Carla Reemtsmas Kolumne | Das Katastrophenpaket der Bundesregierung

Porträt von Carla Reemtsma
Mit Carla Reemtsma

Liebe Leser:innen,

stellen Sie sich vor, es wäre Ihr Jubiläum und Ihnen wäre so ganz und gar nicht nach Feiern zumute. So geht es momentan jugendlichen Klimaaktivist:innen und klimabewegten Menschen. Am kommenden Freitag streikt Greta Thunberg zum 100. Mal in Folge, und auch in Münster gehören die Mahnwachen vor dem historischem Rathaus seit eineinhalb Jahren zum Stadtbild.

Die Jubiläen könnten Freudentage sein, das sind sie aber nicht. Die positiven Gefühle werden sich wohl in Grenzen halten, weil die abstrakte Notwendigkeit für Klimaaktivismus in den vergangen Jahren nicht weniger geworden ist. Wenig zuträglich sind da auch die politischen Entscheidungen in Berlin, deren Klimabilanz bestenfalls ernüchternd ist. Zukunftspaket, Modernisierungsprogramm, Innovationsprämie, Modernisierungsprämiedie Antworten auf die Corona-Pandemie sind gespickt mit Buzzwords, die klingen, als kämen sie aus der Marketing-Abteilung eines Social-Startups, mit dem Ziel, die Generation Greta doch endlich zu besänftigen.

Dass diese Wörtchen nur zu wenig mehr in der Lage sind, als dem „Weiter so“ des Konjunkturpakets einen hellgrün-modernen Touch zu verleihen, wird in der öffentlichen Debatte schnell vergessen. Sollen die Klimakids doch glücklich sein, dass Saskia Esken die Abwrackprämie und damit den kolossalen Abfuckmoment einer ganzen Generation verhindert hat.

Die Politik knickt ein

In keinem der Spiegelstriche des Konjunkturpakets setzt die Bundesregierung dem fossilen Neoliberalismus und seinem „Höher, schneller, weiter so“ etwas entgegen. Und am Ende vermurkst doch mal wieder der Kohleausstieg die Regierungsklimabilanz. Dabei klingt Kohleausstieg doch eigentlich nach klimapolitischem Fortschritt. Was gibt es also jetzt schon wieder zu bemängeln?

Mit ihrem Kohleausstiegsgesetz – Klimaaktivist:innen sprechen liebevoll vom KohleEINstiegs-, Kohleverlängerungs-, Kohlewiederbelebungs- oder schlicht dem Kohlegesetz – hat die Bundesregierung wahrlich ein Katastrophenpaket verabschiedet. Die Abgeordneten des Bundestags hatten vor ihrer letzten Sitzung nur ein paar Tage, um noch schnell vor der Sommerpause über das komplizierte Regelwerk abzustimmen, das Kohlestrom bis 2038 und mehrere Milliarden an Entschädigungen für Kohlekonzerne vorsieht.

Dieses Gesetz ist eine Farce. Die Politik knickt vor den Kohlekonzernen ein. Die Liste an Gründen dafür ist lang, selbst wenn man die Klimaperspektive vernachlässigt:

  • Die Entschädigungen für in die Jahre gekommene Kraftwerke sind viel zu hoch. Nicht einmal der Wirtschaftsminister kann sie begründen.
  • Die Situation am Energiemarkt hat sich spätestens durch Corona so verändert, dass Kohle längst unrentabel ist. Der dreckige Strom würde weit vor 2038 von alleine aus dem Markt gedrängt.
  • Viele Kraftwerke werden die neuen EU-Schadstoffgrenzwerte gar nicht mehr einhalten können.

Auch die Kommentare der Journalisten großer Nachrichtenhäuser klingen so vernichtend, dass sie Klimaaktivist:innen kaum kritischer hätten schreiben können. Von „vergoldeten Dreckschleudern“ und „erkauftem Frieden“ ist etwa beim Spiegel und der Süddeutschen Zeitung die Rede.

Der Ausstieg ist keine Symbolpolitik

Andere Dinge fallen in Anbetracht der stattlichen Zahlungen an die Kohlekonzerne schnell unter den Tisch. Zum Beispiel, dass für die im Kohlegesetz vereinbarte Erweiterung der Tagebau-Pläne noch sieben Dörfer abgebaggert werden sollen. Oder dass es die Pariser Klimaziele unerreichbar macht. Und das, obwohl die Klimagerechtigkeits-Bewegung ja seit Jahren auf den Straßen und in den Wäldern der Republik gegen genau diese Ungerechtigkeiten und nicht für die wirtschaftlich rentabelste Energiepolitik kämpft.

