- Newsletter
- Kolumnen
- Kolumne von Ruprecht Polenz
Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Ist Rückkehr die Lösung?

Guten Tag,
einen schönen Sonntag wünsche ich Ihnen, Gesundheit, alles Gute und viel Freude im neuen Jahr.
Wenn ich auf Russland, China, die USA unter Musk und Trump oder die innere Verfassung der EU schaue, sehe ich 2025 mit großen Sorgen entgegen. Aber darüber will ich heute nicht schreiben.
Stattdessen soll es um etwas gehen, worauf wir in Deutschland wirklich stolz sein können. Unser Land hat seit 2015 etwa eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Zig Tausende Deutsche haben sich persönlich engagiert, um diesen Menschen dabei zu helfen, sich in Deutschland zurechtzufinden und integrieren zu können.
Das ist in weiten Teilen gelungen – eine große humanitäre Leistung, die uns weltweit Anerkennung eingebracht hat. Wer sich genauer informieren will, sollte sich diese Übersicht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung über syrische Arbeitskräfte in Deutschland ansehen.
Ich möchte Ihnen Georg Al Bitar aus Münster vorstellen. Er ist seit dem 26. Juni 2024 Deutscher. 2016 ist er aus Syrien nach Deutschland geflohen. Er war damals 17 Jahre alt, seine Eltern waren schon vorher nach Deutschland geflohen.
„Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte.“ Wie alle, die die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, hat Georg Al Bitar dieses Bekenntnis beim Einbürgerungstermin im Münsteraner Rathaus abgelegt.
Er hatte schnell Deutsch gelernt. Das musste er unter anderem mit einem Sprachtest nachweisen, um die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen zu können. Wegen sehr guter schulischer Leistungen bekam er einen Studienplatz in Medizin.
Er habe sich schon lange zugehörig gefühlt, erzählte der heute 26-Jährige Ende Juni 2024 dem WDR. „Aber die deutsche Staatsbürgerschaft ändert dieses Gefühl noch einmal sehr.“
Georg durfte nach dem neuen Einbürgerungsgesetz die syrische Staatsangehörigkeit behalten. Das erspart viel Bürokratie und zusätzliche Kosten.
So wie Georg Al Bitar haben seit 2015 über 163.000 Menschen aus Syrien die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Dabei ist die Zahl der Einbürgerungen seit 2021 stark gestiegen, nicht zuletzt, weil inzwischen immer mehr Geflüchtete die strengen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen. Allein 2023 wurden über 75.000 Syrerinnen und Syrer eingebürgert, die damit die größte Gruppe unter den neu Eingebürgerten sind.
Sie alle sprechen gut Deutsch, leben nicht von Bürgergeld oder anderen Sozialleistungen, sondern können ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten.
Als deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind sie von der Diskussion nicht betroffen, die nach dem Sturz des Kriegsverbrechers Bashar Al Assad in Deutschland eingesetzt hat und jetzt im Bundestagswahlkampf verschärft geführt wird.
Kaum war Assad nach Moskau geflohen und außer Landes, forderten nicht nur Politiker der AfD, sondern auch aus CDU, CSU, FDP und SPD, dass geflüchtete Syrer jetzt wieder in ihre Heimat zurückkehren müssten.
Sie übersehen dabei Zweierlei: Zum einen ist die Lage in Syrien noch sehr gefährlich und unklar. Niemand weiß, ob es dem neuen Regime gelingt, das geschundene Land zu stabilisieren. Eine Herkules-Aufgabe nach den Gräueln des Bürgerkriegs, der viele offene Rechnungen hinterlassen hat. Multiethnisch und multireligiös zusammengesetzt ist Syrien ohnehin ein von tiefen Konflikten durchzogenes Land.
Welche Ziele die neuen Machthaber verfolgen und welche Methoden sie anwenden werden, ist noch nicht wirklich deutlich. Offen ist auch, ob sich die Nachbarn Türkei, Israel und Iran weiter in Syrien einmischen werden.
