Die Kolumne von Kolja Steinrötter | Ihr habt doch alle keine Ahnung

Porträt von Kolja Steinrötter
Mit Kolja Steinrötter

Guten Tag,

Menschen, die meine Galerie besuchen, ob sie nun im Vorstand eines Unternehmens sitzen oder studieren, wirken meist leicht verunsichert, gar eingeschüchtert. Die schon sprichwörtliche Schwellenangst lässt manche zögern, viele schreckt sie gleich ganz ab. 

Wenn jemand es in die Galerie schafft und sich vielleicht sogar auf ein Gespräch einlässt, den versuche ich stets davon zu überzeugen, dass alles Elitäre, alles Luxuriöse nur Schein ist. Kunst soll Lebensmittel sein, muss zugänglich sein, für jedermann und jedefrau. In einer Galerie ist das zwar ein selbst auferlegter Auftrag, aber nicht weniger essenziell. 

Auf die Frage, wie die Ausstellung oder eine Arbeit denn gefalle, kommt oft, eigentlich fast immer, die vorsichtige und ausweichende Antwort: „Ich habe ja keine Ahnung.“ Und da wäre die Frage: Braucht man die denn überhaupt?

Es gibt doch Profis, die sich auskennen, die dafür sorgen, dass an Orten, an denen Kunst drauf steht, auch Kunst drin ist. Profis, die zum Beispiel in einem Museum, einem Kunstverein oder eben einer Galerie arbeiten. Für Käufer:innen, Sammler:innen oder einfach Besucher:innen ist es oft nur schwer möglich, die Qualität einer künstlerischen Arbeit zu beurteilen, denn woran soll man sich in der Gegenwartskunst orientieren?

In vielen Gesprächen in der Galerie habe ich in den vergangenen 15 Jahren versucht, den Menschen zu erklären, wie der Kunstmarkt funktioniert und wie es gelingen kann, verlässliche Quellen zu finden, die Orientierung geben. 

Unbezahlbar und wertlos zugleich

Es fängt schon an mit der Frage, was gute Kunst ist. Bei Werken von längst verstorbenen Künstler:innen ist die Antwort einfach. Was in ordentlichen Museen hängt, was aus heutiger Sicht von Fachleuten als bedeutend für die damalige Zeit angesehen werden kann, hat einen künstlerischen Wert. 

Dieser künstlerische Wert hat nichts mit dem materiellen Wert einer Arbeit zu tun. Preise sind in der Kunst genauso schlicht Ausdruck von Angebot und Nachfrage wie anderswo. So kann es passieren, dass zwei extrem reiche, aber vergleichsweise ahnungslose Menschen ein Bild haben wollen und so lange bieten, bis es die teuerste bislang in einer Auktion verkaufte Arbeit wird. 

Ein einzigartiges Kunstwerk ist nicht mit Geld und Gold aufzuwiegen, es ist unbezahlbar und wertlos zugleich – es materiell zu bewerten, ist ein hilfloser Versuch, etwas einzufangen, das man nicht einfangen kann. 

Aber wie ist es mit Gegenwartskunst? Sie zu bewerten, ist abschließend erst möglich, wenn der Künstler oder die Künstlerin gestorben ist. Das künstlerische Gesamtwerk muss erstens abgeschlossen sein und zweitens von einem Punkt aus betrachtet werden, an dem eine Einordnung der zeitgenössischen (meint auch gesellschaftlichen) Bedeutung der Arbeiten möglich ist. Solange ein Mensch lebt, kann er sein Werk auch noch versauen. 

Was gute Gegenwartskunst ist, lässt sich schwer sagen. Einfacher ist der umgekehrte Weg. Schlechtes ist sehr viel leichter zu identifizieren.

Kunst, die heute schon keinen künstlerischen Wert hat, wird ihn auch in tausend Jahren nicht haben. Wenn ich heute Kunst schaffe, um möglichst viel Geld zu verdienen, wenn ich mich nach dem richte, was die meisten Menschen am liebsten über dem Sofa hängen haben würden, dann sind die Motive, die heute falsch sind, in hundert Jahren nicht plötzlich richtig. 

