Der Preußen-Brief von Carsten Schulte | Ein leises Gefühl des Abschieds

Portrait von Carsten Schulte
Mit Carsten Schulte

Guten Tag,

Fußball tut manchmal weh. Das spüre ich auch Tage nach dem 0:1 in Düsseldorf noch intensiv. Sportclub Preußen Münster „nullfast“. Knapp daneben ist auch vorbei, wie schon Diogenes in seiner Tonne sagte – oder war es Franz Beckenbauer? Sei es drum, es spielt keine Rolle.

Sicher wird es ein Kratzen und Beißen bis zum letzten Spieltag dieser Saison, von der wir über 30 Jahre nur geträumt haben. Allerdings soll es bei diesem einzigen Generalseufzer bleiben. Stattdessen schaue ich auf Dinge, die nachweislich vorangehen. Das Stadion nämlich.

Vor 18 Tagen sorgte das Hellmich-Team auf der Stadionbaustelle für erhöhten Puls bei allen Preußen, weil es eine Reihe attraktiver betongrauer Säulen errichtete. Ein Monument des Fortschritts. Als kurz danach der erste Zahnbalken einschwebte, bekam das bisher eher theoretische Stadiongefühl eine sehr konkrete Note.

Zahnbalken: Auch so ein Wort, das sich in den kommenden Monaten und Jahren in den Sprachgebrauch einer ganzen Generation von Preußenfans einbrennen wird. Armierungen. Verschalungen. Vielleicht reicht’s irgendwann sogar für einen Nebenjob im Stadtplanungsamt.

Seit Beginn dieser Woche recken sich im Westen des Stadions sogar noch mächtigere Pfeiler gen Himmel. Man erahnt, was für eine Wucht hier einmal entstehen kann. Ist es etwa doch ein „Quantensprung“? So hatte der frühere Präsident Christoph Strässer das Ergebnis der Stadion-Verhandlungen im November 2018 im Stadthaus genannt.

Fußball ist eben auch wichtig

Damals musste der Klub mit etwas Zähneknirschen akzeptieren, dass seine Neubaupläne in oder außerhalb Münsters gescheitert waren. Bösensell, Nieberdingstraße, Hessenweg, Hafen, Nienberge: Luftschlösser überall. Lang lebe die Hammer Straße. Heute, an einem der sonnigen Tage im April, fühlt sich das alles richtiger an.

Ausnahmsweise hat sich der SC Preußen dabei das seltene Glück verdient, gute Argumente an der Hand zu haben. Nach dem Abstieg in die Regionalliga 2020 war das Gemaule nämlich schon wieder zu hören. Wozu braucht ein Viertligist ein neues Stadion? Gibt es nichts Wichtigeres? Na sicher, es gibt immer Wichtigeres.

Abo-Aktion RUMS+1

RUMS weiterempfehlen und schöne Prämien bekommen!

Segelboote mit roten Segeln und Seglern, die auf einem Gewässer fahren.

Das geht ganz einfach über unseren Button unten: persönlichen Link erstellen und an Ihren Freundes- und Bekanntenkreis schicken!

Als Dankeschön haben wir viele ganz besondere Prämien für Sie, unter anderem schenken wir Ihnen einen dreistündigen Segelkurs für 2 Personen auf dem Aasee mit der Yachtschule Overschmidt am 27. April 2025 um 10 Uhr. Sie haben bereits jemanden geworben und Ihnen gefällt diese Prämie? Dann schreiben Sie uns gern eine kurze E-Mail.

Alle, die RUMS über ihren persönlichen Link weiterempfehlen, kommen automatisch in unseren Prämien-Lostopf und haben so eine Chance auf eine unserer schönen Prämien. Und jede geworbene Person übrigens auch.

Machen Sie mit, wir freuen uns!

Aber Fußball ist eben auch wichtig. Der Fußball ist Teil der Gesellschaft, ein Ventil, ein Ort für den Professor neben dem Bauarbeiter. Er nimmt für eine bestimmte Zeitspanne die Unterschiede weg, das ist alles vielfach erklärt, sicher ein Klischee, aber eben auch real. Fußball ist nicht nur Big Business, nicht nur ein oberflächliches Geschäftsmodell. Für Menschen ist Fußball vor allem ein emotionaler Ankerpunkt. Zugegeben, das erschließt sich nicht automatisch, dazu muss man sich schon auf das Live-Erlebnis einlassen, das ist jedenfalls meine eigene Erfahrung.

Fußball war lange nicht mein Ding. Mir war nicht einmal klar, dass es in einer Stadt mehr als einen Fußballverein geben kann. Mich interessierten andere Themen. Das Preußenstadion kannte ich nur als Schüler aus meiner Zeit am Paulinum. Sportunterricht mit 100-Meter-Lauf vor der alten Tribüne. Ein Fußballspiel habe ich dort allerdings erst im Mai 1989 gesehen.

Die Preußen spielten in einer Aufstiegsrunde um die Beförderung in die 2. Bundesliga, eine Freundin nahm mich mit zur Hammer Straße. Gegner war ein Klub namens Göttingen 05. Es war mein erstes Fußballspiel überhaupt. Was den Sport betrifft, bin ich ein „late bloomer“ gewesen.

Da war sie, die Antwort.

An diesem Tag lehnte ich mich als Neuling an die Wellenbrecher in der Ostkurve und schaute um mich herum in die Gesichter der anderen. Was würde ich wohl tun, wenn ein Tor für die Preußen fiele? Was tut man denn so in Stadiongesellschaft? Wie benimmt man sich da?

