nur das Bepflanzen von Baumscheiben und unasphaltierten Flächen, sondern fördert das sogar. Man kann Spielplatz-, Baum- oder Baumscheibenpate werden. In diesem Prospekt gibt die Stadt hilfreiche Hinweise und empfiehlt Pflanzen, die sich gut zur Aussaat eignen. Mit einer Baumpatenschaft kann man, begleitet von der Stadt, einen eigenen Baum pflanzen oder eine Patenschaft verschenken.

Sieben Hochbeete an der Soester Straße

Da hört es im Bereich Urban Gardening in Münster aber nicht auf. Dank der Initiative von Anwohner:innen. So gründeten Anna, Fabian und Marcel 2018 mit 10 Gründungsmitgliedern den Verein BlattBeton. Die Idee: Obst und Gemüse in der Stadt anbauen und sich praktisch mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Dabei bauen sie nicht nur ganz praktisch Hochbeete, sondern nutzen alte Samensorten, geben Seminare zu Themen wie nachhaltiger Stadtnutzung und Klimaflucht, vergeben Beetpatenschaften und haben am Bennohaus einen Gemeinschaftsgarten angelegt, der offen für alle ist. Auf ihrer Website haben sie eine interaktive Karte, auf der Anwohner:innen mögliche Orte für Hochbeete kennzeichnen können.

Ich habe aus Neugier Marcel und Fabian besucht und mit ihnen über ihre Arbeit gesprochen. Das war, wie an der Oberfläche einer verborgenen Welt zu kratzen, die nach und nach ein immer komplexeres Wurzelwerk freigibt. Was ist das aktuelle Projekt des Vereins? „Um den Spielplatz an der Soester Straße stellen wir sieben Hochbeete hin.“ „Allein?“ „Nein. Das entstand aus einer Förderung des Hansaforums, und da es dort ähnliche Initiativen gab, haben wir uns zusammengetan. Daraus ist jetzt eine Gruppe entstanden, die wir ‚Grüne Oasen‘ nennen.“

Es gibt in Münster eine ganze Reihe von Initiativen, die jeweils etwas unterschiedlich fokussiert die gemeinsame nachhaltige Begrünung der Stadt und das Lernen über die Natur fördern. Einige arbeiten speziell mit Kleinkindern und bringen ihnen Pflanzenwachstum bei, andere kümmern sich um Balkone oder um Gemüseanbau. Das Hansaforum fördert viele dieser kleinen, partizipativ erarbeiteten Projekte im Hansaviertel. Ein Blick dorthin lohnt sich enorm – auch für andere Stadtteile zum Nachmachen. Das Viertel lebt.

Immer mit dabei: das Amt für Grünflächen, Umwelt und Nachhaltigkeit. Und falls Sie denken, jetzt kommt etwas Kritisches über die Stadt: nein. Auch Lob muss verteilt werden, wo es verdient ist. Obwohl die Wege manchmal doch ein wenig bürokratisch sein können, setzt sich die Stadt tatsächlich für ihre Grünflächen ein und nimmt dabei sehr dankbar die Initiativen der Bürger:innen auf, fördert sie sogar.

Und warum feiere ich das so sehr?

Weil es hier um mehr geht als um Pflanzen. Hier geht es um Demokratie.

Wer mit einem offenen Blick durch sein Viertel geht und schaut: „Wo könnte ich es verschönern?“, der macht den öffentlichen Bereich zu seinem Herzensanliegen. Wer neben Petunien steht, wird seine Bierflasche hier eher nicht hineinwerfen, sein Fahrrad nicht darauf abstellen. Indem wir den urbanen Raum mit eigenen Händen kultivieren, erobern wir den Bereich zwischen uns als Menschen. Ich habe neulich eine Stunde mit einem Nachbarn an meiner Baumscheibe geschnackt, während ich Erde umgegraben und Lavendel eingesetzt habe. Wir schaffen Orte der Begegnung.

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RUMS soll wachsen!

