Die Kolumne mit Juliane Ritter | Warum Kliniken Pflegekräfte aus dem Ausland holen

Porträt von Juliane Ritter
Mit Juliane Ritter (Name geändert)

Guten Tag,

Seit einigen Jahren suchen Kliniken wie meine aktiv im Ausland nach Fachkräften für den Pflegeberuf. Über Rekrutierungsunternehmen oder die Krankenhäuser selbst werden Pflegekräfte eingeladen, hier eine sogenannte Anerkennung zu durchlaufen. Für Wohnraum, Lohn und Arbeitsplatz wird gesorgt, im Gegenzug verpflichten sie sich, für einige Jahre an der Klinik zu arbeiten.

Die Konditionen variieren je nach Unternehmen, Stadt und Klinik. In Münster höre ich von mehr positiven Erfahrungen, doch es gibt auch immer wieder Missstände in dieser Branche. Da geht es häufig um falsche Versprechungen und versteckte Konsequenzen oder Kosten, sollten die Menschen kündigen und zurückgehen wollen.

Hunderte Kolleg:innen wurden und werden künftig nach Münster geholt, um hier die Personalnot zu verringern. Ich habe Verständnis, warum Kliniken diesen Weg gehen.

Ein Fehler im System

Deutsche Krankenhäuser stehen unter enormen Druck, das Gesundheitssystem mit mehr Personal zu „füttern“. In Deutschland stehen im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn deutlich mehr Pflegekräfte im Verhältnis zur Einwohnerzahl zur Verfügung.

Das ist zurückzuführen auf die Profitlogik in unserem System: mehr Therapien und Operationen, durchgeführt mit mehr Personal, sorgen für mehr Einnahmen, um an anderen Stellen die Kosten decken zu können, an denen Staat und Krankenkassen nicht für den Bedarf aufkommen. Das hat allerdings zu einer Überversorgung gewisser Operationen und Therapien geführt. Sollte man also die Profitlogik aus den Krankenhäusern entfernen, würde sich die Personalnot etwas entspannen.

Von diesem Szenario sind wir aber noch weit entfernt. Die Personalakquise wird  also nicht weniger, sondern eher mehr werden.

Ich will auch den sogenannten „Brain Drain“ kritisieren. Dieser Begriff meint die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus ärmeren Ländern nach Staaten wie Deutschland. Schließlich sind wir hier in einer sehr privilegierten Ausgangssituation: Die Löhne und Arbeitsbedingungen sind in Deutschland meist besser als in den Ländern, in denen akquiriert wird. So ziehen wir qualifiziertes Personal aus Ländern wie Kolumbien, den Philippinen oder Vietnam ab, die dort vor Ort ausgebildet und gebraucht werden.

Meine Erfahrung: Hut ab vor allen, die hierherkommen

Ich habe in den letzten Jahren sehr viele ausländische Fachkräfte kennengelernt, ihre Einarbeitung unterstützt und mit ihnen zusammengearbeitet. Sie sind mittlerweile Teil aller Teams an meiner Klinik. Ich bin beeindruckt von dem Mut, den es braucht, seine Heimat, Familie und Routine zurückzulassen und in einem fremden Land neu zu starten.

Jedoch stoßen verschiedene Kulturen und unterschiedliche Ausbildungsstandards aufeinander. Das sorgt immer wieder für Konflikte.

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Wir, deutsche Pflegende, erlernen den Beruf in deutschen Krankenhäusern, an deutschen Patient:innen, in unserem Heimatland. Wir kennen die Art und Weise, wie unsere Kultur miteinander spricht, umgeht, Unsicherheiten oder Konflikte kommuniziert. Wir unterscheiden uns an diesen Stellen von den brasilianischen, vietnamesischen, italienischen und kolumbianischen Kulturen und Gesundheitssystemen.

Wir unterschätzen häufig, wie herausfordernd es für ausländische Fachkräfte sein muss, nicht nur in einem fremden Land ohne die Unterstützung der eigenen Familie und Freund:innen einen neuen Job zu beginnen. Sondern auch, was es heißt, auf eine Masse an neuen, aufeinander eingespielten Kolleg:innen zu treffen, die so viele Abläufe so anders bewältigen, kommunizieren, gelernt haben.

Potenziale werden verschwendet

Die bekannte Überlastung von Pflegenden schafft dabei mehr Probleme. Sie führt zum Verdruss, immer neue Kolleginnen einzuarbeiten. Viele meiner Kolleg:innen sind es leid, neues Personal einzuarbeiten, wenn dieses dann doch wieder den Beruf verlässt und sie wieder mit der Arbeit alleine lässt. Nicht nur ausländische Fachkräfte trifft es, auch frisch examiniertes deutsches Personal.

Immer wieder sehe ich Situationen, in denen eine Sprachbarriere als Inkompetenz im Beruf ausgelegt wird, und immer wieder begegnen die Kolleg:innen dem deutschen Alltagsrassismus von Patient:innen, aber auch Kolleg:innen oder Ärzt:innen.

Viele neue Kolleg:innen aus anderen Kulturkreisen haben jedoch jahrzehntelange Erfahrung in ihrem Beruf und können aufgrund ihrer anders funktionierenden Gesundheitssysteme spannende Einblicke und Ideen für Verbesserungen bieten.

Ich glaube, dass wir an der Stelle noch sehr viel lernen und ändern müssen, um den ausländischen Fachkräften gerecht zu werden. Sie sind nicht Teil des Problems, aber sie können Teil der Lösung werden.

Über die Autorin

Unsere Kolumnistin arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Münster. Sie schreibt in dieser Kolumne darüber, warum sie ihren Beruf liebt. Und darüber, wo es hakt und was in der Pflege besser laufen müsste – grundsätzlich und in Münster. Juliane Ritter ist nicht ihr richtiger Name. Sie schreibt unter einem Pseudonym, damit sie frei über Schwierigkeiten und Missstände erzählen kann.

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