Die Kolumne von Juliane Ritter | Dritter Coronaherbst: Die Pflegekräfte sind müde und wütend

Porträt von Juliane Ritter
Mit Juliane Ritter (Name geändert)

Guten Tag,

wie bereiten wir uns auf den Coronawinter vor? Was erwartet uns als Bürger:innen?

Diese Fragen sind seit einigen Wochen wieder häufiger zu hören und zu lesen. Wahrscheinlich werden die Antworten anders sein als in den vergangenen zwei Jahren.

Doch für uns Pflegekräfte hat sich nichts verändert. Die Politik hat nichts unternommen, und somit bleibt für uns der Ausnahmezustand, der unser Alltag geworden ist.

Ich habe für diese Kolumne meine Kolleg:innen befragt, die Covid-Patient:innen versorgen. Das Nichtstun der Politik bedeutet für sie: Ungebremst in den dritten Coronaherbst – und abwarten, wie viele Pflegende am Ende noch im Beruf sind.

Zurzeit sind einige Betten in unserer Klinik „geschlossen“. Das heißt, dass sie aufgrund des ständigen Pflegenotstandes nicht belegt werden, damit die Pflegenden die Arbeit überhaupt noch bewältigen können. In den Bereichen, die von den Bettenschließungen betroffen sind, lehnen sich die Pfleger:innen aber nicht in entspannter Arbeit zurück. Sondern sie versorgen derzeit „nur“ ein zu leistendes Maximum an Patient:innen.

Betten, für die eigentlich kein Personal da ist

Wenn die Politik weiterhin nichts gegen die sich aufbauende Coronawelle unternimmt, werden unsere Arbeitgeber in den kommenden Wochen wohl Betten eröffnen müssen, für die es nicht genügend Personal gibt. Darauf stellen sich meine Kolleg:innen jetzt schon ein. Als nächstes wird es zu Versetzungen kommen – Pflegende müssen in Bereichen einspringen, in denen sie die Abläufe, Krankheitsbilder und Teams nicht kennen.

Mehr Patient:innen zu betreuen, bedeutet dann: Die Zeit, die wir für jeden einzelnen kranken Menschen haben, wird weniger. Wir können Verbände und Wäsche nur noch seltener wechseln. Wir müssen uns beeilen, wenn wir Medikamente vorbereiten oder Vitalwerte kontrollieren. Die Patient:innen werden die Hektik auch daran spüren, dass wir weniger Zeit haben, um sie beim Verlassen des Bettes, bei Toilettengängen oder beim Essen zu unterstützen. Und es werden mehr Fehler passieren, wenn wir Medikamente verabreichen, weil jede einzelne Pflegekraft eine immer länger werdende To-Do-Liste im Kopf hat – irgendwann ist diese Liste zu lang und wir schaffen sie nicht mehr.

Zeit für Gespräche mit den Patient:innen oder ihre eigenen Pausen erwähnen meine Kolleg:innen schon gar nicht mehr, wenn ich sie frage, welche Tätigkeiten sie liegen lassen müssen.

Zurzeit werden Patient:innen geplant für eine Chemotherapie oder ähnliche Behandlungen aufgenommen, während sie eine Covid-Infektion haben. Die notwendige Isolation und zusätzlichen Hygienemaßnahmen bedeuten für Pflegende einen erhöhten Arbeitsaufwand, sie müssen zum Beispiel oft Schutzkleidung an- und wieder ausziehen. Häufig sind diese Patient:innen außerdem älter und haben mehrere Erkrankungen, die einen zusätzlichen Pflegebedarf mit sich bringen. Mit steigendem Alter verlaufen die Covid-Infektionen auch nicht so zügig wie bei jüngeren Menschen. Die Patient:innen sind länger ansteckend und leiden häufiger unter bleibenden Symptomen. Gleichzeitig werden – wie jedes Jahr – Grippepatient:innen stationäre Therapien benötigen.

Reine Covidstationen sind eine zusätzliche Belastung

Einige meiner Kolleg:innen versorgen seit mehr als zwei Jahren durchgehend nur Covid-Patient:innen. Denn unsere Klinik verfolgt die Strategie, alle an Covid Erkrankten gesammelt auf einer Station zu versorgen – auch diejenigen, die nicht nur wegen Covid, sondern vor allem wegen einer anderen Erkrankung behandelt werden. Die Pflegenden auf der Covidstation müssen also auch gebrochene Knochen, Krebs, Nierenprobleme und viele andere Erkrankungen versorgen, auch wenn sie darauf nicht spezialisiert sind und damit kaum Erfahrung haben. Diese Belastung, sich nicht genügend auszukennen und sich parallel zum alltäglichen Zeitdruck verschiedene Fachdisziplinen aneignen zu müssen, wird oft von Arbeitgebern außer Acht gelassen.