Damit wir unser Angebot so wie bisher fortsetzen und am besten weiter ausbauen können, muss unsere Community größer werden. Die erste Etappe haben wir am 4. Juni 2021 mit Ihrer Hilfe schon erreicht, nachdem wir Sie im März das erste Mal um Ihre Unterstützung gebeten hatten. Für die ersten 1.750 Abonnent:innen schenken wir dem Jugendzentrum Black Bull in Münster-Amelsbüren jetzt einen ganztägigen Medienkompetenz-Workshop.

Bei den nächsten Meilensteinen (2.000, 2.250, 2.500) werden wir als Dankeschön weitere Workshops veranstalten. Genaueres dazu lesen Sie hier. Sie können uns dafür auch gern Organisationen vorschlagen, die Ihnen am Herzen liegen. Schreiben Sie uns dazu einfach an diese Adresse. Wie sich unsere Aktion entwickelt, teilen wir Ihnen ab jetzt regelmäßig in unserem Brief mit. Sobald Corona es zulässt und wir die ersten Workshops umsetzen können, werden wir diese auch dokumentieren.

Empfehlen Sie uns also fleißig weiter! Wenn jede und jeder von Ihnen nur drei Verwandte, Bekannte und Freund:innen anschreibt und für RUMS wirbt, können wir gemeinsam wachsen.
Immer, wenn Sie einen Brief besonders interessant finden, leiten Sie ihn gerne weiter. Wenn Sie dann noch dazuschreiben, dass die Empfänger:innen uns einfach abonnieren sollen, freuen wir uns umso mehr.
Das Ganze haben wir noch einfacher für Sie gemacht: Sie können unsere Briefe per E-Mail oder Whatsapp teilen – beim Klick auf den entsprechenden Button unten öffnet sich in der jeweiligen App ein Fenster, in dem Sie einen Textvorschlag von uns finden, den Sie natürlich frei verändern können. Ebenso können Sie unsere E-Mails natürlich auch bei Facebook oder Twitter teilen.

Vorbereitung auf größere Projekte

Darüber hinaus hat die Begrünung einer Straße einen enormen Effekt auf Selbstwirksamkeit. Das ist das Gefühl, dass ich etwas in der Welt verändern kann, wenn ich mich nur dazu entschließe. Denn seien wir ehrlich, die Politik war nicht gut zu uns in letzter Zeit. Globale Pandemie, Klimawandel, Korruptionsskandale, Überwachung – so viele Dinge scheinen außerhalb unserer Reichweite oder Kontrolle.

Bei so vielem zucken wir nur müde die Schultern und sind geneigt, uns davon zurückzuziehen, in unsere privaten vier Wände (metaphorisch gesprochen). Aber wenn ich ein verwahrlostes Stück Erde sehe und Blumen hineinpflanze, mich um sie kümmere, mich dafür mit Nachbarn zusammentue, laufe ich jeden Tag an diesen Blumen vorbei und sie sind eine Manifestation meiner Erfahrung: Ich habe einen Einfluss auf diese Welt. Ich kann verändern, wie der Raum zwischen uns Menschen aussieht. Ich kann kreativ werden in dieser Welt, weit über meinen Konsum hinaus. Das ist ein schönes Gefühl. Es ist eine notwendige Vorbereitung auf die größeren Projekte, die wir uns vornehmen können, wenn wir so mit offenen Augen durch die Welt gehen.

Was denken Sie? War ich zu lange in meiner Wohnung eingesperrt? Oder erscheint Ihnen die Idee, die Stadt zu ihrem Vorgarten zu machen, sympathisch? Werden Sie selbst Gebrauch von den Angeboten der Stadt machen? Schreiben Sie uns.

Viele liebe Grüße
Ihre Marina Weisband

Porträt von Marina Weisband

Marina Weisband

Marina Weisband ist Diplom-Psychologin und in der politischen Bildung aktiv. Beim Verein „politik-digital“ leitet sie ein Projekt zur politischen Bildung und zur Beteiligung von Schülern und Schülerinnen an den Regeln und Angelegenheiten ihrer Schulen („aula“). Außerdem ist sie Co-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins D64. Von Mai 2011 bis April 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. Heute ist sie Mitglied der Grünen. Sie lebt in Münster.

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