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Die Kolumne von Juliane Ritter | Eine Reform, aber eine enttäuschende

Guten Tag,
ich hoffe, Sie hatten einen schönen Heiligabend und finden etwas Zeit für Ihre Familie. Und vielleicht ist auch gerade jetzt Zeit, sich Gedanken über etwas zu machen, das uns alle betrifft. Die Medien der vergangenen Tage sind wieder einmal voll mit Berichten über die zusammenbrechende Gesundheitsinfrastruktur. Diesmal schlagen die Rettungsdienste und Kinderintensivstationen Alarm.
Ich habe mit Kinderkrankenpflegerinnen von Intensivstationen gesprochen und sie zu ihrer aktuellen Situation befragt. Sie berichten, dass sie sich auch hier in Münster durch die Infektionswelle mit dem RS-Virus und Influenza an der Grenze ihrer Kapazitäten sehen. Mehrmals täglich kämen Anfragen zur Übernahme von Patient:innen in einem kritischen Zustand aus anderen Krankenhäusern, die dann quer durchs ganze Land geflogen werden müssen; immer wieder gibt es auch Absagen. Die Anzahl der Anfragen habe ein neues Hoch erreicht. Subjektiv, so berichten die Pflegerinnen, fühle es sich an, als seien die Kinder im Durchschnitt auch jünger und die Infektionen heftiger als früher. Viele von ihnen müssen isoliert werden, weil ihre Infekte ansteckend sind. Das macht die Arbeit wiederum aufwändiger.
Und sie berichten, es gebe nun eine Warnung – die Einarbeitung müsse ausfallen, da man die Stationen überbelegen müsste, wenn kleinere Kliniken an ihre Versorgungsgrenzen kommen. Zuletzt arbeitete teilweise auch weniger Personal auf den Stationen, als Untergrenzen es vorschreiben. Diese Grenzen sind gesetzlich festgelegte Mindestgrenzen. Sie sollen Gefahr von Personal und Patient:innen abwenden. Und die Grenzen stehen bereits seit ihrer Einführung in der Kritik, weil sie in vielen Bereichen der Pflege zu niedrig angesetzt sind.
Es geht zu Lasten der Menschen
Die Unterschreitung dieser Grenzen in Krisenzeiten, bis hin zu einer Triage, egal in welchem deutschen Krankenhaus, wird für Kinder gefährlich und kann sogar tödlich ausgehen. Doch die derzeitige Lösung des Gesundheitsministers ist es, Sanktionen bei einer Unterschreitung in allen Bereichen auszusetzen. Operationen werden abgesagt, um Bettenkapazitäten zu schaffen. Es geht alles zu Lasten der chronisch kranken Kinder.
Die Pflegerinnen erzählen mir: Jeden Tag, ob in einer Krise oder im normalen Alltag, der längst nicht mehr normal ist, schaue man, wie viel Personal verfügbar ist und wie viele Betten belegt werden können. Die Frage ist jeden Tag: Was können wir personell leisten? Und wird ein lebensbedrohlich krankes Kind warten müssen und möglicherweise sterben? Oder nehmen wir es auf und nehmen in Kauf, dass das Personal sich teilen muss und wieder einmal weniger Zeit bleibt für alle anderen Kinder auf der Station, die in einem lebensbedrohlichen Zustand sind?
Mehrere Kolleginnen berichten, sie hätten es seit einem knappen Jahrzehnt nicht erlebt, dass alle verfügbaren Betten ihrer Kinderintensivstationen zur Verfügung standen. Aktuell sind es wegen des Pflegenotstands weniger als die Hälfte. Wenn eine Infektionswelle kommt, zeigen sich die Versäumnisse. Dann stehen die Kliniken mit dem Rücken zur Wand.
Karl Lauterbachs zweiter Vorschlag, Pflegende auf die Stationen zu versetzen, die von der Krise betroffen sind, ist nicht neu. Bereits in den ersten Coronawellen sollten Pflegende von anderen Stationen die Intensivstation entlasten und die Krankenhäuser sich so „selbst helfen“.
Nun sollen Pflegende, welche in ihren drei- bis fünfjährigen Ausbildungen die Pflege von Erwachsenen und derer sich doch sehr unterscheidenden Krankheitsbilder erlernt haben, auf Kinderintensivstationen aushelfen. Einige Krankenhäuser machen das, andere lehnen es ab.
Kolleg:innen aus der Erwachsenenpflege zu versetzen ist nicht die Lösung des eigentlichen Problems, sondern nur eine Symptomtherapie.
