- Newsletter
- Kolumnen
- Kolumne von Steffen Schulz
Gastbeitrag von Steffen Schulz | Schönmachen war gestern – wie man nachhaltig gestaltet
Guten Tag,
seit über 20 Jahren lehre ich an der FH Münster Produktdesign, und seit einiger Zeit stelle ich fest: Was Menschen sich darunter vorstellen, passt gar nicht mehr unbedingt zur Wirklichkeit: Das reine Schönmachen von Produkten, um den Absatz zu steigern, ist der jungen und kritischen Generation von Gestaltern schon lange nicht mehr so wichtig.
In Seminaren geht es heute darum, in visionären Szenarien und Kontexten zu denken. Bevor wir ein Design entwickeln, diskutiere ich mit Studierenden über Sinn und Relevanz. Dann versuchen wir gestalterische Antworten zu finden.
In neuen Ansätzen denkt man nicht mehr in speziellen Zielgruppen, sondern generationenübergreifend, also universell. Einer dieser Ansätze ist das „Universal Design“, ein Gestaltungsprinzip mit dem Ziel, Produkte zu schaffen, die Menschen unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder der Beschaffenheit ihres Körpers ohne Barrieren nutzen können.
Als der US-amerikanische Architekt Ronald L. Mace die Methode in den 1980er-Jahren entwickelte, konnte sie sich zunächst nicht durchsetzen. Das passierte erst, als der demografische Wandel eine immer größere Bedeutung bekam. Mit dieser Entwicklung gewann die soziale Komponente im Design an Bedeutung.
Das mit mehreren Design-Preisen ausgezeichnete Projekt „hug“ zeigt sehr eindrücklich, was das bedeutet.
Die Aufgabe war, ein Hilfsmittel zu entwerfen, mit dem man Marmeladengläser und Dosen ohne großen Aufwand öffnen können sollte. Das Ergebnis ist ein Gefäß, in dem alle genormten Gläser und Dosen an den rutschfesten Wänden Halt finden und sogar einhändig geöffnet werden können. So können auch Menschen mit motorischen Schwierigkeiten mit Leichtigkeit Gläser und Dosen öffnen. Es soll an möglichst viele Gruppen gedacht sein.
Auch das Material hat im Design heute eine andere Bedeutung. Der russische Angriffskrieg hat eine Entwicklung beschleunigt, die vorher schon eingesetzt hatte. Politik und Wirtschaft wollen erreichen, dass der produzierende Sektor möglichst unabhängig von externen Rohstofflieferanten ist.
Eine Reaktion auf Lieferengpässe und sich wandelnde Bezugsquellen im Design ist ganzheitliches Denken.
Kreislaufszenarien sind in diesem Denken sehr wichtig. In ihnen steht am Anfang die Frage nach dem Material. Woher kommt es? Immer öfter stammt es nicht mehr aus internationalen Fabriken mit hohem Energieverbrauch, die für die ganze Welt produzieren.
Im Idealfall stammt es aus der Region, wird unter fairen und sozialen Bedingungen produziert und wandert am Ende in den ökologischen Kreislauf zurück.
Die neue Generation von Produktdesigner:innen orientiert sich immer stärker am sogenannten „cradle to cradle“-Prinzip, auf Deutsch bedeutet das: vom Ursprung zum Ursprung. Der Ansatz soll sicherstellen, dass der Kreislauf vollständig ist und keine Lücken bleiben.
Über allem steht der Begriff der Nachhaltigkeit, dem man im Design auf unterschiedliche Weise gerecht werden kann. Der einfachste Zusammenhang ist: Kommt ein Produkt aus der Region, sind die Transportwege kurz. Das verringert die Emissionen und schont das Klima.
Ein anderer ist: Wenn Menschen eine emotionale Bindung zu einem Produkt aufbauen, dann werden sie es nicht so schnell entsorgen.
Diese Effekte können schon kleine Details verstärken. Eine Bindung entsteht zum Beispiel, wenn ein Produkt sich leicht reparieren lässt. Auch wenn es einfach und leicht verständlich ist, wenn es keinen unnötigen Stress produziert, trägt das dazu bei, dass man es gerne um sich hat.
Diese Art zu denken verändert das Design überall auf der Welt. Und das setzen wir auch in Münster um.
In einem unserer Seminare ist gerade der Kleiderbügel „Abzweig” entstanden, der in einem Pressverfahren aus Naturfasern hergestellt wird, die aus der Region stammen. Das Material und seine Ästhetik sollen ein gutes Gefühl vermitteln und hochwertig wirken. Man kann ihn auf unterschiedliche Art verwenden. Und wenn er doch einmal kaputt geht, wird er hier in der Region wieder zu Biomasse.
Aber was bedeutet das nun? Das neue Denken im Design wird auf diese Weise sicher nicht die Welt retten, aber es hat das Zeug dazu, wichtige Impulse zum Umdenken zu liefern, um die Welt besser zu machen.
Herzliche Grüße
Ihr Steffen Schulz
Diese Kolumne teilen und RUMS weiterempfehlen
Über den Autor
Steffen Schulz ist Professor für Produktdesign an der FH Münster. Er beschäftigt sich vor allem mit nachhaltigen Projekten sowie sozialem und universellen Design. Vor seiner Zeit in Münster hat Schulz an der Universität Mailand (Politecnico di Milano) und an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Industrial Design gelehrt. Er hat für renommierte internationale Büros gearbeitet. In Münster setzt er sich auch für soziale Projekte ein, zum Beispiel in einer Kooperation mit Westfalenfleiß zum Bau von Möbeln. Steffen Schulz wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem „Red Dot Design Award“ und dem „IF Design Award“.
Ihnen gefällt dieser Beitrag?
Wir haben Ihnen diesen Artikel kostenlos freigeschaltet. Doch das ist nur eine Ausnahme. Denn RUMS ist normalerweise kostenpflichtig (warum, lesen Sie hier).
Mit einem Abo bekommen Sie:
- 2x pro Woche unsere Briefe per E-Mail, dazu sonntags eine Kolumne von wechselnden Autor:innen
- vollen Zugriff auf alle Beiträge, Reportagen und Briefe auf der Website
- Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen: Die ersten 6 Monate zahlen Sie nur einen Euro.
Wir freuen uns sehr, wenn wir Sie ab heute in der RUMS-Community begrüßen dürfen!