- Newsletter
- Kolumnen
- Kolumne von Ruprecht Polenz
Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Klimaschutz, aber bitte ohne Rechts und Links
Guten Tag,
einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.
Haben Sie heute schon ein Gesprächsthema? Wie wär’s mit den Aktionen von #LastGeneration? Sie wissen schon, das sind die Klimaaktivist:innen, die Kartoffelbrei auf Monet-Bilder kippen oder sich auf Autobahnzufahrten am Asphalt festkleben. Ich kann Ihnen versprechen, die Diskussion mit Familie oder Freund:innen wird lebhaft.
In der öffentlichen Diskussion warnt die CSU vor einer „Klima-RAF“. Andere halten dagegen: Wenn es um das Überleben der Menschheit geht, sei so ziemlich alles erlaubt. Sie ahnen schon: So übertrieben schwarz-weiß ist es wohl nicht.
Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Frage zu werfen, ob und welche Zwecke die Mittel heiligen können und welche Mittel das sein könnten – und welche eben nicht. Was also hat es mit zivilem Ungehorsam auf sich?
Die Geschichte der begrenzten Rechtsverletzungen aus politischen Gründen reicht bis zu Mahatma Ghandi und Martin Luther King zurück. Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat zivilen Ungehorsam folgendermaßen definiert:
„Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.“
Niemand muss Strafanzeige stellen
Ziviler Ungehorsam begründet also ausdrücklich keine Straffreiheit. Aber seine Grundsätze ziehen eine klare Grenze zum Abgleiten in Gewalt und Terrorismus. Ziviler Ungehorsam ist von der Rechtsordnung nicht „erlaubt“, aber er wird politisch von vielen nicht für unzulässig gehalten.
Wenn es um die strafrechtliche Bewertung von Autobahnblockaden oder Anschlägen auf Kunstwerke geht, sind die Gerichte zuständig, sonst niemand. Die Gerichte entscheiden, ob eine strafbare Nötigung, ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr beziehungsweise eine Sachbeschädigung vorliegen. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses wird die Staatsanwaltschaft auch bei Anschlägen auf Kunstwerke von sich aus tätig. Niemand muss Strafanzeige stellen oder die Justiz auffordern, tätig zu werden.
In einem Rechtsstaat sollte es eigentlich überflüssig sein, auf diese Selbstverständlichkeit hinweisen zu müssen. Aber ausgerechnet die beiden Verfassungsminister:innen Nancy Faeser (SPD) und Marco Buschmann (FDP) haben sich nach der Autobahnblockade und dem Tod einer Fahrradfahrerin in Berlin so geäußert, als müsse die Politik der Justiz jetzt Dampf machen.
„Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden“, sagt Innenministerin Faeser, ganz so, als ob bereits von Straftäter:innen gesprochen werden dürfte und der Grundsatz außer Kraft gesetzt sei, wonach man als unschuldig gilt, solange man nicht verurteilt ist.
Ihr Kabinettskollege und Justizminister Buschmann gab dem Gericht vorab schon mal ein paar Hinweise zu Rechtsfindung und Strafmaß: „Wer Krankenwagen blockiert, kann sich unter Umständen der fahrlässigen Körperverletzung schuldig machen.“ Er habe „Vertrauen“ in die Gerichte, die gegebenenfalls auch Freiheitsstrafen verhängen würden.
Es wird nicht einfach für die Gerichte sein, sich diesem öffentlichen politischen Druck zu entziehen, wenn es zu Strafverfahren kommt. Außer der Versuchung, sich durch markige Sprüche zu profilieren, gab es keinen Grund für diese Äußerungen.
Die CDU/CSU Bundestagsfraktion ging noch darüber hinaus, malte die Gefahr von „grünem Terrorismus“ an die Wand und forderte deutliche Verschärfungen der Gesetze.
Ist es Nötigung?
So soll der Tatbestand der schweren Nötigung um Täter:innen erweitert werden, die eine öffentliche Straße blockieren und billigend in Kauf nehmen, dass Polizei und Rettungsdienste behindert werden. Diese sollten künftig mit Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren bestraft werden.
