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Der Preußen-Brief von Carsten Schulte | Die schrecklich schöne Sommerpause

Guten Tag,
der Juni ist eine kleine Insel im Fußball. Sommerpause. Endlich wieder Zeit für sich selbst. Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Lange Grillabende am Samstag, Brunch am Sonntag. Keine Abstimmungen mit Verwandten und entfernten Bekannten über die Kollision von Spielplan mit irrelevanten Terminen wie Geburtstagen oder Hochzeiten. Oh, wie ist es schön, morgens nicht aufzusteh’n und nicht zum Fußball zu geh’n. Fußballfans hassen das.
Wohin mit dem ganzen Leben, wenn keine Tabelle die Laune bestimmt, kein Tor beim Druckabbau hilft? Was tun mit der freien Zeit? Ganze Familien verfolgen staunend, wie aus einem Fußballfan (m/w/d) plötzlich ein ganz normaler Mensch wird. Ein Mensch, dessen Tagesablauf nicht durch Anstoßzeiten und Auswärtsfahrten bestimmt wird. Wie gesagt: schrecklich.
Um kurz den letzten Preußen-Brief aufzugreifen: Ja, der SC Preußen Münster hat es geschafft. Er hat sich in Ulm endgültig den Klassenerhalt gesichert und wer in Ulm war, weiß, was das für ein feiner Tag war. Rund ums Ulmer Münster entspannten sich vor und auch nach der Partie im Donaustadion hunderte Fans in schwarz-weiß-grün.
Sicher mehr als 2.500 Fans der Preußen waren alles in allem mit nach Schwaben gereist und fühlten am Ende auch ein bisschen mit den Ulmer Spatzen, die vor einem Jahr so überraschend mit dem SCP gemeinsam aufgestiegen waren und am Ende nach einem Jahr wieder runter in die 3. Liga mussten. Aus dem Fanblock der Preußen gab es deswegen keine Häme, keine „Absteiger“-Rufe, stattdessen Applaus bei der Abschiedsrunde der Ulmer. Das war angenehm.
Folgerichtig gab es in der Stadt auch keinen Stress. Die Preußen feierten höflich. Richtig laut waren abends nur hunderte Fans von Galatasaray Istanbul, das am selben Abend die türkische Meisterschaft gewann und für Entzückung der Anhänger in der Stadt sorgte.
Ersatzdroge Transfergerüchte
Ab August darf der SC Preußen also erneut in der 2. Bundesliga antreten, aber bis dahin fließt noch viel Wasser die Aa hinab. Beziehungsweise nicht so viel Wasser, wenn es so trocken bleibt wie im bisherigen Frühjahr, aber darum geht es in dieser Kolumne nicht. Jetzt müssen wir Preußen uns mit dem behelfen, was bleibt.
Gut, dass es unterm Stadiondach der Haupttribüne noch die Webcam im Preußenstadion gibt. In Kürze gibt es sogar zwei, denn nach der West- geht es bald auch der Ostkurve an den Kragen und auch dieses Spektakel soll gestreamt werden. Abrissarbeiten und Bagger – ein Träumchen.
Man mag sich lieber nicht ausrechnen, wie viel Arbeitszeit (oder Zeit überhaupt) dabei draufgeht, während man zuschaut, wie das Gras wächst, Löcher ausgehoben werden oder Beton und Stahl miteinander verbunden werden.

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Dass man parallel auch dem Rasenpflegeteam dabei zuschauen kann, wie es den Rasen pflegt, sanfte Kurven auf dem Grün dreht (das nur im Frühsommer so frisch und schön aussieht) und alles vorbereitet für den Tag, an dem der Fußball zurückkehrt, ist ein kleiner Bonus.
Andererseits ist die Sommerpause auch eine wunderbare Zeit. Nie sonst liegt so viel Versprechen und unbeschwerte Hoffnung in der Luft. Die Mannschaft steht noch nicht fest, Transfergerüchte werden zur Ersatzdroge. Man malt sich aus, wie die kommende Saison verlaufen wird, wie sich die Konkurrenz schlägt.
Tagträumereien über die neue Westtribüne, die sich zum Saisonstart im August mit Menschen füllen wird und einen Vorgeschmack liefern wird auf das ganze umgebaute Stadion.
Wen könnte es erwischen?