Bennie Brinkman klärte diese Frage für mich. Er erzielte nach 46 Minuten das Tor zum 1:0-Sieg und unversehens fand ich mich inmitten einer Menschentraube entrückter Fans. Einer von vielen, Arm in Arm, aus voller Kehle jubelnd. Es fühlte sich völlig natürlich an, es war herrlich. Da war sie, die Antwort.

In etwa so lange kenne ich die Debatte um einen Stadionneubau. Ich habe die Entwürfe für ein Münsterland-Stadion gesehen. Ich habe an der Hammer Straße ein Baustellenschild für den „Preußen-Park“ gesehen. Ich saß im Dezember 2000 auf den Zuschauerplätzen, als das Oberverwaltungsgericht Münster befand, der Bebauungsplan für dieses Projekt sei „nichtig“. Das waren Tiefschläge und sie setzten dem Klub für viele Jahre enge Grenzen.

Sie möchten dieses Thema mit anderen Leser:innen diskutieren oder uns Hinweise geben

Nutzen Sie einfach unsere Kommentarfunktion unterhalb dieses Textes. Wenn Sie diese Kolumne gerade als E-Mail lesen, klicken Sie auf den folgenden Link, um den Text auf unserer Website aufzurufen:

diese Kolumne kommentieren

Die Arbeiten an der Westtribüne sind heute sichtbarer Beweis dafür, wie sich der Klub in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Bald schon geht es auch der alten Ostkurve an den Kragen. Auch den Wellenbrechern, an denen ich einst gelehnt habe. Ist da Wehmut? Nicht mehr wirklich. Das alte Stadion, das noch Bundesligaluft geatmet hatte, war mit dem Abriss der alten Tribüne 2008 und dem Abschied von der alten Westkurve 2022 ohnehin nicht mehr dieser Sehnsuchtsort.

Um den SC Preußen Münster herum veränderte sich in den vergangenen 30 Jahren der Fußball und mit ihm die Stadien. Die alten Schüsseln sind fast überall verschwunden. Nicht nur in den großen Städten und bei den großen Klubs. Auch an vielen kleineren Standorten. Dutzendfach wuchsen neue Stadien empor. Von Elversberg bis Paderborn, von Aachen bis Halle, Erfurt und Jena. Ingolstadt, Regensburg, Essen, Sandhausen, Chemnitz. Karlsruhe, Wiesbaden, Offenbach, Dresden, Saarbrücken, Rostock.

Keine echte Romantik mehr

Jetzt baut sogar Bocholt sein Stadion am Hünting um. Ganz locker hängte der Fußball den SC Preußen ab. Nur für auswärtige Fans hält die Hammer Straße gelegentlich noch eine vage Erinnerung an die alten Zeiten parat. Doch emotional wird nur, wer danach sofort wieder weg darf in seine voll überdachten und bequemen Sitzplatz-Arenen.

Wir aber müssen hierbleiben und stehen später wieder draußen, während uns der Wind von Westen her ins Gesicht bläst und die brüchigen Stufen unter den Schuhsohlen drücken.

Also nein, da ist keine echte Romantik mehr, nur noch ein leises Gefühl des Abschieds. Das Herz schlägt jetzt höher, wenn der Baukran ein weiteres Fertigteil an seinen vorbestimmten Platz rückt. Jedes Stück ist ein Versprechen. Geschichte muss sich das neue Stadion erst erarbeiten. Aber diese Geschichte schreiben wir als Fans und Zuschauer mit.

Und am Ende geht es doch auch darum, zwei, drei Stunden nebeneinander zu stehen oder zu sitzen und diesen besonderen Stadionduft einzuatmen. Das Gefühl der Sicherheit zu haben, das dieser Ort an der Hammer Straße vermittelt. Es ist schwer zu erklären, aber ein paar schmucklose Betonfertigteile können sehr aufregend sein.

Herzliche Grüße

Ihr Carsten Schulte

Portrait von Carsten Schulte

Carsten Schulte

…stammt aus dem Münsterland, hat mal Buchhändler gelernt, arbeitet aber seit fast 20 Jahren als Journalist für verschiedene Medienhäuser. Den SC Preußen Münster begleitet er mittlerweile mit seinem eigenen Magazin preussenjournal.de. Von ihm sind auch einige Bücher und Magazine über den Klub erschienen.

Der Donnerstags-Brief

Jeden zweiten Donnerstag schicken wir Ihnen im Wechsel den Preußen-Brief von Carsten Schulte und den Kultur-Brief von Christoph Tiemann.

Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir im RUMS-Brief.

Ihnen gefällt dieser Beitrag?

Wir haben Ihnen diesen Artikel kostenlos freigeschaltet. Doch das ist nur eine Ausnahme. Denn RUMS ist normalerweise kostenpflichtig (warum, lesen Sie hier).

Mit einem Abo bekommen Sie:

  • 2x pro Woche unsere Briefe per E-Mail, dazu sonntags eine Kolumne von wechselnden Autor:innen
  • vollen Zugriff auf alle Beiträge, Reportagen und Briefe auf der Website
  • Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen: Die ersten 6 Monate zahlen Sie nur einen Euro.

Wir freuen uns sehr, wenn wir Sie ab heute in der RUMS-Community begrüßen dürfen!

Bitte melden Sie sich an, um zu kommentieren.
Anmelden oder registrieren