Die Schädigung von Kulturgütern von bedeutendem finanziellen oder kunsthistorischen Wert soll mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten geahndet werden.
Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ist nicht damit zu rechnen, dass diese Verschärfungen Gesetzeskraft bekommen. Wer sich für die geltende Rechtslage näher interessiert, sollte sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Straßenblockaden ansehen (sogenannte „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung).
Der erste Fahrzeugführer werde durch die Sitzblockade gezielt in ein Dilemma versetzt, dass dieser rechtlich nicht anders auflösen könne als durch Stehenbleiben und damit durch Behinderung der nachfolgenden Fahrzeugführer:innen. Diese körperliche Zwangswirkung könne den Tatbestand der Nötigung erfüllen, so das Bundesverfassungsgericht.
Nach dem Tod der Fahrradfahrerin in Berlin wird auch diskutiert, ob diese Straßenblockaden unter Umständen eine fahrlässige Tötung oder sogar Totschlag sein könnten. Schließlich hätten die Blockierenden wissen müssen, dass Rettungswagen zu spät kommen könnten, wenn sie in dem mutwillig herbeigeführten Stau stecken bleiben. Wer das billigend in Kauf nehme, handle vorsätzlich.
Mit dieser Problematik hat sich der frühere Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, auseinandergesetzt.
Der Nachweis dieses bedingten Vorsatzes sei alles andere als einfach. Fischer weist auch darauf hin, dass die Fragen und Probleme des bedingten Schädigungsvorsatzes nicht meinungs- oder zielgruppenspezifisch seien. Gleiche rechtliche Konsequenzen müssten „für Klimaaktivisten wie für Zweite-Reihe Parker, Verursacher fehlender Rettungsgassen oder Karnevalisten“ gezogen werden.
Kein Schaden, keine Sachbeschädigung
Noch größere Aufmerksamkeit als die Straßenblockaden hat die Kartoffelbrei-Attacke auf ein Bild von Monet im Museum Barberini in Berlin gefunden. Erste Schlagzeilen hatten nahegelegt, dass das Bild selbst beschädigt worden sei. Die Aktivist:innen von #LastGeneration hatten sich beeilt, darauf hinzuweisen, dass das Bild ja hinter Glas gewesen sei. Niemals hätten sie den Monet beschädigen wollen. Das Glas abwischen und fertig – kein Schaden, keine Sachbeschädigung, hieß es.
Der Verband der Restauratoren (VDR) hat in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass Schäden an den Bilderrahmen „und teils auch an den Werken“ entstanden seien.
Man müsse wissen, „dass Verglasungen nicht zwangsläufig komplett dicht sind, Flüssigkeiten in die Ritzen eindringen und mit dem Bildträger und den Malschichten in Berührung kommen können.“ Auch die Rahmen seien wertvoll. „Vor allem wenn sie aus der Zeit des Kunstwerks selbst stammen, sind sie wichtiger Bestandteil des Werks.“
Fest stehe: „Die Restaurierungen binden kostbare Ressourcen der Restaurator:innen sowie der Museen, die sinnvoller einzusetzen wären, beispielsweise für den Klimaschutz.“ Für die Ausstellungshäuser entstehe ein langfristiger Schaden, ganz unabhängig davon, ob ein Kunstwerk tatsächlich Schaden genommen habe. Vermehrte Sicherheitsaufwendungen würden nötig. Leihgeber:innen könnten ihre Werke zurückfordern.
„Die Attacken auf Kunstwerke sind grundsätzlich der falsche Weg“, sagen die Restaurator:innen. „Die Schönheit unserer Welt ist nicht zu bewahren, indem schöne Kunstwerke angegriffen werden. Das geht auf Kosten unseres Kulturgutes, das ebenso schützenswert ist, wie unsere Umwelt.“
Die Gruppe #LastGeneration will darauf aufmerksam machen, dass der Staat immer noch viel zu wenig gegen den Klimawandel unternehme. „Wir sind die letzte Generation, die den Kollaps unserer Gesellschaft noch aufhalten kann.“
Die Frage ist, ob ihre Methoden einen sinnvollen Beitrag dazu leisten, dieses Ziel zu erreichen. Meinungsumfragen zeigen eher das Gegenteil.