Zum Zweiten würde die Knappheit an Arbeitskräften in einigen Sektoren verschärft, wenn die bislang noch nicht eingebürgerten, aber trotzdem gut integrierten Syrerinnen und Syrer Deutschland kurzfristig verlassen müssten.
Im September 2024 waren 287.000 syrische Staatsbürger beschäftigt, davon 82 Prozent sozialversicherungspflichtig. „Ein Wegfall dieses Potenzials durch Rückkehrmigration wäre zwar auf gesamtwirtschaftlicher Ebene nicht dramatisch, könnte aber regional und branchenspezifisch durchaus spürbare Auswirkungen haben – insbesondere in jenen Branchen, Tätigkeitsfeldern und Regionen, die bereits heute unter Arbeitskräftemangel leiden“, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Weil niemand derzeit sagen kann, in welche Richtung sich die Verhältnisse in Syrien entwickeln, sollte Deutschland jetzt nicht auf möglichst schnelle Rückkehr drängen, sondern seine Integrationsbemühungen fortsetzen. Der Zeitverlauf seit 2015 zeigt, dass sie von Jahr zu Jahr erfolgreicher werden.
Wir sollten Vertrauen haben
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Flüchtlinge von sich aus in die alte Heimat zurückkehren, wenn sie die Hoffnung haben, dass es dort aufwärts geht. So kehrten 2002 nach der Niederlage der Taliban Millionen afghanischer Flüchtlinge freiwillig nach Afghanistan zurück. Das änderte sich, als sich 2006 die Sicherheitslage wieder verschlechterte.
Auch nach dem Ende der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 90er-Jahren kehrten viele der 400.000 Flüchtlinge freiwillig wieder zurück, die Deutschland zwischen 1991 und 1995 aufgenommen hatte.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass es nach dem Kriegsende im Kosovo die internationale Schutztruppe KFOR war, die darum bat, jetzt nicht sofort alle Flüchtlinge ins Kosovo zurückzuschicken. Angesichts einer Arbeitslosenquote von über 60 Prozent sei das Land mit der Aufnahme so vieler Menschen hoffnungslos überfordert. Man hat seinerzeit auf KFOR gehört.
Jetzt auf eine schnellere Rückkehr nach Syrien zu bestehen, hieße, dass viele Syrerinnen und Syrer, die auf einem guten Weg sind, auf eigenen Füßen zu stehen und sich gut zu integrieren, mit diesen Anstrengungen aufhören würden – obwohl es noch Jahre bis zu ihrer tatsächlichen Rückkehr dauern könnte.
Stattdessen sollten wir darauf vertrauen, dass die Geflüchteten, wie in der Vergangenheit, in ihre Heimat zurückkehren, sobald sie eine Chance sehen, ihre Existenz dort wieder aufzubauen. Bis dahin sollten wir ihnen wie bisher das Gefühl geben, dass sie in Deutschland sicher leben können.
Ich wünsche Ihnen eine frohe Woche und alles Gute für 2025.
Herzliche Grüße
Ihr Ruprecht Polenz
Diese Kolumne teilen und RUMS weiterempfehlen

Ruprecht Polenz
Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
Ihnen gefällt dieser Beitrag?
Wir haben Ihnen diesen Artikel kostenlos freigeschaltet. Doch das ist nur eine Ausnahme. Denn RUMS ist normalerweise kostenpflichtig (warum, lesen Sie hier).
Mit einem Abo bekommen Sie:
- 2x pro Woche unsere Briefe per E-Mail, dazu sonntags eine Kolumne von wechselnden Autor:innen
- vollen Zugriff auf alle Beiträge, Reportagen und Briefe auf der Website
- Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen: Die ersten 6 Monate zahlen Sie nur einen Euro.
Wir freuen uns sehr, wenn wir Sie ab heute in der RUMS-Community begrüßen dürfen!
Sie möchten dieses Thema mit anderen Leser:innen diskutieren oder uns Hinweise geben
Nutzen Sie einfach unsere Kommentarfunktion unterhalb dieses Textes. Wenn Sie diese Kolumne gerade als E-Mail lesen, klicken Sie auf den folgenden Link, um den Text auf unserer Website aufzurufen:
diese Kolumne kommentieren