Kommerzieller Erfolg kann sogar ein Hinweis auf mangelnde künstlerische Qualität sein.

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Im Kunstbetrieb hat man schon lange Erfahrung mit Dingen, die andere Teile der Gesellschaft erst so richtig zu Pandemiezeiten zu spüren bekommen haben. Fake News, der Dunning-Kruger-Effekt, der besagt, dass Menschen erst einmal ein gewisses Maß an Wissen brauchen, um das Ausmaß ihres eigenen Unwissens abschätzen zu können. 

Dazu gibt es das Geraune von sogenannten Eliten, die über Kunst bestimmen wollen. Es gibt den Satz: „Gute Gegenwartskunst ist, was einige wenige, wichtige Menschen dafür halten“. Das Kuriose ist: In der Kunst stimmt das teilweise sogar tatsächlich. 

Gegenwartskunst ist keine demokratische Veranstaltung. Wenn zwei Menschen mit Fachwissen Kunst bewerten, gibt das meist mehr Orientierung als Massenerfolg, Ruhm und Reichtum. 

Sogar charakterliche Eigenschaften können bei der Bewertung von Kunst eine Rolle spielen. Kompromisslosigkeit in Bezug auf das eigene Werk ist unerlässlich, der Wunsch nach Reichtum höchst hinderlich. 

Der Beruf des Galeristen, so sehr man darüber streiten kann, ob er noch zeitgemäß ist, muss sein, Künstler:innen von den Verführungen des Marktes fernzuhalten. Es gibt Ausnahmen, aber eine Faustregeln ist: Geld und Kunst passen nicht zusammen, eine ordentliche Galerie ist Mittler in diesem unübersichtlichen und vernebelten Gebiet.

Trotzdem bleibt es immer spekulativ, Kunst zu bewerten. In der Gegenwartskunst gibt es keine klaren, vertrauensbildenden Größen. Künstler:in kann sich jede:r nennen, Galerist:in ebenfalls. 

Für Laien ist es kaum möglich, sich zu orientieren. So vertraut man ersatzweise auf zwei andere Dinge: auf den eigenen Geschmack oder, weitaus verheerender, auf den Preis.

Dem eigenen Geschmack zu folgen, ist ratsam. Nur, wenn man gute Kunst kaufen möchte, sollte man vorher einen Ort gefunden haben, an dem das unfallfrei möglich ist. Auch ich kann Ihnen viel erzählen. Aber ob Sie mir vertrauen können, wissen Sie erst einmal nicht.

Die einzelne Arbeit ist ein Fragment

Und damit sind wir wieder bei den wenigen wichtigen Personen, die entscheiden, was gute Kunst ist. Je mehr gegenseitige Bewertungen vorhanden sind, desto sicherer kann man sich sein, nicht beschwindelt zu werden. 

Werden Künstler:innen der einen Galerie auch von anderen Galerien auf der Welt vertreten? Tauchen Werke der Künstler:innen vielleicht schon in Museen oder Kunstvereinen, Sammlungen auf? Wo haben die Künstler:innen schon ausgestellt? Hat es Preise geregnet oder Lob auf den Feuilletonseiten großer Zeitungen? Das alles können Hinweise sein, dass eine Arbeit gut ist. 

Es gibt auch Negativ-Indikatoren. Habe ich die Aussage einer Arbeit nach fünf Sekunden verstanden und taugt sie als prima T-Shirt-Motiv? Sorry, Banksy, aber nein – da reichen höchstens die Wellen im Kunstbetrieb für einen Eintrag in die Geschichte. Die Arbeiten bleiben belanglos. Malt jemand schöne, bunte Bilder, ist 25 Jahre alt und wird in der „Bild“-Zeitung besprochen, weil die Arbeiten so teuer sind? Auch das ist eher ein Hinweis auf die Abwesenheit eines künstlerischen Werts. 

