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Die Kolumne von Ludwig Lübbers | Ziemlich beste Sardinienfreunde
Guten Tag,
vom Kopf her bin ich ein leidenschaftlicher Camper, wie auch viele andere Millionen Menschen in diesem Land. Auf dem Campingplatz lassen sich Berührungsängste schneller und einfacher abbauen. Einmal im Jahr fahre ich mit dem Auto nach Sardinien, ich habe dort einen Wohnwagen. Aber als Mensch mit einer Behinderung brauche ich auf dem Campingplatz Hilfe.
Daher stehe ich jedes Jahr vor demselben Problem: Wie finde ich eine Reisebegleitung?
Seit zehn Jahren engagiere ich nun Reiseassistenzen, und ich habe ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Am Anfang habe ich eine Art Kontaktanzeige geschaltet.
Ich orientierte mich dabei an der Buchvorlage „Ziemliche beste Freunde“ von Philippe Pozzo di Borgo. Vielleicht kennen Sie die Geschichte: Es geht um einen vermögenden Menschen, der nach einem Fallschirmabsturz vom Hals an querschnittsgelähmt ist, und um seinen Pfleger. Der Film erzählt von der besonderen Freundschaft zwischen diesen beiden Menschen, zwischen Philippe und Driss.
Ich schrieb:
Suche Reiseassistenz für einen Sardinien-Trip in den Sommerferien. Wer bin ich? Kennst Du noch den Film ‚Ziemlich beste Freunde‘? Ich bin ein ähnlicher Typ, nur fahre ich selbst noch Auto. Um meine Trauminsel Sardinien besuchen zu können, bin ich auf Hilfestellung angewiesen. Ich bin kein Millionär, dennoch wäre die Reise für Dich umsonst. Wenn Du mehr erfahren möchtest, dann melde Dich unter reisemitmir@gmx.de.
Der Film war ein riesiger Erfolg, weil dieses ungleiche Paar auf so liebenswerte Weise zueinander fand. Beide halfen sich gegenseitig. Und der Film zeigte: Geld allein ist nicht alles. Wahrscheinlich lag auch hier ein Grund für den großen Erfolg.
Die Reise hatte ein Happy End
Auf meine erste Anzeige im Jahr 2012 meldete sich eine junge Frau, die gerade ihr Studium beendet hatte. Sie hatte Zeit, mich in den Sommerferien zu begleiten. Wir trafen uns vor der Reise drei Mal. Dann stürzten wir uns in dieses Abenteuer. Aber es zeigte sich schon in den ersten Tagen, dass wir unterschiedliche Erwartungen hatten.
Es waren manchmal nur kleine Details, über die wir uns nicht einig wurden. Einmal ging es um den Aufbau eines Hauszeltes. Aber am Ende gab es ein Happy End, für die junge Frau gleich ein doppeltes. Sie verliebte sich in einen jungen Mann aus Deutschland. Später merkten wir beiden, wie gut wir es hatten.
Nach der Reise schenkte Sie mir ein Fotoalbum. Das zeige ich heute noch zukünftigen Reiseassistenzen.
Danach waren wir uns allerdings einig: Man muss vorher mehr über die Erwartungen und Fähigkeiten sprechen, auch über die Planung. Ich machte also einen exakten Plan dazu, wie man das Hauszelt aufbaut. Außerdem ging ich die schlimmsten Szenarien durch.
Wenn meine Beinprothese einen Defekt hätte oder mein Auto, könnte der Urlaub schnell vorbei sein.
Heute reise ich mit Ersatzprothese und schleppe für den Wagen genügend Ersatzteile mit, um für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Einen behindertengerechten Leihwagen zu bekommen, wäre schwer.
Zum Glück ist der Fall bis heute nicht eingetreten. Aber meine Vorstellungen zur Reiseassistenz haben sich vervollständigt. Es sollte ein Mensch sein, der Camping mag, über ein wenig handwerkliches Geschick verfügt, hilfsbereit ist und mit dem zufrieden ist, was vorhanden ist.
Eine Sternstunde
Körperliche Fitness ist wichtig. Man sollte mit der Hitze im Süden gut zurechtkommen. Im Sommer kann es in Sardinien sehr heiß werden.
Vor fünf Jahren erlebte ich eine Art Sternstunde. Damals begleitete mich Aga, eine polnische Krankenschwester, die ihr Herz, so würde man sagen, am richtigen Fleck hatte. Sie konnte vor allem sehr gut organisieren.