Der Blick auf die neuen Ränge hat etwas Surreales. Wer so lange auf einer Baustelle und vorher in einer „Antikarena“ gekickt hat, der kann fast kaum glauben, dass sich nun auch in Münster Kräne drehen und Tribünen wachsen. Sich das anzuschauen, macht Spaß.
Aber auch alles drumherum ist einfach … nun ja: einfach. Wir sprechen über Testspiele in Kinderhaus, nur einmal durch die Stadt Richtung Norden. Spiele, in denen man mit einem Bier oder einem Glas Wasser in der Hand neben dem Spielfeld auf dem Rasen hockt.
Wir sprechen über Spiele, denen man ganz ohne Druck folgen kann. Man kann in diesen Zeiten noch hoffen, dass es nicht so schlimm werden wird, ehe es dann auch mal schlimm werden wird.
Denn machen wir uns mal nichts vor: Der SC Preußen Münster wird mutmaßlich nicht um den Aufstieg in die Bundesliga mitspielen. Wenn man sich allein anschaut, welche Konkurrenz sich da tummelt – trotz des Abschieds von HSV und Köln. Dynamo Dresden und die neuerdings neureichen Pokal-Bielefelder werden auch eine Wucht mitbringen.
Im vergangenen Jahr konnte der SC Preußen so ein bisschen auf Regensburg und Ulm als erreichbare Konkurrenz setzen. So lief es dann auch. Aber wer übernimmt diese Rolle? Ob Schalke uns den Gefallen tut? Ob Braunschweig aus seinen Fehlern gelernt hat? Wen könnte es denn sonst erwischen? Also außer Münster, versteht sich.
Das sind die Fragen, die im Juni im Kopf herumspuken und die sich einen ständigen Streit liefern mit den Hoffnungen, die sich wider die Vernunft einschleichen.
Kommt der Herbst, gehen die Trainer
Und natürlich, die eine große Frage: Was wird aus dem SC Preußen unter dem neuen Trainer Alexander Ende? Der „Alex“, einst sogar Kapitän einer Preußen-Mannschaft, allerdings in den eher mauen Nullerjahren, bringt einen neuen Schwung in den Laden. Er will einen Fußball spielen lassen, der offensiv ausgerichtet ist. Laufstark. Aggressiv. Also ganz anders als der kompakt-defensive Ansatz in weiten Teilen der vergangenen Saison.
Dafür krempelt der Klub derzeit seine Mannschaft ziemlich um. Das muss schon klappen, sonst bricht im Herbst der große Katzenjammer aus. Ältere Preußenfans erinnern sich daran: Kommt der Herbst, gehen die Trainer. Und natürlich drücke ich Alex Ende alle Daumen. Die Konstanz auf dieser Position in den vergangenen Jahren war angenehm und ließ erahnen, was ein seriöser Fußballklub alles erreichen kann, wenn er ruhig und besonnen handelt.
Was dabei entstehen kann, lässt sich dieser Tage wunderbar sehen. Das Stadion wird herausgeputzt, ein Nachwuchsleistungszentrum ist entstanden, die Fans stehen buchstäblich Schlange, um die Spiele zu sehen. Wir freuen uns auf Bochum, denn das letzte Ligaspiel zwischen beiden Klubs fand 1971 statt. Wir freuen uns wieder auf Schalke, auf Berlin. Und ja, insgeheim wohl auch ein bisschen auf die Komischen aus dem Teutoburger Wald. Und auf die Sommerpause. Einmal durchatmen. Ganz schlimm. Und so schön.
Herzliche Grüße
Ihr Carsten Schulte
Korrekturhinweis:
Ursprünglich hieß es, Alexander Ende sei in den Neunzigern Kapitän beim SCP gewesen. Tatsächlich spielte er in der Saison 2006/2007 für die Preußen. Ist korrigiert.
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Carsten Schulte
…stammt aus dem Münsterland, hat mal Buchhändler gelernt, arbeitet aber seit fast 20 Jahren als Journalist für verschiedene Medienhäuser. Den SC Preußen Münster begleitet er mittlerweile mit seinem eigenen Magazin preussenjournal.de. Von ihm sind auch einige Bücher und Magazine über den Klub erschienen.
Der Donnerstags-Brief
Jeden zweiten Donnerstag schicken wir Ihnen im Wechsel den Preußen-Brief von Carsten Schulte und den Kultur-Brief von Christoph Tiemann.
Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir im RUMS-Brief.
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