Am Ende zählt in der Analyse das harte Geld, und selbst Menschen aus der Klimagerechtigkeits-Bewegung erzählen plötzlich, dass der marktwirtschaftliche Ausstieg schneller sei als der, den dieses Gesetz bewirkt. Aktivisten, die für den freien Markt und gegen eine politische Regulierung des Kohleausstiegs argumentieren? Ein seltenes Schauspiel.

So häufig wie in den Bewegungen vom Kohleausstieg gesprochen wird, klingen Forderungen schnell nach Symbolpolitik. Der Hambi, die Bagger, die Dörfer – alles Orte des Protests wie aus dem Bilderbuch. Doch der Kohleausstieg ist keine Symbolpolitik. Die Verbrennung von Kohle ist die dreckigste Energieform der Welt; ihr schnelles Ende ist zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels unabdingbar.

In kaum einer politischen Entscheidung wird die physikalische Realität der Klimakrise so sichtbar wie in der Frage nach dem Enddatum der Tagebaue. Das Klima verhandelt eben nicht. Und während Politiker:innen und Konzernchef:innen die Ausstiegsmodalitäten in nächtelangen Konferenzen ausklamüsern, stoßen die Kraftwerke im Rheinischen, Lausitzer und Leipziger Revier pausenlos CO2 in die Luft. Paris rückt damit in immer weitere Ferne.

Die Mehrheit will den Ausstieg

Als also nach dem Hitzesommer 2018die Rodung des Hambi drohte, zog es zehntausende Menschen aus dem ganzen Land plötzlich zum Protest ins Rheinland. Wenige Monate später begannen die ersten Fridays-For-Future-Streiks, und auch in Münster versammelten sich ein oder zwei Dutzend Menschen, denen das Klima irgendwie wichtig war, vor dem Rathaus. Im Januar 2019 sollte dann die Kohlekommission einen Ausstiegsplan vorlegen. Am Freitag zuvor hatten wir unerwartet mit 10.000 Menschen vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin gestreikt. Als wir am Samstagfrüh von dem Ergebnis „Kohleausstieg 2038“ hörten, war das ein herber Schlag.

Es sei überhaupt nicht Aufgabe der Kommission, die Einhaltung des deutschen Beitrags zum 1,5-Grad-Ziel zu gewährleisten. So lautete die Rechtfertigung für das unzureichende Ausstiegsdatum. Nur: Wenn eine von der Regierung eingesetzte Kommission einen Vorschlag macht, der anschließend möglichst deckungsgleich in Rechtsform übersetzt werden soll, muss er sich an den bestehenden Verpflichtungen eben dieser Regierung orientieren.

Als demokratiefördernde Institution, in der alle Beteiligten und Betroffenen eine Stimme erhalten, sollte die Kohlekommission einen Kompromiss erringen. Stand heute sind es aber vor allem die Kohleländer und Kohlekonzerne, die mit dem Ausgang (viel Geld, spätes Ausstiegsdatum) zufrieden sind. Klimaaktivistische und zivilgesellschaftliche Gruppen mussten auch in den eineinhalb Jahren nach dieser Sitzung weiter für den Erhalt der Dörfer und ein schnelleres Ende der Kohle kämpfen.

Das Kohlegesetz vom vergangenen Freitag war fast zu erwartbar, um auf ein Neues großen Protest auszulösen: Die große Empörung, den Aufschrei, die spontane Wut haben alle schon in den vergangenen Monaten immer wieder entladen können. Was übrig bleibt, ist aber vor allem ein etwas müdes Unverständnis. An der politischen Realität rund um die Kohle hat sich in den vergangenen 16 Monaten einiges geändert, aber nichts zum Positiven.

Mit den neuen Abschaltpfaden, der Inbetriebnahme von Datteln 4, der geplanten Abbaggerung der Dörfer und den Milliardenentschädigungen wurde immer noch weiter auf die Konzerne zugegangen, während die Zivilgesellschaft wieder und wieder außen vor blieb. Die Kohlekommission hat 2038 gesagt, 2038 sollte es bleiben. Dabei übersehen Minister und Entscheidungsträgerinnen, dass die gesellschaftliche Realität längst eine andere ist. Seit der Entscheidung der Kohlekommission hat allein Fridays For Future über 3.500 Mal gestreikt, dazu kommen ungezählte weitere Klimaproteste.