Auto packen, Aufbau auf dem Campingplatz, Einrichten der Campingküche, Essen kochen, das waren für sie leichte Übungen. Im Auto reichte sie mir Snacks. Mit ihr ging es mir immer gut.
Aga war die perfekte Assistentin, aber sie hatte nur knapp drei Wochen Zeit. Also beschloss ich, die Assistenz via Flieger zu tauschen. Die bulgarische Frau, die mir zu Hause beim Reinigen hilft, hatte Interesse. Sie verbrachte die restlichen zehn Tage mit mir auf der Insel.
Nach der Rückkehr in Münster sagte Aga mir, die Reise habe sich auch für sie angefühlt wie ein Urlaub. Zwei Menschen begegneten sich auf Augenhöhe. So stellte ich mir das vor.
Ich habe auch schlechte Erfahrungen gemacht, zum Glück wenige. Wie gesagt, man muss für das Leben auf dem Campingplatz geboren sein. Den einen ist es zu heiß, den anderen zu laut. Einer trank sehr viel Alkohol, auf ihn konnte man sich nicht verlassen. Aber so ist das, wenn man es immer wieder mit verschiedenen Menschen zu tun hat.
In diesem Jahr hatte meine Assistentin nach nicht einmal zwei Stunden auf der Insel einen Unfall. Ein Krankenwagen brachte sie ins örtliche Krankenhaus. So wurde ich selbst zum Assistenten und Betreuer für meine Begleitung.
Zum Glück konnten wir die Reise nach 24 Stunden fortsetzen. Manchmal musste ich Kompromisse machen. Aber inzwischen habe ich ein gutes Gefühl bekommen. Und ich weiß, worauf ich achten muss.
Auf meiner Homepage gebe ich genaue Informationen darüber, über welche Voraussetzungen die Assistenz verfügen sollte. Ich suche auch auf Sardinien. Das lokale Radio hilft mir dabei.
Ein wunderbares Inklusionsprojekt
Jemanden vor Ort zu finden, hätte für mich noch einen weiteren Reiz: Ich könnte mehr Italienisch sprechen.
Ich habe einen ganz besonderen Bezug zu der Insel. In meinem Buch „L’Ultima Spiaggia – Meine letzte Hoffnung“ habe ich darüber geschrieben. Ich lebe nach der Devise: Nach Sardinien ist vor Sardinien.
Aus den Reisen schöpfe ich meine Energie und Lebensfreude. Inzwischen bin ich ein erfahrener Sardinien-Experte und auch ein Lebenskünstler mit gefühlt sardischen Wurzeln.
Ich würde gern ein Seminar zum Thema Reiseassistenz veranstalten. Mit einer Gruppe von Menschen mit Behinderungen und Reiseassistent:innen gemeinsam einen Tauchschein zu machen, könnte ein wunderbares Inklusionsprojekt werden.
Man könnte es Menschen mit Behinderung ermöglichen, in einem Zelt zu übernachten, am Strand Sterne zu zählen, ihnen das Gefühl von Freiheit vermitteln und von Freundschaft. Ein Gefühl, das vielen Menschen fehlt.
So ein Gemeinschaftsprojekt möchte ich gerne verwirklichen. Vielleicht haben Sie Lust, mir dabei zu helfen. Vielleicht haben Sie auch Lust, mich nach Sardinien zu begleiten. Schreiben Sie mir gern eine E-Mail. Ich würde mich freuen.
Herzliche Grüße
Ihr Ludwig Lübbers
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Ludwig Lübbers
… hat an der Uni Münster Mathematik und Sozialwissenschaften studiert und anschließend das Referendariat absolviert. Heute arbeitet er als Lehrer am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Von 1997 bis 2000 initiierte und betreute er das Projekt „Handicap im Internet“, eine Plattform, auf der sich Menschen mit Behinderung vernetzen und austauschen konnten. In der städtischen Kommission zur Förderung der Inklusion (KIB) setzt er sich heute für die Interessen von Menschen mit Behinderungen in Münster ein. 2021 veröffentlichte er sein erstes Buch: „L’Ultima Spiaggia – Meine letzte Hoffnung“. In seinen RUMS-Kolumnen schreibt er über Barrieren und Barrierefreiheit, über den Alltag von Menschen mit Behinderung und über Inklusion in Münster.
Die Kolumne
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