Der Kultur-Brief von Christoph Tiemann | Ran an die Futtertröge

Portrait von Christoph Tiemann
Mit Christoph Tiemann

Guten Tag,

Kochen ist Krieg. Glauben Sie mir, der Spruch stimmt; ich habe in den letzten 10 Jahren mit einem Kamerateam mehr als 250 Restaurantküchen im Münsterland besucht und das Kochen als embedded Journalist in Kochschürze mit Tarn- und Rotweinflecken aus nächster Nähe mitbekommen.

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Die Köchinnen und Gastronomen unserer Region sind westfälisch-herzlich, umsichtig-innovativ, bodenständig und (im Rahmen ihrer westfälischen Möglichkeiten) begeistert und leidenschaftlich.

Wenn wir mit ihnen um die Mittagszeit die ersten Szenen drehten, war alles Friede, Freude, Pumpernickel. Doch im gleichen Maße, in dem sich der Zeiger der Küchenuhr in Richtung Nachmittag neigte, stieg die Nervosität an den Herden wie vor dem Beginn des Schlachtgetümmels. Denn spätestens wenn die ersten Gäste eintrudeln, ist die Arbeit an den Töpfen ungemütlich, nervenaufreibend und geht an die Substanz.

Wird das hier jetzt eine Gastro-Kolumne? Nein. Dafür habe ich von Kochen einfach zu wenig Ahnung, daran haben selbst zehn Jahre „Tiemann testet“ kaum etwas geändert. Aber was in den Küchen unseres flachen Landstrichs schon lange bekannt ist, bekommen nun auch die Bühnen unserer Region zu spüren: Denn an den kulturellen Fördertöpfen wird es derzeit extrem ungemütlich: An den Fördertöpfen herrscht Krieg – und darum geht es heute.

Weniger Neues, weniger Vielfalt

Wenn Sie jetzt denken: „Moment mal! Der Tiemann hat doch neulich erst über diese Kürzungen geschrieben!“ – gewöhnen Sie sich schon mal dran. Nicht, weil uns das Thema weiter beschäftigen wird (das sowieso), sondern weil Sie sich daran gewöhnen müssen, dass die Kultur bald eines bieten wird, nämlich: weniger. Weniger Neues und Vielfalt in der Kultur, das wird das Ergebnis der NRW-Kulturpolitik sein.

Ich könnte jetzt also mit gutem Beispiel vorangehen und einfach den Text von vor zwei Monaten wiederholen, darin habe ich erstens schon viel zu den Kürzungen geschrieben, er ist zweitens immer noch brandaktuell und drittens hat RUMS dann wieder was gespart und entspräche damit ganz dem Geist, der im NRW-Kulturministerium herrscht, wo der befürchtete Rotstift inzwischen durch eine Axt ersetzt wurde. Ich (er)spare Ihnen einen neuen Text zum selben Thema aber nicht!

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Die freie Kulturförderung ist ein kompliziertes Thema – ähnlich komplex wie Sterneküche oder Kriegsführung, aber deutlich langweiliger als beide zusammen. Man gewinnt den Eindruck, die Förderung freier Theater und Ensembles sei absichtlich so kompliziert gebaut und von Hürden umgeben, damit sich bloß nicht noch mehr verlauste Kulturheinis und -hannelores um die ohnehin nur dürftig gefüllten Fördertöpfe scharen.

Ich mach es daher kurz und schmerzvoll: NRW fördert eine gewisse Zahl von freien Theatergruppen mit einem gewissen Etat – von beidem gibt es jetzt aber weniger. Um im Bild zu bleiben: Es werden weniger Gäste an die Fördertöpfe gebeten, in denen auch noch weniger drin ist als sonst.

Damit nicht genug: Für einige Gruppen ist immer noch nicht klar, ob sie überhaupt eine Einladung bekommen werden, denn das Ministerium verschickt seine Gästeliste in letzter Zeit immer erst auf den allerletzten Drücker.

Keine Kürzungen, massiver Strukturabbau

Ich weiß, es gilt der eherne Grundsatz: no jokes with names. Aber beim Duo Wüst/Brandes (Ministerpräsident/Ministerin für Kultur) kann ich es mir nicht verkneifen, zumindest kurz darauf hinzuweisen, dass die Kombination schon nach Kahlschlag und Brandrodung klingt.

Diesem Gespann haben Vertreter:innen der freien Szene in NRW im letzten Monat einen Brief geschrieben. Ganz im Gegensatz zur sonst so gedrechselten Antragslyrik, mit der man sich um Förderungen bewerben muss, heißt es hier in glasklarer Real-Prosa:

Die aktuellen „Kürzungen“ um 50 Prozent und mehr sind keine Kürzungen, sondern massiver Strukturabbau einer in den letzten 15 Jahren aufgebauten innovativen Förderarchitektur, die insbesondere von der CDU und den Grünen gestaltet wurde. Diese „Kürzungen“ sind nicht hinnehmbar.