„Hat sich Ihre Einstellung gegenüber der Klimaschutzbewegung durch die jüngsten Aktionen zivilen Ungehorsams (zum Beispiel das Beschmieren von Gemälden) eher verbessert oder verschlechtert?“ Die Auswertung der Civey-Umfrage von 5.003 Befragten ergab, dass sich für 63 Prozent der Deutschen die eigene Einstellung gegenüber der Klimaschutzbewegung „eindeutig verschlechtert hat. Für 12 Prozent hat sie sich „eher verschlechtert“. Nur für insgesamt sechs Prozent hat sich die Meinung eher oder eindeutig verbessert, für 18 Prozent ist sie gleichgeblieben.
Es muss um Lösungen gehen
Der Umbau unserer Industriegesellschaft zu Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität „wird nicht funktionieren als Party, zu der nur Linke eingeladen sind“, sagt Sven Hillenkamp von Scientists for Future auf Twitter.Es werde nicht so funktionieren, „dass die gesellschaftliche Linke sich am Ende in allen Punkten gegen Liberale und Konservative durchgesetzt haben wird.“
Die Klimabewegung müsse sich von der „Aufklärungsillusion“ verabschieden. Es brauche nicht nur immer mehr Informationen zur Klimakatastrophe, „immer mehr Aktionen, immer mehr ‚Aufrütteln‘“.
Um mehr Menschen davon zu überzeugen, dass der Übergang möglich ist, „müssen Protestbewegung, NGOs und Medienberichterstattung jetzt – nicht ausschließlich, aber weitgehend – umschalten von problembezogener zu lösungsbezogener Kommunikation.“
Der Staat könne keine starke Rolle im Übergang spielen, „wenn viele Menschen Angst vor einer ‚politisch korrekten Verhaltens- und Ökodiktatur‘ haben und fürchten, alles sei nur ein Vorwand, um antikapitalistische, asketische oder woke Utopien zu verwirklichen.“
Klimaschutz darf nicht in Rechts-Links-Schemata abdriften, wenn er erfolgreich sein soll. Alle werden gebraucht.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat das erkannt und deshalb Straßenblockaden und die Attacken gegen Kunstwerke durch die #LastGeneration deutlich kritisiert. Mit solchen Aktionen breche man den benötigten Konsens für den Klimaschutz auf. „Das schadet der Sache“, sagte er.
Ich finde, Habeck hat Recht, und wünsche Ihnen eine gute Woche.
Herzliche Grüße
Ihr Ruprecht Polenz
Diese Kolumne teilen und RUMS weiterempfehlen
Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
Ihnen gefällt dieser Beitrag?
Wir haben Ihnen diesen Artikel kostenlos freigeschaltet. Doch das ist nur eine Ausnahme. Denn RUMS ist normalerweise kostenpflichtig (warum, lesen Sie hier).
Mit einem Abo bekommen Sie:
- 2x pro Woche unsere Briefe per E-Mail, dazu sonntags eine Kolumne von wechselnden Autor:innen
- vollen Zugriff auf alle Beiträge, Reportagen und Briefe auf der Website
- Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen: Die ersten 6 Monate zahlen Sie nur einen Euro.
Wir freuen uns sehr, wenn wir Sie ab heute in der RUMS-Community begrüßen dürfen!
Sie möchten dieses Thema mit anderen Leser:innen diskutieren oder uns Hinweise geben
Nutzen Sie einfach unsere Kommentarfunktion unterhalb dieses Textes. Wenn Sie diese Kolumne gerade als E-Mail lesen, klicken Sie auf den folgenden Link, um den Text auf unserer Website aufzurufen:
diese Kolumne kommentieren