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Ein besonderer RUMS-Brief | Ruprecht Polenz antwortet Rezo
Normalerweise schreibt Ruprecht Polenz an dieser Stelle einen Brief an Sie. Heute antwortet er dem Youtuber Rezo. Der hatte in einem Video und in seiner Kolumne für die Wochenzeitung “Die Zeit” erklärt, warum er die Entscheidung, die Schulen wieder zu öffnen und die Abiturprüfungen stattfinden zu lassen, für falsch hält.
Lieber Rezo,
als ich Dein Video „Richtig dumm – wie Politiker momentan auf Schüler scheißen“ gesehen habe, habe ich mich wieder mal geärgert. Du sprichst zwar wichtige Punkte an, und ich finde es gut, dass Du unser föderales Bildungssystem erklärst, in dem die Länder für die Schulpolitik verantwortlich sind. Aber ich finde, Du machst es Dir mit der Kritik zu leicht.
Schule ist ein besonders heikler Punkt für Lockerungsmaßnahmen in der Coronakrise. Niemand wird gezwungen werden, in ein Restaurant zu gehen, wenn diese wieder öffnen dürfen. Wer das Ansteckungsrisiko für zu hoch hält, der bleibt halt noch länger zu Hause und kocht sich selbst etwas.
Wenn der Staat die Schulen wieder öffnet, ist das anders. Wir haben eine allgemeine Schulpflicht. Die Schülerinnen und Schüler müssen in die Schule kommen, auch wenn sie lieber zu Hause bleiben würden, weil sie sich nicht anstecken wollen.
Dein Video passt zu einer Mail, die ich vor kurzem von einem besorgten Vater bekommen habe. Er gehört aufgrund seines Alters – so wie ich auch – zu den Risikogruppen. Heute begannen in der Schule seines Sohnes die letzten Vorbereitungen auf das Abi. Dem Schüler sei es zwar freigestellt, ob er deshalb in die Schule kommen wolle. Aber das stelle ihn vor die unerträgliche Alternative, gegebenenfalls sich und dann seinen Vater anzustecken oder auf eine optimale Abi-Vorbereitung zu verzichten. Ich solle mich doch, so die Bitte des Vaters, bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung dafür einsetzen, dass die Abi-Prüfungen nicht in dieser – so wörtlich – „unmenschlichen Weise“ durchgeboxt würden.
Aus genau diesem Grund, den Du ja auch in Deinem Video ansprichst, habe ich der schleswig-holsteinischen Schulministerin Karin Prien (CDU) zugestimmt, die Ende März angekündigt hatte, in der Kultusministerkonferenz (KMK) für ein „Anerkennungsabitur“ ohne Abschlussprüfungen zu plädieren. Der Vorschlag wurde breit in den Medien debattiert und entsprach ziemlich genau Deiner jetzigen Forderung. Auch die Wochenzeitung „Die Zeit“, für die Du Kolumnen schreibst, hatte darüber berichtet. Leider hast Du in Deinem Video kein Wort dazu verloren.
Die Abi-Note sollte ausschließlich anhand der bisherigen schulischen Leistungen vergeben werden, die auch unter normalen Umständen einen Teil der Note ausmachen. Gleiches sollte auch für die anderen Prüfungen gelten, so Karin Prien damals. Leider hat dieser Vorschlag in der KMK keine Zustimmung gefunden. Die anderen Länder wollten an den Abi-Prüfungen festhalten. Der Bundeselternrat (!) forderte ein gemeinsames Vorgehen aller Länder. „Es wäre nicht hinnehmbar, wenn es in den einen Ländern richtige Abiturprüfungen gibt – in anderen aber nicht.“ Zu diesem Zeitpunkt hatten in zwei Ländern bereits Abi-Prüfungen stattgefunden, wie Du in Deinem Video richtig gesagt hast.
Der entscheidende Punkt
Du sagst viel zum Thema „Vergleichbarkeit“, aber auf den entscheidenden Punkt kommst Du nicht zu sprechen. Natürlich sind die Curricula und vieles andere von Land zu Land unterschiedlich, wie Du richtig und sehr ausführlich aufzählst. Aber darauf bezieht sich die Forderung nach Vergleichbarkeit überhaupt nicht.
Vergleichbar sollen die Prüfungsergebnisse sein, denn das Abitur berechtigt an allen Hochschulen zum Studium – und in den Numerus-clausus-Fächern werden die Studienplätze nach dem Notenschnitt vergeben. Vor diesem Hintergrund ist die Art und Weise, also ob und wie eine Prüfung durchgeführt wird, schon wichtiger als Du es darstellst.
Ich hätte auch besser gefunden, wenn die KMK dem Prien-Vorschlag gefolgt wäre oder es wenigstens Schleswig-Holstein erlaubt hätte, in dieser besonderen Corona-Situation auf die Abi-Prüfungen zu verzichten. Aber Karin Prien wurde bundesweit für ihren „Alleingang“ kritisiert. Einzelne Länder stellten wohl auch in Frage, ob sie ein solches „Abitur ohne Prüfung“ als gleichwertig anerkennen würden. Die Stuttgarter Zeitung berichtete, Karin Prien sei in der Telefonkonferenz „von ihren Kollegen einen Kopf kürzer gemacht worden – mindestens“. Auch in der öffentlichen Diskussion wurde ihr Vorschlag überwiegend kritisiert und fand kaum Unterstützung, schreibt der Tagesspiegel. Wer weiß, vielleicht hätte es geholfen, wenn Du Dein Video schon früher gemacht hättest.
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Zu einfach gemacht
Eine weitere Sache, die ich an Deinem Video kritisieren möchte: Obwohl es darin um die Abiturprüfungen gehen soll, sprichst Du zur Begründung Deiner Forderung viele Punkte an, die ganz allgemein die Schulen und die Möglichkeit betreffen, in Coronazeiten Unterricht zu machen.
Bis es einen Impfstoff gibt, kann es noch lange dauern. Mindestens 18 Monate, sagen Experten, und das sei optimistisch geschätzt. Sollen die Schulen so lange geschlossen bleiben? Unter welchen Voraussetzungen können sie geöffnet werden? Für welche Klassen zuerst? Wird es Schichtunterricht geben? Was ist mit den Lehrerinnen und Lehrern, die zu einer Risikogruppe gehören? Was bedeutet das Abstandsgebot von mindestens 1,50 m für den Unterricht? Und was heißt das für die Schulbusse?
Ich verstehe gut, dass Du sagst, für diese Fragen keine Antworten und keine Lösung zu haben. Ich fände es auch unfair, das von Dir zu verlangen.Aber ebenso unfair empfinde ich Deine herabsetzende Sprache verantwortlichen Politikerinnen und Politikern gegenüber, die es sich wirklich nicht einfach machen, auf diese schwierigen Fragen die richtigen Antworten zu finden. Mit ihren Leistungen können wir doch bisher in Deutschland ganz zufrieden sein, wenn wir uns in der Coronakrise in anderen Ländern umschauen, oder?
Herzliche Grüße – und bleib gesund.
Ruprecht Polenz
Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
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