Von dieser Hungerkur bedroht ist die Arbeit vieler renommierter Theaterlabels aus Münster, darunter so bekannte Größen wie das Theater Titanick, das mit seinen spektakulären Inszenierungen im öffentlichen Raum weit über NRW, sogar über Deutschland hinaus bekannt ist.

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2026 läuft die Förderung durch die Stadt Münster aus – und das erzeugt ein weiteres Problem: Die Förderung freier Kulturprojekte ist ein Flickenteppich, oder besser gesagt ein Mitbring-Buffet. Denn bei vielen Fördertöpfen darf man erst anstellen, wenn man aus anderen schon etwas auf seinem Teller vorzuweisen hat. Man kriegt erst eine Kelle aus dem Topf des Bundes oder der EU, wenn man schon was vom Land oder der Stadt bekommen hat.

Für Titanick bedeutet das: Wenn das Theater keine Förderung aus Münster und auch keine vom Land NRW bekommt, dann kann man sich auch um andere Förderungen nicht bewerben. No jokes with names, aber Titanick steuert auf einen Eisberg zu, den man schon von weitem sehen kann.

Das mehrfach preisgekrönte Echtzeit-Theater aus Münster steuert auf ähnliche Katastrophen zu. Das Ensemble macht seit 2011 Theater für junge Leute zwischen fünf und 16 Jahren. Das sind fantasievolle Produktionen, die nicht nur im Theater an der Meerwiese, sondern auch im Klassenraum, in der Stadt oder im Wald stattfinden, Produktionen, die ein junges Publikum nicht nur mit tollen Geschichten für das Theaterschauen sondern auch mit cleveren Ideen für das Theatermachen begeistern.

„Und was krieg aus dem Fördertopf?“

Genau das will auch Ina Brandes, gelernte Unternehmensberaterin und Aufsichtsrätin, jetzt aber Ministerin für Kultur und Wissenschaft von NRW. Das hat sie jedenfalls einer Reporterin der „Welt“ mal erzählt.

2022 war das, in den letzten Zügen der Pandemie, da gab die damals frisch gebackene Ministerin ein Interview. Darin erfuhren wir, dass sie zu dieser Zeit gerade tierisch viel unterwegs war, um die Kulturlandschaft NRWs kennenzulernen und sich ein Bild zu machen von den Herausforderungen, vor denen Künstlerinnen und Künstler stehen.

Beim Echtzeit-Theater muss gerade unter anderem überlegt werden, von welchen Bühnenbildern (und damit auch von welchen Produktionen) man sich in nächster Zeit wird verabschieden müssen, weil man sich die Miete für Lagerräume nicht mehr im gleichen Umfang wird leisten können.

Es wird ein Verteilungskampf ausbrechen über das wenige, was noch in den Fördertöpfen drin ist; das Wort Krieg klingt nicht nur zufällig so wie etwas kriegen. Schon seit tausend Jahren bedeutet Krieg soviel wie Kampf oder Streit mit Waffen– und weil man sich früher so viele Dinge erkämpfen musste, entstand der Ausdruck, sich etwas erkriegen von dem heute noch die Frage „Und was krieg aus dem Fördertopf?“ übrig geblieben ist.

Nachdem ich jetzt die ganze Kolumne über das Bild mit den Fördertöpfen bedient habe, stelle ich fest, wie falsch es ist. Nicht das Land und die Stadt rühren in Töpfen und füttern damit die Kunst – die haben bei der Einrichtung der Küche, bei der Anschaffung der Kochutensilien und bei einigen Zutaten geholfen – dafür vielen, vielen Dank!

Es sind die Künstler:innen und Künstler unserer Stadt, die im Küchendunst arbeiten, sich immer neue Rezepte ausdenken, in den Töpfen rühren und sie befüllen und daraus das machen, was wir alles brauchen: Nahrung für Herz und Hirn, die, wie das bei gutem Essen immer so ist, uns einerseits schmecken soll, aber auch dafür da ist, uns zu stärken im Kampf gegen die Feinde unserer Demokratie.

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Tiemann

Portrait von Christoph Tiemann

Christoph Tiemann

ist Schauspieler, Kabarettist, Autor und Moderator. Aufgewachsen ist er in Selm. Zum Studium kam er 1998 nach Münster. Seit über 20 Jahren arbeitet er regelmäßig als Autor und Sprecher für den WDR. 2010 gründete er das Ensemble Theater „ex libris“, mit dem er Literaturklassiker wie „Die drei ???“, Sherlock Holmes und Dracula als multimediale Live-Hörspiele auf die Bühne bringt. Für seine Arbeit hat er viele Preise bekommen.

Der Donnerstags-Brief

Jeden zweiten Donnerstag schicken wir Ihnen im Wechsel den Preußen-Brief von Carsten Schulte und den Kultur-Brief von Christoph Tiemann.

Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir im RUMS-Brief.

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