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Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Putins politisches Puppentheater
Guten Tag,
einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen.
Mein Blick in die kommende Woche geht nach Russland.
Vom kommenden Freitag bis Sonntag werden die Russinnen und Russen Wladimir Wladimirowitsch Putin als ihren Diktator bestätigen. Ich scheue mich, von ihm als Präsidenten zu sprechen. Denn man kann klarer sagen, was er ist. Es sollte sich auch inzwischen herumgesprochen haben, dass es vom 15. bis 17. März keine Wahlen sind, obwohl das Regime nicht müde wird, so zu tun, als ob.
Dass unsere Medien bis zur Tagesschau weiter vom russischen Präsidenten sprechen, ganz so, als sei die Rede von Macron oder Biden, finde ich problematisch. Denn dieses Schönsprech trägt dazu bei, das gegenwärtige Russland nicht so zu sehen, wie es ist.
Man kann ja schon froh sein, wenn bei Wahlen noch ein Zusatz kommt wie „sogenannt“ oder „angeblich“. Ich finde, es hat wenig mit gutem Journalismus zu tun, sondern ist eher fahrlässige Irreführung, wenn offensichtlich angemaßte Selbstbezeichnungen diktatorischer Regime unkritisch übernommen werden.
Nein, die Meinungsumfragen, wonach Putin von 70 und mehr Prozent der russischen Bevölkerung unterstützt wird, sprechen nicht dagegen, dass er ein Diktator ist. Denn ob es sich um eine Diktatur handelt oder nicht, bemisst sich nicht nach Meinungsumfragen, sondern daran, ob und wie staatliche Herrschaft kontrolliert wird.
Kalkulierter Mord auf Raten
„Die Usurpation der Macht durch das Regime ist umfassend. Es herrscht Kriegszensur. Politischer Wettbewerb wird nicht einmal simuliert. Der Tod Alexej Navalnys hat die Atmosphäre der Angst, in der die Abstimmung stattfindet, verstärkt“, schreibt die Russlandexpertin Sabine Fischer vom Think Tank Stiftung Wissenschaft und Politik.
Nawalny wurde von Putin ermordet mit Beihilfe von russischen Staatsanwälten, Richtern und Gefängniswärtern. Seine von Putin angeordneten Haftbedingungen, die ständig weiter verschlechtert wurden, konnte niemand überleben. Es war ein kalkulierter Mord auf Raten. Nawalnys Mut wird unvergessen bleiben. Für seinen Traum eines demokratischen, der Menschenwürde verpflichteten Russlands mit Parlament, unabhängiger Justiz und Pressefreiheit, hat er sein Leben riskiert und verloren.
Die Blumenberge auf seinem Grab verwelken langsam. Aber die Erinnerung an ihn wird in der russischen Geschichte lebendig bleiben. Allen Versuchen des gegenwärtigen Regimes zum Trotz, das ihn einfach verschwinden lassen möchte, so, als hätte er nie gelebt. Die Menschen standen kilometerlang Schlange, um sich an seinem Grab von ihm zu verabschieden.
Russland ist heute „eine Diktatur mit totalitären und faschistischen Tendenzen“, schreibt Sabine Fischer.
„Ihr dominantes Propaganda-Narrativ, das mit der Zeit zu einer Quasi-Ideologie heranwuchs, ist eine Mischung von Ultrakonservatismus, Imperialismus, Antiamerikanismus, Chauvinismus, Illiberalismus und Antifeminismus.“
Russland hat Menschenrechts-Organisationen zu „ausländischen Agenten“ erklärt. Auch Memorial, gegründet vom Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow, muss sich seit Dezember 2021 selbst in allen Verlautbarungen als ausländischer Agent bezeichnen.
Das klingt schon für unsere Ohren sehr negativ. In Russland erinnert „ausländischer Agent“ an die Stalin-Zeit mit ihren Schauprozessen und Todesurteilen. Heute soll die erzwungene Selbstbezeichnung als „ausländischer Agent“ von Kontakten abschrecken und die Arbeit zunehmend unmöglich machen. Das Gesetz gilt seit 2012 und ist 2019 verschärft worden. Mittlerweile fallen mehr als 100 Medienorganisationen und Persönlichkeiten in Russland unter das Ausländische-Agenten-Gesetz.
Seit 2015 gibt es außerdem ein Gesetz über „unerwünschte Organisationen in Russland“.
Wenn eine Organisation durch die russische Regierung auf diese Liste gesetzt wird, muss sie ihre Tätigkeit in Russland sofort einstellen. Ihre Konten und ihr Eigentum werden blockiert, ihre Vertretungen geschlossen. Für Russinnen und Russen wird es ein erhebliches Risiko, mit den gelisteten Organisationen, die als Feinde Russlands abgestempelt wurden, weiter zusammenzuarbeiten. Eine Übersicht über die „unerwünschten Organisationen“, zu denen auch Greenpeace und der World Wildlife Fund (WWF) gehören, finden Sie hier.
Die Zusammenarbeit mit „Unerwünschten“ bedeutet nicht nur Stigmatisierung, sondern kann auch zur Kriminalisierung führen, bis hin zu mehrjährigen Haftstrafen.
Das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOIS) und das Akademische Netzwerk Osteuropa (akno e.V.) wurden schon vor einiger Zeit zu unerwünschten Organisationen erklärt. Seit letzter Woche gehört auch die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) dazu, deren Präsident ich seit 2013 bin.
Auch die DGO-Zweigstelle an der Universität Münster ist davon betroffen, die von Ricarda Vulpius (Abteilung für Osteuropäische Geschichte) und von Irina Wachendorff (Institut für Slawistik) geleitet wird. Die DGO wird sorgfältig prüfen, was das für ihre Arbeit heißt und Vorsorge treffen, dass niemand gefährdet wird.
Geldstrafen und Haftstrafen
Denn russische Staatsangehörige machen sich strafbar, wenn sie mit der DGO zusammenarbeiten. Das gilt auch für die Teilnahme an Veranstaltungen oder die Mitwirkung an Publikationen. Es drohen Geldstrafen und im Wiederholungsfall Haftstrafen von bis zu sechs Jahren.
Russland will die Wissenschaftsfreiheit weiter einschränken. Aber die DGO wird sich nicht beirren lassen, für Wissenschaftsfreiheit auch in Russland einzutreten und die Osteuropa-Forschung nach Kräften zu fördern. Dazu gehört auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den aktuellen Verhältnissen in Russland.
Gemessen an dem Leid, das der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine für Millionen von Menschen bedeutet, fallen diese Freiheitseinschränkungen kaum ins Gewicht. Aber sie passen dazu. Man muss sie einbeziehen, damit man weiß, mit welchem Russland wir es zu tun haben.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche.
Herzliche Grüße
Ihr Ruprecht Polenz
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Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
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