Wichtig bei der Bewertung von Kunst ist: Die einzelne Arbeit ist nur ein Fragment des großen Ganzen. Der künstlerische Wert einer Arbeit ergibt sich erst aus dem Gesamtwerk. 

Es ist also möglich, Kunst zu bewerten. Aber es ist nicht nur aufwendig und schwierig, es bleibt auch immer nur ein Versuch. Mein Anliegen ist, die Kunst aus der Sphäre des Elitären zu holen. Sehr, sehr gute Kunst muss weder teuer, noch schwer zugänglich sein. Reden zu Ausstellungseröffnungen voller alberner Fremdwörter sind nur der Versuch, Barrieren aufzubauen und zu erhalten. Aber das darf man gerne ignorieren. 

Gute Gegenwartskunst ist Kunst, die potenziell in hundert Jahren im Museum hängt. Das bedeutet nicht, dass alles andere keine Berechtigung hat. Es ist nur etwas anderes.

Überwinden Sie die Schwellenangst

Menschen, die sich in meiner Galerie vorstellen, weil sie der Überzeugung sind, Kunst zu machen, haben meistens sehr ähnliche Argumente: Ich habe schon viel verkauft. Meine Freunde finden es aber ganz toll. Auch mein Galerist auf Mallorca hat schon total geschwärmt. 

Eine ehrliche Antwort lautet dann meistens: Tut mir leid, ihr habt leider alle keine Ahnung! Möglicherweise ich auch nicht. Aber das entscheiden am Ende eben andere, wenige. 

Gegenwartskunst hat die Gabe, auch die Aufgabe, den Blick zu schärfen, zu verändern, Positionen einzunehmen, die ansonsten immer verschlossen geblieben wären. 

Sie kann lehren, ohne belehrend zu sein, sie kann Strukturen aufbrechen und Positionen verbinden, die unvereinbar schienen. Das macht sie so wichtig für unsere Gesellschaft, gerade in Zeiten, in denen Spaltung und Unvereinbarkeit allgegenwärtig erscheinen. Nicht ohne Grund wird Kunst, wie auch Journalismus, im Autoritarismus meist zuallererst eingeschränkt und/oder später dann verboten. 

Über all das möchte ich in dieser Kolumne schreiben. Also überwinden Sie die Schwellenangst. Gehen Sie ins Museum, zum Kunstverein, in die Galerien der Stadt. Und stellen Sie Fragen: der Kunst. Den Menschen. Auch mir. Wenn Ihnen etwas rätselhaft in der Kunst erscheint, dann schreiben Sie mir. Vielleicht kann ich es erklären, und es wird das Thema einer Kolumne. 

Herzliche Grüße
Ihr Kolja Steinrötter

Porträt von Kolja Steinrötter

Kolja Steinrötter

Kolja Steinrötter, geboren 1974 in Münster, ist unter Künstler:innen und Kunst aufgewachsen, studierte Soziologe und Politikwissenschaft an der hiesigen Universität, trainiert die Fußballfrauen des SV Blau-Weiß Aasee und betreibt seit 2008 eine Programmgalerie am Germania Campus.

Die Kolumne

Immer sonntags schicken wir Ihnen eine Kolumne. Das sind Texte, in denen unsere acht Kolumnistinnen und Kolumnisten Themen analysieren, bewerten und kommentieren. Die Texte geben ihre eigene Meinung wieder, nicht die der Redaktion. Mitgliedschaften in politischen Parteien oder Organisationen machen wir transparent. Wenn Sie zu den Themen der Kolumnen andere Meinungen haben, schreiben Sie uns gern. Wenn Sie möchten, veröffentlichen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unseren Texten Fehler finden, freuen wir uns über Hinweise. Die Korrekturen veröffentlichen wir ebenfalls im RUMS-Brief.

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