Im Hambi und mit den ersten Klimastreiks ist der Kampf um die Kohle vom Rand in die Mitte der Gesellschaft übergesprungen. Die Mehrheit der Bürger:innen will den Kohleausstieg – und zwar deutlich schneller als ihre Regierung und ohne hohe Zahlungen an die Konzerne. Wenn man stattdessen alle Verantwortung auf eine Kommission abwälzt, die demokratisch bestenfalls fragwürdig ist, wird man Anspruch an eine zukunftsfähige und demokratische Politik keinesfalls gerecht. Das blendet die gesellschaftliche Realität aus.

Schwerer als der endgültige Verlust von jungen Wählerstimmen für Union und SPD wiegt allerdings der Vertrauensverlust in Politiker:innen und ihre Institutionen. Gerade erst kamen die katastrophalen Zustände in der Schlachtindustrie ans Licht. Nun will man auch die jahrzehntelang verschleppte Agrarwende einer Kommission überlassen. Das wird kaum dazu beitragen, dieses Vertrauen wieder aufzubauen.

Ankündigungen allein sind wenig wert

Ein verabschiedetes Gesetzespaket bedeutet aber nicht, dass alle Bemühungen nun enden. Die Motivation für Protest kommt nicht allein aus politischen Erfolgserlebnissen. Die Motivation entsteht, weil Menschen reale Ungerechtigkeiten nicht aushalten wollen. Das gilt unabhängig davon, ob sie für Klimagerechtigkeit, ein solidarisches Europa, Seenotrettung oder gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit protestieren. Auf die Ernüchterung folgt eben auch immer ein neues Empörungsmoment.

Bis zum notwendigen Ausstieg aus der Kohle im Jahr 2030 ist noch viel Zeit. Doch weil die Klimakrise einen physikalischen Kern hat, zählt bei ihrer Bekämpfung jeder Tag. Jeder Tag, den der Kohleausstieg früher kommt und auch jede eingesparte Tonne CO2. Viele Emissionen sind bisher bloß auf dem Papier festgeschrieben. Sie können wir noch verhindern. Auch deswegen darf ein Gesetz wie dieses nicht den Sieg der Kohlelobby über die Interessen der Bürger:innen bedeuten. Dafür werden wir im Zweifelsfall auch zehn weitere Jahre lang protestieren.

Ganz anders und doch ähnlich verhält es sich übrigens auch in Münster: Hier konnte man zwischenzeitlich den Eindruck gewinnen, Fridays For Future hätte sich in die Bedeutungslosigkeit gesiegt. Klimanotstand und der Ratsbeschluss zur Klimaneutralität 2030 – besser könnte es aus Protestperspektive kaum werden. Aber auch hier gilt: Ankündigungen allein sind nicht viel wert. Es reicht nicht aus, Emissionen auf dem Papier einzusparen. Ohne die Übersetzung in eine klimaneutrale und zukunftsfähige Stadtpolitik bleiben all die Ankündigungen nur hehre Versprechen.

Inzwischen hängen die ersten Wahlplakate. Ein Bürgermeisterkandidat wirbt mit Klimaneutralität. Unsere Aufgabe ist, Rückschritte zu verhindern. Und unsere Aufgabe wird bleiben, dafür zu streiten, dass aus den Ankündigungen Tatsachen werden. Wir bleiben dran.

Viele Grüße und ein schönes Wochenende

Ihre Carla Reemtsma

Porträt von Carla Reemtsma

Carla Reemtsma

Im Januar 2019 hat Carla Reemtsma den ersten Klimastreik in Münster organisiert. Es war eine kleine Kundgebung im Nieselregeln vor dem historischen Rathaus am Prinzipalmarkt. Wenige Wochen später sprach das ganze Land über die Klima-Proteste der „Fridays For Future“-Bewegung. Der Rat der Stadt Münster beschloss das Ziel Klimaneutralität 2030. Inzwischen ist Carla Reemtsma eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivistinnen. Geboren wurde sie in Berlin.

Die Kolumne

Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.

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