Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Musik-Campus: Wer stehen bleibt, fällt um

Porträt von Ruprecht Polenz
Mit Ruprecht Polenz

einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen. Bei dem trüben Novemberwetter ist es zu Hause besonders gemütlich. Zeit für ein gutes Buch – oder eben für die RUMS-Kolumne am Sonntag.

Die Stadt Münster wird keinen Konzertsaal bekommen. Das steht seit Mittwoch fest, obwohl Grüne und FDP wortreich das Gegenteil behaupten. Die Musik-Campus-Idee ist durch den Antrag von Grünen, SPD, Volt und FDP in der letzten Ratssitzung endgültig beerdigt worden.

„Ein so ambitioniertes Projekt wie der Musik-Campus kommt nur, wenn man es wirklich will“, hatte Uni-Rektor Johannes Wessels noch kurz vor der Ratssitzung vergeblich an die vier Fraktionen appelliert. „Die 20 Millionen Euro des Bundes werden nur dann kommen, wenn das Gesamtprojekt realisiert wird. Das Geld kann nicht in den Neubau der Musikschule fließen“, hatte er den Westfälischen Nachrichten gesagt.

Wessels machte unmissverständlich deutlich, dass auch die Uni Konsequenzen ziehen werde: „Auch die 20 Millionen Euro, die wir als Universität investieren wollen, stehen nur zur Verfügung, wenn das Gesamtkonzept umgesetzt wird. Das gilt auch für alle weiteren Drittmittel“, sagte er.

Es war gerade dieser Dreiklang von Musikhochschule, städtischer Musikschule und Konzertsaal, der dem Projekt Schwung und finanzielle Unterstützung von Land und Bund eintragen sollte. Jetzt wurde der Konzertsaal abgehängt. Nur die Musikhochschule und die städtische Musikschule bleiben übrig. Der Konzertsaal soll nur dann gebaut werden, wenn er vollständig aus Spenden finanziert ist.

Konstruktionsfehler des Musik-Campus

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Stadt Münster kann sich einen Konzertsaal nur leisten, wenn er ihr komplett geschenkt wird. Als wäre die Förderung von Kultur keine städtische Aufgabe.

Von Anfang an lag hier ein Konstruktionsfehler des Musik-Campus, für den vor allem Grüne und FDP die Verantwortung tragen. Beide Fraktionen finden einen Konzertsaal überflüssig und waren nur bereit, die bisherigen Ratsvorlagen für den Musik-Campus mitzutragen, wenn kein Cent städtisches Geld für den Konzertsaal verwendet werden würde.

Sie warfen mit immer neuen Prüfaufträgen Sand ins Getriebe der Ratsvorlagen, die den Musik-Campus voranbringen sollten. Aus dem Sand ist mittlerweile eine veritable Düne geworden, in der das Projekt endgültig stecken geblieben ist.

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Es grenzt an ein Wunder, dass sich angesichts dieser Ignoranz überhaupt Menschen gefunden haben, die viele Millionen für den Konzertsaal spenden wollen. Der Ratsbeschluss vom Mittwoch muss auf sie wie ein Schlag ins Gesicht wirken, macht er doch das Desinteresse der Ratsmehrheit überdeutlich. Ich würde mich nicht wundern, wenn bisher gemachte Spendenzusagen jetzt zurückgenommen würden.

Normalerweise ist es ein starkes Signal bürgerschaftlichen Engagements, wenn die Bereitschaft besteht, dafür sogar eigenes Geld in die Hand zu nehmen. Jede Stadt ist gut beraten, das aufzugreifen und zu fördern. Spendenprojekte werden erfolgreich, wenn die Stadt zusagt, den doppelten Betrag dazuzugeben.

Stattdessen tun SPD, Grüne, Volt und FDP so, als handle es sich bei den Spenden um eine Art aufgedrängter Bereicherung, die man gnädigerweise nicht ablehne. Natürlich kann man über Prioritäten streiten. Man kann anderes für dringlicher halten, als einen Konzertsaal. Kultur steht immer in der Gefahr, hinter anderen Aufgaben zurückzustehen.

Der Rat hätte 1950, nur fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nicht beschlossen, ein Stadttheater zu bauen, wenn damals SPD, Grüne, Volt und FDP über kommunalpolitische Prioritäten entschieden hätten.

Debatte darüber, was Münster sein will

Damals fehlten Klassenzimmer und Turnhallen. Die Stadt war noch zerbombt. Die Weitsicht des damaligen Rates hat Münster 1956 nicht nur einen kulturellen Leuchtturm beschert, sondern auch ein weit über die Stadtgrenzen hinaus beachtetes architektonisches Wahrzeichen, das für den Wiederaufbauwillen sprach und zeigte, in welchem Geist Münster neu erstehen wollte.

Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben. Die letzten bedeutsamen Kulturbauten stammen aus dem 1.200-jährigen Stadtjubiläum 1993: Stadtbücherei und Stadtmuseum. Das Angebot des weltberühmten Künstlers Gerhard Richter, der Stadt ein Kunstwerk zu schenken, führte 2018 immerhin noch zum Umbau der Dominikanerkirche für das Foucaultsche Pendel. Man kann von Glück reden, dass SPD, Grüne, Volt und FDP damals nicht verlangt hatten, dass Richter auch noch den Kirchenumbau finanzieren solle.

Es fehlt eine öffentliche Debatte darüber, was Münster sein will. Eine Stadt mit Ausstrahlung auch über die Stadtgrenzen hinaus, die kulturell, sportlich und wirtschaftlich das hat, was man in Steinfurt, Warendorf, Coesfeld oder Borken nicht finden kann? Eine Stadt, die über das Münsterland hinaus attraktiv ist, weil sie ein Niveau zum Leben bietet, das auch mit Bremen, Dortmund oder Essen mithalten kann? Oder eine selbstgefällige Stadt, die sich auf vergangenen Lorbeeren ausruht?

Die Spender:innen für den Konzertsaal wollen mehr. Private Investoren, die in den vergangenen Jahren in Münster an der Ostseite des Bahnhofs oder im Hafen investiert haben, wollen mehr. Startups und unternehmerische Ausgründungen aus Universität und Fachhochschule wollen mehr. Kaufleute und die Innenstadt-Initiative wollen mehr.

Aber die Stadt selbst muss auch etwas für ihre Ausstrahlung tun. Statt dafür Prioritäten zu setzen, verliert sich die öffentliche Debatte in Straßenumbenennungen, dem Aufstellen von Fahrradständern und dem Wegfall von Parkplätzen am Domplatz. Alles überschaulich. Alles leicht zu verstehen. Alles klein-klein. Zum großen Wurf fehlt der Mut, weil gar nicht darüber diskutiert wird, wie weit man werfen könnte.

Die emsige Geschäftigkeit der Ratsmehrheit führt zu Lethargie. Höchste Zeit, dass die Ratspolitik aus ihrem Hamsterrad herausfindet und wieder Strecke macht. Es ist für Städte wie beim Fahrradfahren: Wer stehen bleibt, fällt um.

Ich wünsche Ihnen trotzdem einen gemütlichen Sonntag.

Herzliche Grüße
Ihr Ruprecht Polenz

Porträt von Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz

Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.

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