Ruprecht Polenz’ Kolumne | Zum Einig-Sein mit meiner Stadt gehört mehr, als gut essen und shoppen zu können

Porträt von Ruprecht Polenz
Mit Ruprecht Polenz

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.

Münster ist eine Stadt, in der man sein Wochenende genießen kann, selbst in den Abstands-Zeiten von Corona. Ich will jetzt keine Ausstellung empfehlen, auch keine Pättkes-Touren oder Restaurants. Ich möchte darüber sprechen, was für mich dazugehört, um mit der Stadt einig zu sein, in der ich lebe.

In Münster sind das zum Beispiel die Chancen, die unsere Kitas, Schulen und Hochschulen unseren Kindern und Enkeln eröffnen, damit diese sich gut auf das spätere Berufsleben vorbereiten können. Es sind die vielen Initiativen, Vereine und Treffpunkte, die Menschen zusammenbringen und so großstädtischer Anonymität entgegenwirken. Und es sind die Nachbarn und die vielen, die sich ehrenamtlich engagieren, damit beim Zusammenleben möglichst niemand vergessen wird.

Zu den Lebenschancen, die eine Stadt bietet, gehört auch das Gesundheitswesen. Ich habe nicht erst in Corona-Zeiten gedacht, dass wir froh darüber sein dürfen, in einer Stadt zu leben, die so exzellent versorgt ist.

Ein weiterer Punkt ist der Wohnungsmarkt. Auch wenn dieser sehr angespannt ist, kommt Münster gut voran, möglichst alle mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. „In einigen Städten in Nordrhein-Westfalen wird der Wohnraum knapp. Das Land gibt zwar Geld, um den Mangel zu beheben. Aber vielerorts fehlt es an einem Konzept. Die Stadt Münster zeigt, dass es auch anders gehen kann“, schrieb die Welt vor kurzem.

Zur Verantwortung einer Stadt gehört auch, dass sie schonend mit der Natur umgeht, nachhaltiges Wirtschaften fördert (und selbst praktiziert), die Weichen Richtung umweltgerechter Mobilität stellt und eine ambitionierte Klimapolitik betreibt, um ihren Beitrag zu leisten, damit die Erderhitzung begrenzt werden kann.

Verantwortliche Kommunalpolitik macht eben nicht an den Stadtgrenzen in Amelsbüren oder Gelmer halt. Sie reicht auch über das Münsterland hinaus.

Die offene Stadt

Für mein Münster-Gefühl ist ebenfalls wichtig, wie sich die Stadt ihrer Verantwortung für Schwache stellt. Für Schwache, die mit uns zusammenleben, aber auch für Schwache, die anderswo in Not geraten sind. Damit bin ich bei den Flüchtlingen.

Münster hat eine lange und gute Tradition, Flüchtlinge aufzunehmen, ihnen Zuflucht zu bieten und sie in die Stadtgesellschaft zu integrieren. Als 1978 die Boat People aus Vietnam von der Cap Anamur gerettet wurden, erklärte sich Münster als eine der ersten Städte dazu bereit, 100 von ihnen über das zugewiesene Kontingent hinaus aufzunehmen. Das geschah in einem parteiübergreifenden Konsens, der in der Flüchtlingspolitik bis heute anhält.

Diese politische Übereinstimmung half sehr, als Anfang der 90er-Jahre die Flüchtlinge vor den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien auch nach Deutschland drängten. Münster hat seinerzeit über 6000 Flüchtlinge aufgenommen, mehr übrigens als jetzt. Dabei stieß die Stadt oft an ihre Grenzen. Vorübergehend mussten sogar Hotels angemietet werden, um die mal 50, mal 80 Frauen, Männer und Kinder unterzubringen, die am Freitagnachmittag ohne längerfristige Ankündigung mit dem Bus aus dem Aufnahmelager Unna-Massen nach Münster gebracht worden waren.

Damals wurde entschieden, die Flüchtlinge in Münster nicht wie anderswo in Massenunterkünften unterzubringen, sondern dezentral in kleineren Einrichtungen in den Stadtteilen.

Das ging nicht immer ohne Widerstand vor Ort. Aber die vielen Menschen, die sich dann um die Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft kümmerten, halfen sehr, die Konflikte zu mäßigen und zu überwinden. Dieses Flüchtlingskonzept der Stadt Münster fand deutschlandweit Anerkennung.

Münster war deshalb gut gerüstet, als es 2015 darum ging, syrische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. 2692 kamen allein im Jahr 2015. Die Gesamtzahl stieg später auf über 4000 an.

Im März dieses Jahres trat Münster dem Bündnis „Sichere Häfen“ bei, zu dem sich inzwischen 174 Städte zusammengeschlossen haben, weil sie bereit sind, aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufzunehmen.

Die Corona-Krise hatte das Elend der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln aus den Schlagzeilen verdrängt. Erst die Bilder des brennenden Lagers in Moria erinnerten die europäische und deutsche Öffentlichkeit wieder an ihre Verantwortung.

Münster ist bereit für mehr Flüchtlinge

Während Innenminister Seehofer in Berlin sich noch dagegen sperrte, ohne eine europäische Lösung Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, signalisierten Bundesländer wie NRW, Bayern oder Berlin, dass sie zur Aufnahme bereit seien.

Und Oberbürgermeister Markus Lewe erneuerte das Angebot an Bund und Land zur Aufnahme von Flüchtlingen, die zurzeit in Griechenland auf Hilfe warten: „Mehr als 12.000 Menschen sind seit dem Großbrand im Flüchtlingslager ,Moria’ auf Lesbos obdachlos, darunter Hunderte unbegleitete Minderjährige. Nicht länger zusehen, sondern handeln. Das ist ein Akt der Humanität. Wir stehen bereit.“

Das sind die Momente, in denen ich besonders gern in Münster lebe. Denn, wie gesagt, für mich gehört auch noch anderes dazu, als gut essen und shoppen zu können, damit ich mit einer Stadt einig bin.

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche – und bleiben Sie bitte vorsichtig wegen Corona.

Ihr
Ruprecht Polenz

Porträt von Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz

Viele Jahre lang war Ruprecht Polenz Mitglied des Rats der Stadt Münster, zuletzt als CDU-Fraktionsvorsitzender. Im Jahr 1994 ging er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin. Er war unter anderem CDU-Generalsekretär, zwischen 2005 und 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mitglied des ZDF-Fernsehrats, ab 2002 hatte er den Vorsitz. Der gebürtige Bautzener lebt seit seinem Jura-Studium in Münster. 2020 erhielt Polenz die Auszeichnung „Goldener Blogger“.

Die Kolumne

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