Die Kolumne von Juliane Ritter | Das letzte Mittel, wieder mal

Porträt von Juliane Ritter
Mit Juliane Ritter (Name geändert)

Guten Tag,

seit dem 23. Oktober wird nun wieder über die Gehälter der Landesbeschäftigten verhandelt. Als Uniklinik-Beschäftigte, wird also mein Lohn verhandelt. Ich erinnere mich an ein enttäuschend niedriges Ergebnis im Herbst 2021. Wir hatten gestreikt, waren stärker geworden denn je, und dennoch war die Gehaltserhöhung kaum merklich. Viele meiner Kolleginnen waren frustriert und sind es weiterhin.

Wieder einmal sind wir in diesem Jahr gezwungen, zu streiken. Wie in einem einstudierten Theaterstück hatte unsere Gewerkschaft, wie jedes Mal nach Ablauf des Tarifvertrags, zu Verhandlungen aufgefordert. Wieder einmal hatten Finanzminister sich am 23. Oktober in Berlin gegenüber Gewerkschaft und Landesbeschäftigten gesetzt und ihnen erklärt, dass doch kein Geld da sei. Und wieder einmal folgen Streiks. Finanzminister kennen dieses Theaterstück, welches in ihrer Erfahrung meist wenig beeindruckend verlief. Statt also die nötigen Lohnerhöhungen zu veranlassen, hielten sie uns hin.

Sie sagten Krieg und Krise treffe alle gleichermaßen – meiner Ansicht nach ist das falsch. Auch in Verhandlungsrunde zwei blieb ein Angebot aus. Nicht ein Euro mehr wurde geboten. Wem der Lohn nicht reiche, sagten sie, könne Wohngeld beantragen.

So geht’s nicht mehr weiter

Damit sprechen sie beispielsweise über uns Pflegende, die wir hochgelobt in aller Munde das System aufrecht erhalten. Das Lob ist so alt, hohl und frei von Konsequenzen, dass ich es nicht mehr hören kann. Fachkrankenpflegerinnen mit fünf Jahren Ausbildungen und vielen Jahren Berufserfahrung wird also Wohngeld empfohlen, während man im gleichem Atemzug den Fachkräftenotstand betrauert und so tut, als gäbe es keine Verbindung.

Wieder mal greifen wir also zum letzten Mittel: Streik.

Seit diesem Jahr zeichnet sich jedoch eine Veränderung zum alten Theaterstück ab. Zu Beginn des Jahres einigten sich Arbeitgeber und die Kolleg:innen auf Lohnerhöhungen, die den Inflationsverlust zu großen Teilen ausgleichen. Sie hatten dafür hart gekämpft und es hat sich gelohnt. Streiks in nie da gewesenen Ausmaßen hatten Reihenweise kommunale Kliniken lahm gelegt, um zu signalisieren: So geht’s nicht mehr weiter.

Ich gratuliere den Kolleg:innen umliegender Kliniken Münsters, welche den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes anwenden, zu ihrer Lohnerhöhung. Eine Beschäftigte verdient dort nun zwischen 300 bis 500 Euro mehr als die vergleichbare Berufsgruppe an der Maximalversorgerin, unserer Uniklinik. Das verschärfte Gefälle wird sich ohne Gleichstellung durch die laufende Tarifrunde verschärfen.

Reallohnverluste treffen uns alle. Seit Jahrzehnten war unser Geld nicht mehr so wenig wert wie heute. Im Supermarkt überkommt uns ein Schauer, unsere Gaspreise und Mieten steigen unverhältnismäßig, und viele von uns haben in Zeiten dieses massiven Fachkräftemangels noch Nebenjobs. Ich kenne mehrere Pflegekräfte, die sogar zwei Nebenjobs haben, während ihre Teams der Reihe nach an Personal verlieren.

Gemeinsam sind wir stärker

Ich glaube nicht daran, dass in Zeiten der Krise alle den Gürtel enger schnallen. Ich sehe, dass meine Kolleg:innen das machen – anders als die, die uns empfehlen, Wohngeld zu beantragen, oder die, die meine Gasrechnung um 200 Prozent erhöhen.

Es gibt nicht zu wenig Geld – wir haben ein Verteilungsproblem. Seit Jahren steigen unsere Steuereinnahmen, während die Löhne im öffentlichen Sektor an Wert verlieren.

Wir, die Beschäftigten der Uniklinik Münster, haben gemeinsam mit vielen Unikliniken des Landes gelernt, wie man sich durchsetzt. Wie man erfolgreich kämpfen kann, wenn man zusammen steht. 2022 ging es um mehr Personal und Entlastung, und das haben wir erreicht. Letzteres wird noch etwas dauern, das war jedoch allen bewusst. Ich genieße zusätzliche fünf freie Tage, die ich vorher nicht hatte und freue mich über jede neue Kolleg:in, die sich dadurch für unser Haus entscheidet, trotz der Gehaltskluft.

Wir haben gelernt, wie es geht, und in der aktuellen Tarifrunde kämpfen wir nun gemeinsam mit Beschäftigten der Hochschulen und Verwaltungen sowie studentischen Hilfskräften.

Doch wir müssen darüber hinaus lernen, gemeinsam als Gesellschaft für das einzustehen, was wir brauchen. Gemeinsam sind wir stärker. Organisiert euch in Gewerkschaften, sprecht über eure Anliegen, denn mit diesen sind wir zu häufig nicht allein. Vernetzt euch und kämpft gemeinsam für die Dinge, die uns einen: angefangen mit fairen Löhnen.

Herzliche Grüße
Ihre Juliane Ritter

Über die Autorin

Unsere Kolumnistin arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.

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