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Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Wir brauchen einen starken Staat
einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.
Guten Tag,
„Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch endlich wieder ruhiger“, hat Karl Valentin gesagt. Familientreffen über Weihnachten bereiten nicht nur Freude, sondern können auch ganz schön anstrengend sein. Der familiäre Ausnahmezustand ist aufgehoben. Das Büro hat uns wieder.
Allerdings bebt die Silvesternacht wegen der gewaltsamen Auseinandersetzungen noch nach. Sanitäter:innen, Feuerwehrleute, Polizistinnen und Polizisten wurden mit Feuerwerksraketen beschossen und mit Böllern attackiert, in Hinterhalte gelockt und mit Flaschen und Steinen beworfen. Es gab Straßenbarrikaden und brennende Autos.
Besonders heftig waren die Ausschreitungen in Berlin. Aber auch in Hagen, Essen, Gelsenkirchen, Duisburg und Bonn kam es zu massiver Gewalt auf den Straßen. Dagegen gab es „keine Tumultlagen in Paderborn, Münster, im Sauerland oder in Südwestfalen, dafür aber in oft schon einschlägig bekannten Vierteln, nicht nur von Städten im Ruhrgebiet“, berichtete die FAZ aus Sicherheitskreisen in Nordrhein-Westfalen.
Während sie in ihrer Überschrift noch fragte: „Hängt die Gewalt mit gescheiterter Integration zusammen?“, war sich die Neue Zürcher Zeitung schon sicher.
„Silvester in Deutschland – Die Gewalt hat einen Migrationshintergrund“ überschrieb sie einen Kommentar und spiegelte damit eine politische Diskussion wider, die seit Neujahr in Deutschland geführt wird.
Kulturpolitisch kurzgeschlossen
Im Handumdrehen ist aus einer überfälligen Debatte über Gewalt und Staatsverachtung eine Migrationsdebatte geworden. Ganz so, als würden Rettungskräfte nicht auch beim Alltagseinsatz beleidigt und angegriffen. Als gäbe es keine Gewalt von Hooligans und keine sogenannten Hochrisikospiele im Fußball. Als hätte es keine Angriffe gegen Medienschaffende oder Polizeikräfte bei den Aufmärschen von Impfgegner:innen und Querdenker:innen gegeben. Die regelmäßigen Ausschreitungen sogenannter Autonomer am 1. Mai werden ebenso ausgeblendet wie Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte durch Rechtsextremisten.
Die Diskussion wird kulturpolitisch kurzgeschlossen. Die sozialen Gründe für die gewalttätigen Ausschreitungen bleiben ausgeschlossen.
Statt die Silvesternacht zum Anlass zu nehmen, sich umfassend mit Gewaltprävention zu beschäftigen, fixieren wir uns auf eine Gruppe, stellen sie mehr oder weniger unter Generalverdacht – und wundern uns, warum viele Eingewanderte und Eingebürgerte sich in Deutschland nicht so richtig zu Hause fühlen.
Christoph de Vries, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Landesvorsitzender der CDU Hamburg, twitterte:
„Wenn wir Krawalle in unseren Großstädten, Verachtung gegenüber dem Staat und Übergriffe gegen #Polizisten und #Feuerwehrleute wirklich bekämpfen wollen, müssen wir auch über die Rolle von Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp, sprechen. Um es korrekt zu sagen.“
Warum ist es so schwierig, über die Ausschreitungen so zu sprechen, dass ohne falsche Rücksicht alles benannt wird, ohne gleichzeitig Ressentiments zu schüren?
Wenn typisieren, dann richtig
Man kann Merkmale angeben, die auf die allermeisten zutreffen, die in der Silvesternacht Straftaten begangen haben. Aber wenn man typisieren will, sollte man eben nicht mit der Einwanderungsgeschichte anfangen, so, als wäre Gewalt nicht auch ein Problem bei Einheimischen.
Was trifft auf die Straftäter der Silvesternacht zu?
- Männer
- jung
- alkoholisiert
- aus sozialen Brennpunkten
- schwache Bildung
- problematische Familien
- prekäre Beschäftigung
- schlechte Wohnsituation
- Einwanderungsgeschichte
„Dass Silvester so gewalttätig war, reiht sich ein in einen Anstieg der Gewalt in der gesamten Gesellschaft“, sagt Andreas Zick, Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.
Mehr oder weniger verklausulierte pauschale Schuldzuweisungen an Menschen mit Migrationshintergrund „beleidigen Millionen von Menschen, die sich als Einwanderer verstehen.“ Außerdem werde ausgeblendet, „wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte selbst in den Rettungsdienst- und Polizeidienststellen arbeiten und ebenfalls Opfer sind.“ Es gibt keine Kultur, in der es dazu gehört, Feuerwehr oder Rettungskräfte anzugreifen.
Die Gesetze sind ausreichend
Wir brauchen einen starken Staat. Strafbare Gewalt bekämpft und ächtet man nicht dadurch, dass man nach tatsächlichen oder vermeintlichen Gruppenzugehörigkeiten oder den Motiven der Täter:innen differenziert, sondern indem man sie festnimmt, vor Gericht stellt und die Gesetze anwendet.
Die Gesetze sind völlig ausreichend, um gegen solche Krawalle wie in der Silvesternacht wirksam vorzugehen. Man muss sie nur anwenden. Es hapert beim Vollzug. Dafür müssen Polizei und Justiz entsprechend ausgestattet werden. Zuständig dafür sind die Bundesländer.
Gleichzeitig brauchen wir eine umfassende Strategie für soziale Brennpunkte, um der Gewalt vorbeugend entgegenzuwirken: aufsuchende Sozialarbeit, unterstützende Jugendhilfe, Förderunterricht, Sportangebote. Eine Stadtplanung, die für soziale Durchmischung sorgt und Schulen, die nicht nur Kenntnisse, sondern auch Haltungen und Einstellungen vermitteln, gehören auch dazu.
Für 2023 wünsche ich Ihnen Gesundheit, Freude und alles Gute.
Ihr Ruprecht Polenz
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Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
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