Andere Krankenhäuser gehen schon längst dazu über, Covid-Patient:innen in den unterschiedlichen Fachbereichen zu isolieren. So können Pflegende in den Fachabteilungen und Teams bleiben, in denen sie sich auskennen, und die Last wird auf mehr Schultern verteilt.

Pflegende sind müde und wütend

Meine Kolleginnen und Kollegen in der Covidversorgung gehen davon aus, dass ihnen ein weiteres Jahr unter den beschriebenen Arbeitsbedingungen nicht erspart bleibt. Weil in Innenräumen keine Maskenpflicht mehr besteht. Weil es politisch zugelassen wird, dass das Infektionsgeschehen ungehindert seinen Lauf nimmt. Weil Impfzahlen stagnieren. Und weil für sie keine spürbare Entlastung geschaffen wurde, weder in Krankenhäusern noch in Altenheimen oder bei Pflegediensten.

Eine Kollegin sagt mir, die Stimmung im Team sei deutlich: Die Pflegenden haben genug. Sie sind es leid, als Angestellte im Gesundheitssystem die Folgen der Unachtsamkeit der Bevölkerung und das Fehlmanagement der Politik auszugleichen. Die Situation ist schon lange nicht mehr unvorhersehbar. Aber die Politik hat die Chance, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, erneut verschlafen oder als nicht notwendig erachtet – Maßnahmen, die die Situation auch für uns in den Krankenhäusern endlich hätten entspannen können, damit auch wir wieder mehr zum normalen Ablauf übergehen können, wie es so viele Menschen mit anderen Berufen längst getan haben.

Auch die Patient:innen leiden unter der Situation

Es ist verständlich, dass auch Menschen, die wegen einer Vorerkrankung oder aus anderen Gründen ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, sich nach mehr als zwei Jahren der sozialen Abgrenzung nach und nach wieder mehr Leben zugestehen möchten. Durch das umfangreiche Infektionsgeschehen ist das Ansteckungsrisiko inzwischen allerdings wieder sehr hoch. Und einigen Menschen geht es unter der Infektion dann eben so schlecht, dass sie ins Krankenhaus müssen. Dort leiden sie ebenso unter den schlechten Bedingungen wie die Pflegenden selbst.

Wir versuchen nach wie vor unser Möglichstes, diese Menschen beim Gesundwerden zu unterstützen. Aber weil wir wissen, dass längst deutlich weniger Covid-Patient:innen bei uns in Behandlung sein könnten, wächst unser Frust immer mehr.

Covid ist nicht die Ursache der Krise

Eines haben alle meine Kolleg:innen in unseren Gesprächen gesagt: Die Coronapandemie ist nicht die Ursache der Krise, sondern macht diese nur für viele Menschen außerhalb des Gesundheitssystems sichtbar. Der Pflegenotstand hat bekannte Gründe, über die ich hier schon einige Male geschrieben habe. Covid ist nur eine weitere Belastung, unter der weitere Kolleg:innen ausbrennen und gehen. Deshalb macht es uns ärgerlich, zu sehen, dass viele Politiker:innen und andere Entscheidungsträger:innen sich weiter hinter der scheinbar auslaufenden Coronakrise verstecken, statt die grundlegenden Probleme anzugehen. Zu sehen, dass Arbeitskämpfe zur Sicherung der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung so viel Kraft von „unten“ erfordern, weil die Profitgier immer gegen uns arbeitet.

Um deutsche Krankenhäuser endlich krisenfest zu machen und Pflegenden zu ermöglichen, in den Beruf zurückzukehren, müssten Politiker:innen die Krankenhausfinanzierung endlich reformieren. Sie müssten das System der Fallpauschalen einstampfen, mit dessen Hilfe sich Investor:innen und private Konzerne auf dem Rücken von Beschäftigten und der Bevölkerung bereichern, und durch ein gemeinwohlorientiertes System ersetzen. Die wahre Krise ist die Untätigkeit der Politik.

Herzliche Grüße
Juliane Ritter

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Juliane Ritter (Name geändert)

… arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.

Die Kolumne

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