Personalnot in allen Bereichen
In meinen Gesprächen hörte ich von einer Kollegin, die aus dem Intensivbereich für Erwachsene in die Kinderintensivpflege gewechselt ist. Bis sie vollständig eingearbeitet gewesen sei, seien mehrere Monate vergangen, sagte sie. Es habe viel Zeit gekostet, auf diesem doch sehr fremden Gebiet sicher zu werden.
Einen Fehler zu machen, der den Tod eines Kindes zur Folge hat, ist eine ständige Sorge. Dazu kommt, dass die Pflege in allen Bereichen unter massivem Personalnotstand leidet und Pflegende es leid sind, als Verfügungsmasse von einem Krisengebiet ins nächste verschoben zu werden, nur weil die mediale und politische Aufmerksamkeit sich wendet.
Stattdessen fordern Pflegende, Ärztinnen und Ärzte, Bündnisse, Gewerkschaften und Verbände seit Jahren eine Abkehr vom profitorientierten Finanzierungssystem. Der Anreiz soll nicht sein, Kosten zu senken, um die Gewinne zu maximieren. Wie viel Geld zur Verfügung steht, soll sich daran orientieren, wie viel für eine angemessene Behandlung gebraucht wird.
Diese Gruppen schlagen seit Jahren Alarm. Besonders in diesen Wochen häufen sich die Pressemitteilungen und Statements, denn Karl Lauterbach hat seine Krankenhausreformpläne vorgestellt. Er selbst nennt sie die „Revolution der Krankenhausfinanzierung“, doch eigentlich hält der Minister weiterhin an dem von ihm miteingeführten System fest, das auf Profite fixiert ist und Menschenleben zu einem Kostenfaktor macht.
Die Kosten für Personal werden auch in Zukunft nicht sicher gedeckt sein. Die sogenannte Selbstkostendeckung soll für weitere Berufsgruppen neben einem Teil der Pflege ausdrücklich nicht erweitert werden. Das bedeutet: Man zahlt weiterhin geschätzte Pauschalbeträge, die unter Umständen nicht ausreichen. Wie viele Ärztinnen und Ärzte, Verwaltungsbeschäftigte, Physiotherapeut:innen und Pflegende in Notaufnahmen, Operationssälen oder anderen Bereichen der Kliniken beschäftigt werden, entscheiden die Krankenhausbetreiber:innen weiterhin selbst.
Mit der Reform wird die Versorgung sogar schlechter: Krankenhäuser sollen weiterhin nicht grundsätzlich dafür bezahlt werden, dass Gesundheitsversorgung auch Daseinsfürsorge ist. Geld bekommen sie nur, wenn profitable Operationen oder Behandlungen stattfinden. Dazu wird es weiter Fälle geben, für die es viel Geld gibt, und andere, die nicht ganz so lukrativ sind, etwa eine normale Geburt. Deshalb schließen schon jetzt viele Kreißsäle oder Geburtsstationen. Sie rentieren sich einfach nicht.
Die Reform ist keine Reform
Kinder waren in diesem System schon immer ein Minusgeschäft. Sie benötigen mehr Zuwendung, mehr Personal, mehr Zeit. Im bestehenden System kann man das schlecht abrechnen.
Karl Lauterbachs Reform ist keine Revolution. Die Sprecherin des „Bündnisses Klinikrettung“ nannte sie eine „neoliberale Neuauflage“. Das passt schon eher, denn ihre Wirkung ist deutlich: Es sollen weiterhin Anreize bestehen, Personalkosten zu senken. So erwirtschaftet man weiter mit der Gesundheit und dem Wohl der Menschen Profite. Und wenn Kliniken am Personal sparen, macht das einen Krankenhausaufenthalt immer gefährlicher.
Ich habe einen deutschen Pfleger kennengelernt, der einmal in Oslo auf einer Kinderintensivstation hospitiert hatte. Dort habe es zwei Pflegekräfte für ein frühgeborenes Kind gegeben. Die Aufgaben seien klar verteilt gewesen: Eine Person habe sich um die medizinische Versorgung gekümmert, die andere Person sei durchgehend an der Seite des Kindes gewesen, um direkt eingreifen zu können, wenn es unruhig wurde, Schmerzen hatte oder es Komplikationen gab.
Wir als Bevölkerung müssen uns fragen: Was ist uns eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung wert? Und was können wir machen, um die Politik an ihrem Wort zu messen? Wie können wir erreichen, dass sich etwas ändert – für unsere Liebsten, für die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft, auch für uns selbst?
Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachtstage, einen guten Start ins neue Jahr und vor allem: Gesundheit!
Herzliche Grüße
Ihre Juliane Ritter
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Juliane Ritter (Name geändert)
… arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.
Die Kolumne
Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.
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